Rezension: Annelie Wendeberg – Tiefer Fall (KiWi 2015)

Mit den Romanen um die Bakteriologin Dr. Anna Kronberg hat die Umweltmikrobiologin Annelie Wendeberg eine spannende Lücke zwischen Historischem Roman, Krimi und Fan Fiction gefunden. Nach dem Erfolg von “Teufelsgrinsen” liegt nun das zweite Buch, “Tiefer Fall”, in deutscher Übersetzung vor; zwei weitere folgen diesen Herbst. Tauchen wir ein ins London des ausgehenden 19. Jahrhunderts…

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Nicht wenige Umstände erschwerten das Leben einer Wissenschaftlerin um 1890. In erster Linie die Tatsache, eine Frau zu sein. Die Bakteriologin Anna Kronberg verkleidete sich jahrelang als Mann, um ihre Arbeit ausüben zu können. Letztlich wurde sie zur Mörderin und musste fliehen (vgl. hierfür den ersten Roman “Teufelsgrinsen”). Hier setzt “Tiefer Fall” ein: In ihrem Versteck wird Anna eines Morgens von einem Mann überrascht, der ihr eine Pistole an den Kopf hält und sie dazu zwingt, mitzukommen.

Ihr Entführer ist kein geringerer als der launische, jähzornige Multimillionär James Moriarty, der es sich in den Kopf gesetzt hat, biologische Waffen zur Kriegsführung zu entwickeln. Dafür bedarf er der Unterstützung der besten Fachperson auf dem Gebiet, Anna Kronberg. Skrupel kennt er keine, die Wissenschaft interessiert ihn und seinen Schergen, den gewalttätigen Colonel Moran, nur am Rande, “Kollateralschäden” sind sie jederzeit bereit in Kauf zu nehmen. So wird Anna zur Gefangenen Moriartys, der das Leben ihres Vaters bedroht, sollte sie sich nicht seinen Anweisungen fügen.

Unter strenger Beobachtung beginnt sie in einem Universitätslabor mit ihrer Arbeit: Malleus- und Milzbranderreger sollen isoliert werden, um eine schlagkräftige biologische Massenvernichtungswaffe zu schaffen. Aus ihrem Gefängnis heraus versucht Anna Kontakt mit dem Mann aufzunehmen, der als Einziger imstande ist, ihr zu helfen: Sherlock Holmes.

Es beginnt ein gefährliches Versteckspiel um Macht, Kontrolle und Täuschung. Während Anna Holmes mit Neuigkeiten aus dem Hause Moriartys versorgt, damit dieser seine Ermittlungen gegen den Entführer voranbringen kann, versucht Anna selbst sich ihrem Peiniger menschlich zu nähern. Sie lässt sich auf ein gefährliches, erotisch aufgeladenes Spiel ein, das in Moriartys Ermordung enden soll. Doch schnell wird klar, dass dieser Tanz zweier besessener Gegner – der rachelustigen Anna und dem machtgierigen Moriarty – eine gefährliche Nähe erzeugt, die letzlich beiden zum Verhängnis werden könnte…

Annelie Wendeberg bedient sich für ihre Roman des Figurenrepertoires aus Arthur Conan Doyles Sherlock-Holmes-Geschichten. Neben Holmes und Moriarty treten auch Dr. Watson und Mycroft Holmes in Nebenrollen auf. Mit Anna Kronberg stellt die Autorin dem legendären Ermittler eine intellektuell ebenbürtige Figur zur Seite, die mit einem ebenso scharfen Verstand gesegnet ist und als Bakteriologin zudem über Kenntnisse verfügt, die selbst Holmes abgehen. Zwischen Historischem Roman, Krimi, medizinhistorischem Exkurs und fantasiereicher Fan-Fiction hat Annelie Wendeberg mit ihren Büchern eine spannende Lücke gefunden, die mit Sicherheit Stoff für viele weitere Romane bereithält.

Die Autorin, die vor kurzem ihre Arbeit als Umweltmikrobiologin aufgegeben hat, um sich ganz dem Schreiben zu widmen, schreibt souverän, leichtfüssig, mit einem trockenhumorigen Blick auf die Abgründe des Geschlechterdiskurses, für den die selbstbewusste Protagonistin Dr. Anna Kronberg natürlich prädestiniert ist. Eine unterhaltsame, spannende Lektüre.

Wendeberg, Annelie. Tiefer Fall. Ein Anna Kronberg Krimi. Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger. Taschenbuch, 336 S. 978-3-462-04665-6


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