Schüsse in Berlin

Ich bin ein schlechter Zeuge. Die Ereignisse in der Halle auf der Galoppbahn Karlshorst haben mich erschüttert, so dass sich jetzt erst langsam meine Aufregung legt. Trotzdem möchte ich beschreiben, wie ich, der ich nur peripher dabei war, die Schüsse in Berlin erlebt habe, oder besser gesagt wie ich mich an sie erinnere.
Der furiose und intensive 8 Runden Kampf zwischen Asiye Özlem Sahin und Evgeniya Zablotskaya war gerade zu Ende. Die Siegerin Sahin stand noch im Ring und ließ sich fotografieren, als viele Dinge gleichzeitig passierten. Man hörte gellende Schreie einer Frau. Die Schreie kamen von dem mir gegenüberliegenden Teil des Saales. Dann zogen zwei Männer, die anhand ihrer schwarzen T-Shirts mit Aufdruck als Mitglieder des Teams von Rola El-Halabi erkennbar waren, meine Aufmerksamkeit auf sich. Einer der Männer stand auf der Empore und brüllte etwas zu dem anderen, der unten am Ring stand. Er zeigte in Richtung Kabinen auf der anderen Hallenseite. Ich verstand nur das Wort Rola. Dann stürmten die beiden auch schon los.
Gleichzeitig entstand im Zuschauerbereich vor den Kabinen ein Tumult. Es zeigten sich diese typischen Löcher im Gesamtbild, als ob eine oder mehrere Schlägereien im Gange wären. Viele Zuschauer flüchteten in meine Richtung, also dem Ausgang zu. Man hörte Schüsse fallen. Schon kam die Durchsage des Ringsprechers, dass der Saal geräumt werden soll.
Kurze Zeit später fand ich mich draußen vor der Türe wieder. Anstatt zum Hotel zu gehen, ging ich in die unmittelbar benachbarte Gaststätte mit Wettannahme, die sich dann auch nach und nach füllte. Erst kamen die Delegierten der WBO. Dann kam Frau Sahin, die nur ihr Kampfdress trug und der ich erst mal mein Jackett gab.
Immer mehr Offizielle, Trainer, Sekundanten und Boxer füllten das Lokal mit neuen Gerüchten: „Rola El-Halabi ist tot.“ „Zwei von Rolas Leibwächtern sind angeschossen worden.“ „Eine Kugel ist knapp am Kopf von Oleksiy Mazykin vorbei geflogen.“ „Boxer haben sich in den Kabinen eingeschlossen.“ „Der Stiefvater von Rola hat sich verbarrikadiert.“ Hektisch wurde telefoniert.
Ein junger betrunkener Pferdewetter gab deutschnationale und rassistische Kommentare von sich. Am Nachbartisch versuchte der kleine Bruder von Rola El-Halabi nicht zu weinen. Ein anderer Wetter verbot dem Betrunken weiter zu reden, worauf dieser als Rückzugsgefecht eine Adolf Hitler Imitation zum Besten gab, mit den Stichworten: „als Deutscher“ und „man wird ja wohl noch sagen dürfen.“
Durch eine halbverhängte Glastüre konnte man in den Saal sehen. Man konnte beobachten, wie Polizisten in Grün, mit schusssicheren Westen, aber auch vermummte Polizisten in Schwarz kamen und gingen. Dann stürmten ein Dutzend Rettungssanitäter Richtung Kabinen. Uniformierte Polizisten kamen ins Lokal und suchten nach Augenzeugen. Erst Stunden später begann unsere Gesellschaft der Gestrandeten sich langsam aufzulösen. Kleinen Gruppen von Boxern und Sekundanten wurde erlaubt in die Kabinen zu gehen, um ihre Sachen zu holen. Dabei kamen einige von ihnen auch an Blutlachen vorbei.
Auf der Terrasse war eine erste Polizeikontrolle, die die Nummern der Personalausweise aufschrieb und die Postleitzahl abfragte. Später, an der Straße, wurde mein Ausweis dann noch einmal kontrolliert und fotografiert. Auf dem Weg zum Hotel kamen mir noch viele Polizeiautos entgegen.
(C) Uwe Betker



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