Schluss mit dem Wahn zur Selbstoptimierung!

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Jung sein, schön sein, gesund sein – nie zuvor war es so wichtig, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Auf die inneren Werte kommt es schon lange nicht mehr an. Stattdessen geht es um die Optimierung unseres Erscheinungsbilds. Der erste Eindruck zählt, nicht wahr? Ja, das Wort (Ein-)Druck passt hier wirklich hervorragend. Der perfektionierten Online-Selbstdarstellung durch nachträgliche Bearbeitung der gekonnt inszenierten Posen mithilfe zahlreicher Apps folgt die kontinuierliche Bearbeitung des inszenierten Produktes selbst, also unseres Körpers.

Er ist sozusagen eine Dauerbaustelle, deren Makel es mit endlosen Besserwisser-Expertentipps zu beheben gilt. Unkontrolliertheit wird dabei mit kritischen Blicken beäugt – nicht nur von anderen, nein, auch von uns selbst. Reinheitsapostel verdonnern uns zu Clean Eating (Hallo zu Chia-Samen, Avocados, selbstgezogenen Brokkolisprossen u.v.m.) und Conscious Clubbing. Bei Letzterem treffen sich frühmorgens Feierwütige, um mit Green Smothies zu Technobeats (bis zur Extase) auf der Tanzfläche auszurasten. Bewusstes Feiern für einen bewussten Lifestyle. Rausch und Kater? Passé.

Die Erfassung der Körperdaten – ein Massenphänomen

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen wir rein in unsere Sportschuhe und einfach losgelaufen sind. Klar, denn die hochsensiblen Sensoren in unseren Smartphones und Wearables liefern uns doch sämtliche Daten ganz exakt: Herzfrequenz, Distanz, überwundene Höhenmeter, Zeit und (ganz wichtig!) verbrannte Kalorien. So wird uns geholfen, ein Auge auf die eigene Leistung zu werfen, uns zu verbessern und mit Freunden zu messen – oder gleich mit der ganzen Welt.

Und wer gelegentlich mit dem inneren Schweinehund kämpft, bekommt von der App den nötigen Tritt: Just do it! Da liegt doch nahe, dass wir unsere Aktivitäten anschließend benebelt von Bekennerstolz mit der Social Media-Community teilen. „Jule ran 7,08 km in 58.34 mins“ steht dann da, auf Facebook, eine Abbildung der Laufroute inklusive. Ganz, ganz toll, Jule! Haste fein gemacht. I like.

Mit der Spitzenreiter-Fitness-App Nike+ des gleichnamigen Sportartikelherstellers und Branchenführers teilen Community-Mitglieder ihre Zeiten und Ziele mit anderen, holen sich oder geben Tipps und checken regelmäßig mit ihrem angedockten Fuelband die aktuelle Konstitution. Das Ziel sind effiziente(re) Workouts und maximale Leistung. Immer und überall lockt die Challenge. Online zumindest. Die Offline-Challenge führen stattdessen die Sportartikelhersteller selbst.

Gewiss will Nike-Hauptkonkurrent Adidas in dieser Liga mitspielen und übernahm deswegen Anfang August die mit rund 70 Mio. Usern äußerst erfolgreiche Fitness-App Runtastic für schlappe 220 Mio. Euro. Auch gekauft: der direkte Zugang zu potentiellen Kunden und natürlich deren Daten.

Dass unsere Gesundheitsdaten nicht nur für Sportartikelhersteller von Interesse sind, dürfte klar sein. Unter dem Vorwand von Prämien und Zuschüssen schleichen sich peu à peu immer mehr Apps der Krankenkassen auf unsere Smartphones. Trojanische Pferde! Günstigere Tarife, passgenaue Medikamente und attraktive Kursangebote locken uns jetzt, später werden es – dank 3D-Drucker und Gentechnik – dann individuelle Programme und Lösungen für die Krankheiten der User sein.

Wir werden vermessen und bewertet anhand unserer Produktivität sowie unserer Ernährungs-, Schlaf- und sonstigen Lebensgewohnheiten. Sogar Andrea Voßhoff, Bundesbeauftrage für Bundesdatenschutz und Informationsfreiheit, rät Nutzern, „nicht unbedacht mit ihren sensiblen Gesundheitsdaten umzugehen und die kurzfristigen finanziellen Vorteile (…) gegen die langfristigen Gefahren abzuwägen“.

Übrigens: Haben Sie schon überprüft, ob Ihre Krankenkasse zu denjenigen gehört, die neuerdings den Kauf von Fitness-Trackern (ja, auch die Apple Watch ist einer) unterstützt? Engagement muss belohnt werden!

Engagiert sind auch die Macher der supererfolgreichen Fitness-App Freeletics. Das Start-up aus München zählt zu den „25 heißesten jungen Unternehmen aus Deutschland“ und wetteifert mit Muckibuden.

Die Vision des Lifestyle-Unternehmens: „Free Athletes“ (so heißen deren Anhänger) sollen physisch und psychisch die stärkste Version ihrer selbst werden, schließlich ist genau das die Basis für ein erfülltes Leben. Die bahnbrechenden Erfolge der Mitglieder, die mit geschwellter Brust ihre (neu)gestählten Körper der Welt präsentieren, überzeugten bisher 6 Mio. Menschen in 160 Ländern. Und täglich kommen 12.000 hinzu.

Diesen Erfolg wünscht sich auch die Adidas-Tochter Reebok, die mit ihrer bisher teuersten Markenkampagne in Deutschland ambitionierte Laien anfeuert. „What are you waiting for? An invitation?“ versucht, mit attraktivem Content via Facebook, Instagram und Twitter die Zielgruppe „zu begeistern und auf unsere eigenen Seiten zu locken“, äußerte sich kürzlich Chris Froio, Reeboks Europa-Chef.

Ja, wir lassen uns gerne mit Prophezeiungen vom besseren und glücklicheren Leben locken, die sich allerdings nur realisieren werden, wenn wir genügend Motivation, Effektivität, Aktivität und Individualität an den Tag legen.

Intelligente Funktionskleidung, professionalisierte Wearables und die Ausrichtung des Trainingsplans auf die technisch ermittelte Tagesform – was für Profisportler natürlich durchaus sinnvoll ist, wird bedenkenlos von Amateuren abgekupfert. Maximale Leistung ist das Ziel! Rund 100.000 Apps allein in den Bereichen Gesundheit, Fitness und Medizin helfen uns dabei, noch besser zu werden. Trink-Reminder, Schlafphasenwecker, Menstruationskalender und Kalorienzähler wollen wir nicht nur haben, nein, die brauchen wir auch, behaupten Gesundheitsapostel.

Brauchen! Wozu denn? Auf dem Weg zum individuellsten Individuum? Auf der Suche nach uns selbst? Ein Streben nach Ausdauer und Perfektion ist sicherlich vernünftig, aber muss es um jeden Preis sein? Darf man sich stattdessen nicht auch Schwachstellen einge- und zu diesen stehen? Während wir vom perfekten Leben träumen vergessen wir bisweilen, eine Pause im Selbstoptimierungs-Hamsterrad einzulegen.

Einmal durchzuatmen, die kritischen Augen zu schließen und den Fokus bewusst auf unsere inneren Werte zu lenken. Einmal versuchen, uns ein Stück Einzigartigkeit unter all den vermeintlichen Individualisten zu bewahren. Einmal auf den inneren Schweinehund zu pfeifen, die Zügel aus der Hand geben und aus allen Zwängen fliehen. Der nötige Tritt kommt nun von mir: Just do it!


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