Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit: Wirr ist das Volk

Pegida sitzt mir bei der Arbeit direkt gegenüber.
Pegida sieht aus wie Gothmog.

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Ich weiss, wie das klingt, aber es ist wahr. Ein Autounfall vor einigen Jahren macht aus meinem Alltag etwas, das kein anständiger Karrikaturist malen würde. Pegida hat allerdings Haare, und bei dem Versuch, sie zu blondieren, hat Pegida es geschafft, jenen klassischen Orangeton in das obige Bild zu zaubern, den wir noch aus den 90ern kennen und nicht vermisst haben.

Pegida ist, wie wir hier im Konzern der sozialen Gerechtigkeit (fortan KdsG) sagen, ein "Mensch mit Einschränkungen". Sie arbeitet auch nicht in einer WfbM, sondern nimmt teil; früher nannten wir sie deswegen nicht "Mitarbeiterin" sondern "Teilnehmerin". Heute nennen wir sie Mitarbeiterin, aber das ändert nichts daran, dass wir vom KdsG sie nicht bezahlen, sondern Sie, also die Solidargemeinschaft.

Und zwar zahlen Sie etwas, das sich "Hilfsmittelbedarf zur Gestaltung des Tages" nennt. Das wird in einem aufwendigen Verfahren ermittelt: Wieviel Unterstützung braucht Pegida/Gothmog bei ihrer Tätigkeit, wie intensiv muss sie betreut werden, eine lange Liste zum Ankreuzen, dazu kommt ein ausformulierter Bericht, mit dem sich etliche hauptamtliche Mitarbeiter aus mindestens zwei, gerne aber auch fünf Behörden beschäftigen. Pegida ist außerdem bei uns im sogenannten "Berufsbildungsbereich", das kostet extra, und es ist völlig egal, ob Pegida schon eine Ausbildung hat (hat sie nämlich). In den BBB (wir mögen wirklich Abkürzungen hier) müssen alle, für satte zwei Jahre.

Der Kostenträger, also unabhängig von Stadt oder Kreis, die dafür aufkommen, eben die Solidargemeinschaft, bezahlt dafür, dass wir Pegida eingliedern in den ersten Arbeitsmarkt. Faktisch ist es aber so, dass Pegidas Chancen mau sind; die Quote von erfolgreichen Wiedereingliederungen liegt auch beim KdsG nur bei 0,4 Prozent.
Der Rest "gestaltet seinen Tag" weiter in unseren "Werkstätten für Menschen mit Einschränkungen". Pegida kostet die Solidargemeinschaft dabei mühelos einen stattlichen sechsstelligen Betrag im Jahr, und da sind andere Sozialleistungen noch gar nicht drin. Darüber hinaus plant Pegida, sich umfangreich operieren zu lassen, um nicht mehr auszusehen wie Gothmog, was einer, der die Finanzierung unseres Gesundheitssystems kennt, auf die solchermaßen wachsende Rechnung draufschlagen kann.

Pegida hat es nicht leicht, das können wir mal festhalten. Keiner von uns würde mit ihr tauschen wollen, und als Mitarbeiter des KdsG sehe ich tagtäglich genug Träume von einem "normalen" Leben inmitten von rauschenden Visionen von "Inklusion" zerbrechen, um zu wissen, dass Pegidas Zukunftschancen recht überschaubar sind. Die Gesellschaft bezahlt teuer für die Diskriminierung, die sie sich gestatttet, nur weil Pegida wie Gothmog aussieht, dabei ist sie eigentlich eine voll einsatzfähige Mitarbeiterin. Wir alle könnten Pegidas Wut verstehen, nur redet sie nicht darüber.

Stattdessen erzählt sie mir davon, wie Flüchtlinge ihr den Platz im Bus wegnehmen und wie der Islam sie nachts wachhält, weil "die" nicht mal wissen, wie "unsere" Nachruhe einzuhalten ist. Pegida darf gerne gegenüber von den Studentenwohnheimen einziehen, auf die ich gerade gucke, um herauszufinden, wieviel schlimmer das Leben sein könnte, aber die Nachtruhe, und damit auch der Islam, sind nicht ihr Problem. Pegida ist empört darüber, wie Menschen sie anstarren und wie selbst kleine Kinder fragen, was denn "mit der Frau" ist, und wie die Menschen so intolerant sein können, und wenn man weiter nachfragt, stellt man fest, das Pegida auch durchaus weiß, was ihr Problem ist.

Und egal, wen Sie da draussen treffen, der jetzt "das Volk ist", wenn Sie lange genug zuhören, dann finden Sie immer die eine, ganz individuelle, fürchterliche Geschichte, die dazu führt, dass man sich wie ein Geier auf die eine Minderheit stürzt, die noch beschissener dran ist als man selbst - und endlich mal derjenige oder diejenige ist, die mit dem Finger zeigt, diejenige am Hebel, ein Rad innerhalb einer anonymen, malmenden Maschine, die Lebensträume frißt, aber dieses eine Mal nicht die eigenen.

Ich bin mit einem dieser Gesichter ausgestattet, wo die Leute anfangen, mir ihr Leid zu klagen. Nicht nur bei der Arbeit. Gerne auch mal im Bus, oder mitten auf der Straße; ich weiß also, wovon ich rede: Die Frau, die mir im Bus davon erzählt, wie am Rathaus die "Neger" Drogen verticken, stellt sich rasch als kurz vor der Rente stehende Mitarbeiterin von - ausgerechnet!- Karstadt heraus, und sie weiß einfach nicht, wie das alles weitergeht. Der Typ, der die Fahrkarten kontrolliert und genau weiß, wie es "immer" die Ausländer sind, die keine dabei haben, ist von seiner Frau verlassen worden, für seinen Bruder. Und er ist der Typ, der die Fahrkarten kontrolliert, das würde schon reichen.

Pegida muss man zuhören, ja, und man muss sie ernstnehmen, aber erst dann, wenn man rausgefunden hat, was wirklich ihr Problem ist. Und wenn Du einem halben Dutzend Pegidas zugehört hast, hast Du danach ein halbes Dutzend sehr unterschiedliche, sehr reale Probleme, und keins davon ist einfach zu lösen, die meisten kannst Du nicht mal politisch lösen. Für die meisten Pegidas geht es deswegen nicht mal darum, den Islam als Voodoo gegen ihre Probleme zu nutzen, den Muselmann als Strohpuppe, in die man Nadeln kloppt, um magisch alles gut werden zu lassen - es ist nur so, dass sie so endlich mal zu etwas dazugehören. Und wer ihnen nur fünf Minuten zuhört, weiß zumindest schon mal, warum es normalerweise keiner macht und warum sie draussen stehen.

Pegida hat also recht: Es gibt Integrationsprobleme hierzulande. Und Pegida ist das beste Beispiel dafür. Kann man also tolerant gegenüber Intolernaz sein? Muß man vielleicht.

Ich muss jetzt wieder zur Arbeit.

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