Wer singt, der betet doppelt, sagt ein Priester in diesem Buch. Religion und Musik sind seit jeher eng miteinander verbunden. Das Christentum kennt den Psalm als gesungenes Gebet. Der Adhan, der muslimische Gebetsruf, besteht aus unterschiedlichen Tonhöhen und –längen. In der tibetischen Tempelmusik steht jedes Instrument für ein Mantra, sie sind Klangkörper einer spirituellen Kraft. In jeder Religion und Kultur haben Töne und Silben unterschiedliche Bedeutungen – und jeder Mensch nimmt sie unterschiedlich wahr.
Hierbei handelt es sich keineswegs um reine „Hirngespinste“. Die Wissenschaft kennt längst schon den Begriff der Synästhesie, der Kopplung von Sinnesreizen. Für manche Menschen sind bestimmte Töne mit Farben verbunden, andere wiederum verbinden sie mit Temperaturen. Das warme Rot und das kalte Blau sind zwei Beispiele, die jeder nachvollziehen kann. Möglicherweise ist das Phänomen Synästhesie viel größer, als wir es uns heute vorstellen können.
Jane Dunker hat sich zur Aufgabe gemacht, diese individuellen Wahrnehmungen sichtbar zu machen. In ihrem Buch kommen viele unterschiedliche Menschen zu Wort: Gläubige und Atheisten, Alte und Junge, Einheimische und Zugereiste. Sie berichten von ihren Lebenserfahrungen, von ihrem Alltag und besonderen Erlebnissen und welche Klänge sie damit verbinden. Jede Person wird außerdem mit einem oder mehreren Fotos porträtiert, die mindestens so viel aussagen wie der Text. Fast beiläufig entspinnt sich dadurch ein interreligiöser und interkultureller Dialog – gerade in unserer heutigen Zeit der Krisen und Konflikten ist das von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Vielleicht haben wir alle einmal die Fähigkeit besessen, die Welt multidimensional wahrzunehmen. Später erzog man uns dazu, nur an das zu glauben, was man mit Instrumenten messen oder mit mathematischen Formeln beweisen kann. Jane Dunker bringt uns mit ihrem Buch dazu, wieder einmal über unser ursprüngliches Wesen nachzudenken.
Jane Dunker: Wie klingt, was du glaubst? Verlag Rolf Liebe
112 Seiten EUR 14,00