respektlos: Deutschland lässt sich herab

Vor kurzem bin ich darauf gekommen, warum ich Sätze wie die folgenden ganz und gar nicht leiden kann: "Schön!" - "Toll!" - "Das hättest du aber wissen können." - "Und was jetzt!?" - "Siehste! Hättest du es gleich so gemacht." - "Aber das kennt man ja nicht anders von dir."

Die Sätze hören sich bestimmt ziemlich mütterlich an. Und es stimmt. Ich zum Beispiel assoziiere mit ihnen sofort meine Mutter. Sie korrigierte immer sofort alles, was ich als mangelhafte Leistungen oder Versagen ihr beichtete. Habe ich eine zwei in der Deutscharbeit bekommen, weil ich Dativ und Akkusativ verwechselt habe, erzählte sie mir ein "Das hätte man aber wissen können."
Habe ich eine Prüfung im Studium später mal versammelt, entgegnete sie natürlich: "Und was jetzt!?"
Ansonsten bin ich als Person schon immer unpünktlich gewesen. Schließlich, als ich einmal bei einem potenziellen Arbeitgeber um einen anderen Termin für ein Vorstellungsgespräch bitten musste (ich hatte knapp den Zug verpasst), musste sie meine Versagensängste mit einem "Aber das kennt man ja nicht anders von dir" bitter unterstreichen.
Heute sagt meine Mutter solche Sätze nur noch selten. Räumliche Distanz kann Menschen manchmal wieder vorsichtiger werden lassen. Dennoch bleiben sie in mir drin und kommen innerlich wieder hoch, wenn man bei irgendeiner Sache (sei sie noch so klein), versagt hat.

Ich meine, dass solche Sätze wie die von meiner Mutter in uns allen haften geblieben sind. Und sie werden millionenfach von uns täglich auch zu anderen Personen gesagt. Natürlich sind diese Sätze prinzipiell ermunternd gemeint oder sollen zur Verbesserung anspornen. Aber schaffen sie das auch? Sind sie nicht vielmehr nur überflüssig? Die Erkenntnisse, die beim sagen dieser Sätze vermittelt werden sind allesamt schon dem Zuhörer bekannt. Warum also werden diese Sätze von uns gesagt?

respektlos: Deutschland lässt sich herab

Ich behaupte, diese Sätze sind in ihrem Kern nur negative, herablassende Kommunikation. Der, wer diese Sätze sagt, versucht dem anderen ein schlechtes Gefühl zu vermitteln oder möchte dessen Selbstsicherheit in diesem Moment erschüttern. Wer diese Sätze von sich gibt, kann sich sicher sein, dass er für eine gewisse Zeit moralisch oder charakterlich über dem Anderen steht. Mindestens, solange es diesem nicht gelingt, das eigene Scheitern wieder gut zu machen. Wahrscheinlicher ist aber, dass diese Sätze niemals ihre Wirkung verlieren werden.

Die Form von Sätzen wie die von Meiner sind in sich so geschaffen, dass sie den, der sie gesagt hat nicht angreifbar werden lässt (schließlich ist es nicht dessen Versagen). Und der andere, der diese Sätze hören muss, wird auf immer und ewig diese Sätze als Angst vor erneutem Versagen im Kopf behalten. Sie werden dort bleiben und können nur durch viel positives Feedback und Ermunterung überdeckt werden. Ganz vergehen werden sie aber nie.

Ich kann mir nicht genau erklären, was das Motiv meiner Mutter war, mein Selbstvertrauen als Heranwachsende so anzugreifen. Ich kann mir bis heute nicht erklären, was sie sich von diesen impliziten Vorwürfen versprach. Hatte sie vielleicht das Bedürfnis, sich moralisch über mich zu erheben? Hatte sie vielleicht Angst, dass sie durch zuviel Ermutigung und Verzeihen ("Davon geht die Welt nun auch nicht unter") mitverantwortlich für mein Versagen als Erwachsene wird? Wäre das dann auch ihr Versagen? Müsste sie sich dann vorhalten lassen, mich nicht so erzogen zu haben, dass ich im Leben Erfolg haben werde?

Ich denke, all das spielte sie für eine Rolle. Zusätzlich glaube ich aber, es war viel einfacher für sie, solch peinigende Worte zu finden, anstatt sich Gedanken machen zu müssen, was man dem Kind in dieser Situation an positiven, aufbauenden Botschaften mit auf den Weg gibt. Und ohne sich dabei lächerlich zu machen, natürlich.

Ich vermute allerdings, dass sich für ihr Verhalten ein Motiv finden lässt, dass sich auch durch unsere gesamte, deutsche Gesellschaft erstreckt. Uns geht es einfach gut dabei, wenn wir uns gegenüber anderen herablassen. Wenn wir ihnen den Respekt verweigern. Wenn wir sie als Versager aburteilen und ihre Unantastbarkeit als Person infrage stellen können. Ich gebe mal ein paar Beispiele:

  • Die Kassiererin an der Kasse beim Edeka um 20.59 Uhr: "Na das wird jetzt aber auch Zeit!"
  • Der Busfahrer, der das parkende Auto anhupt, obgleich es grad schon wieder die Straße freimacht.
  • Thilo Sarrazin in einem Interview: "Eine große Zahl von Türken und Arabern in Berlin haben keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel."
  • Und schließlich Innenminister Thomas De Maiziére, der vor ein paar Tagen meinte: "Bei integrationsunwilligen Ausländern helfen nur drei Dinge: Strafe, Strafe und nochmals Strafe!"

Ich habe mal mit SF2000 darüber gesprochen, was eigentlich das Gegenteil von herablassendem Verhalten, also der negativen Kommunikation ist, die sich so quer durch unsere Gesellschaft zieht. Er sagte nur ein Wort: R-E-S-P-E-K-T.

Ich glaube, Deutschland würde ein schönerer Ort sein, wenn man versucht, sich in den oben genannten Situationen nicht reflexartig dem anderen gegenüber herabzulassen und ihm Verhaltensfehler ausdrücklich zu bestätigen. Oder Versagen auch noch zu bescheinigen. Oder vermeintliche Normabweichungen kritisieren. Oder Anderssein explizit auch noch festzustellen. Oder einfach mal eine Entscheidung getroffen zu haben oder vorher genügend nachgedacht zu haben.

Nein, es wäre besser, wenn man sich vielleicht auch nur für eine Sekunde fragt: Warum macht der das so? In welchen Umständen steckt der eigentlich? Und vielleicht sollte ich einfach ihm mit Respekt begegnen, wenn er schon in diese knifflige Situation hineingeriet. Wie gesagt. Kränkende Bemerkungen bleiben immer haften und machen Selbstvertrauen kaputt, anstatt es aufzubauen.

Zurück zu meiner Mutti. Vor einiger Zeit kam ich mal wieder zu spät zu einer Verabredung mit ihr. Ich rief sie an:
Ich:  "Du, ich komme später, ich hab grad den Zug verpasst."
Sie: "Na gut. Ich stell dann mal dein Essen warm."

Na bitte. Geht doch!

(R-E-S-P-E-C-T - find out what it means to me...)

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