Ich hatte schon davon gehört, doch als es mir heute früh passierte, war ich dann doch echt von den Socken!
Der Tag begann ziemlich normal: viel zu früh klingelte der Wecker und riskierte damit zum wiederholten Male sein kurzes Technikdasein.
Nachdem ich halb erwacht meine morgendlichen Aufwachrituale und das Ankleiden geschafft hatte, machte ich mich auf den Weg zu einem neuen eintönigen – und in meinen Augen viel zu langen – Arbeitstag als S-Bahnaufsicht.
Meine Schicht begann erfreulich ruhig. Der Bahnhof war leer und die wenigen Fahrgäste, die bereits unterwegs waren, sahen so müde aus, wie ich mich noch fühlte.
Nach meiner ersten Tasse Kaffee passierte es dann!
Ein Fahragst kam mit einer Frage zur Aufsicht, die ich ihm an der Tür beantwortete und als ich mich wieder zu meinem Stuhl umdrehte saß er dort. Ein Schlumpf. Sehr real und ganz und gar ohne irgendwelche Zeichenstriche. Ziemlich traurig sah er sich im Raum um und blickte mir dann direkt in die Augen.
“Nanu, wer bist Du denn?” entfuhr es mir, nicht wirklich mit einer Antwort rechnend. Umso erstaunter war ich, als er seinen winzigen Mund öffnete und mit weinerlicher Stimme sagte: “Ninety Six”.
Ich muß ihn wohl ziemlich bedeppert angeschaut haben, denn er holte sogleich zu einer Erklärung tief Luft und sagte: “Ich weiß, ich weiß. Das ist kein richtiger Name. Aber in Schlumfhausen..” an dieser Stelle schniefte er laut auf und seine große Nase sah aus, als ob sie gleich explodieren würde “Also zu Hause…” noch ein viel lauterer Schniefer folgte “Zu Hause hatte ich einen sehr, sehr langen und schlumpfigen Namen, den sich niemand merken konnte, nicht einmal ich selber. Darum hat Papa Schlumpf…” nun liefen ihm auch noch ein paar Tränchen über das blaue Gesicht “Darum hat Papa Schlumpf mir die Nummer 96 gegeben. Weißt du…” seine großen Augen blickten mich erwartungsvoll an “Diese Zahl kann man drehen und wenden, wie man möchte, es bleibt immer die 96. Die vergesse nicht einmal ich.” Das erste Mal stahl sich so etwas wie ein Lächeln in sein Gesicht. “Du kannst aber gerne Ninety zu mir sagen. Alle Schlümpfe tun das.”
Wow. Ich erlebe auf dem Bahnhof während meiner Arbeit ja einiges und auch so manch komischer Typ begegnet mir dabei, aber dieser kleine blaue Kerl hier direkt vor meiner Nase war schon der Oberhammer.
Also gut. Nehmen wir mal an, diese Situation ist real. Nehmen wir weiter an, dieses blaue Etwas, ok Schlumpf, hat gerade mit mir gesprochen. Sollte ich dann jetzt nicht dran sein und ihm ein paar Fragen stellen? Ich bin doch sonst nicht auf den Mund gefallen!
Sofort hatte ich ein ganz bestimmtes Lied im Ohr, das wohl jeder von uns kennt. Und genau diese berühmte Liedzeile stammelte ich vor mich hin: “Wo kommst du eigentlich her? Und sag jetzt nicht Schlumpfhausen. Das weiß ich nämlich schon!” ergänzte ich schnell, als er bereits Luft holte zum antworten.
Nun war es Ninety, der erstaunte Augen machte und anscheinend vergaß er sogar für einen Moment seine Traurigkeit, denn er begann ganz aufgeregt zu erzählen: “Als ich mich gestern Abend in mein Bett zum schlumpfen legte, war ich noch ganz normal. Alle Striche waren an ihrem Platz und ich fühlte mich flach wie immer! Doch heute morgen war alles anders! Ich war rund und konnte mich selber fühlen. Kein anderer Schlumpf weit und breit zu sehen. Aber das Allerschlimmste war, das mein Bett verschwunden war und ich mich hier in diesem Raum hinter einem großen runden Ding wiederfand. Ich beschloß, irgendwo nach oben zu klettern, um einen besseren Überblick zu bekommen und dann kamst Du auch schon. Wer bist Du denn eigentlich?”
Das war ein echter Schlag. Stellt Euch doch bitte mal diese Situation vor! Da sitzt also dieser Schlumpf vor mir und erzählt mir was, das sich wirklich sehr mysetiös anhört. Wenn ich ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es selbst nicht glauben. Nachdem ich ihm ein wenig von mir erzählt hatte, fragte ich ihn, ob ich ein Foto von ihm machen dürfte, da mir ja sonst niemand glauben würde, daß er heute bei mir aufgetaucht ist. Zum Glück ist Nine nicht kamerascheu und hat sogar gelächelt, als ich auf den Auslöser drückte.
Danach setzten wir uns zusammen, sofern man das bei einem 30 Zentimer großem Schlumpf so nennen kann und überlegten gemeinsam, wie Ninety zurück zu seinen Artgenossen kommt.
Doch selbst nach stundenlangem Grübeln wollte uns keine Lösung einfallen. Daher bot ich ihm an, ihn mit zu uns nach Hause zu nehmen und mit den restlichen Familienmitgliedern die Sachlage zu besprechen. Begeistert war er nicht, da er befürchtete, daß sich in meinem Arbeitsraum eine Art Zugang zum Schlumpfenland befindet. Aber ich konnte ihn auf keinen Fall dort alleine lassen. Nicht alle Kollegen wären über die plötzliche Anwesenheit einer real gewordenen Zeichentrickfigur erfreut gewesen. Zum Glück konnte ich den kleinen Mann schließlich überzeugen und so fuhr er dann – leicht versteckt – in meinem Rucksack mit nach Hause. Unterwegs mußte ich immer wieder sein blaues Näschen in den Rucksack stupsen, da er manchmal all zu neugierig auf die ihm unbekannte Welt war.
Naja, was soll ich sagen?
Nachdem Ninety sich bei uns zu Hause hinter den Blumen versteckt und im Kochtopf nach etwas Essbarem gesucht hatte, konnten wir uns endlich etwas näher unterhalten.
Zum Glück blieben die erwarteten Probleme aus, da Ninety wirklich ein süßes Kerlchen ist und sich sofort in das Herz unserer Tochter hineinmanövrierte und dort auch blieb. Einzig unser Hund Sunny war etwas skeptisch unserem Gast gegenüber, sein Interesse konnten wir aber schnell mit einem schönen Knochen ablenken.
Unsere Tochter hatte dann den – vielleicht rettenden – Gedanken für ihren neuen – und bisher einzigen – schlumpfigen Freund: sie würde ihn mitnehmen, wohin auch immer sie geht und vielleicht treffen sie ja jemanden, der jemanden kennt, der Ninety helfen kann oder etwas Näheres zu den eigenartigen Umständen weiß, die ihn zu uns geführt haben.
Fortsetzung folg…