Seit Jahren geht die Zahl der rechtsradikalen Gewalt- und sonstigen Straftaten in Deutschland zurück, einer ganzen Unterhaltungsbranche, die von Begriffen wie "immer mehr" und "immer höher" lebte, droht die Existenzberechtigung verloren zu gehen. Da muss es nun der Osten wieder richten. Weil am Rückgang der Fallzahlen bei den rechtsextremistischen Straftaten, den PPQ erstmals 2007 vorhergesagt hatte, nun auch kein geändertes Zählverfahren und keine Neuaufnahme von früher nicht-strafbaren Tatbeständen mehr etwas ändern kann, konzentriert sich die um künftige Schlagzeilen fürchtende Medienwelt auf die kleinen Nischen, wo die Gefahr von rechts noch wächst. Wenigstens, wenn einen Tatsachen nicht interessieren.
Die "Welt", verglichen mit der traditionell von Vorabgewussten abhängigen "Zeit" zumindest gelegentlich ein Blatt der Aufklärung, hat lange gesucht, ehe sich in den vorab durchgestochenen Zahlen aus dem Verfassungsschutzbericht doch noch etwas fand, auf das sich das Grundthema "beunruhigende Entwicklung" reimen lässt. Bei den rechtsextremen Straftaten drifte die Entwicklung in Deutschland "signifikant auseinander", enthüllt die aufwendig hergestellte Qualitätsschrift. Von insgesamt 762 registrierten Gewalttaten im Rechtsbereich entfielen 306 auf die fünf ostdeutschen Bundesländer, heißt es weiter. Damit ereigneten sich 40 Prozent dieser Delikte ist Osten, obwohl der Anteil an der Gesamtbevölkerung lediglich 15 Prozent beträgt.
Den Negativrekord im Länderranking halte inzwischen Sachsen-Anhalt, die ländlich geprägte Flächenmetropole an der sprichwörtlichen "Straße der Gewalt". Dort seien im vorigen Jahr je 100.000 Einwohner 2,84 rechte Gewalttaten verübt worden. Aber auch in Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern sei die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten im Vergleich zu 2009 um 4,8 Prozent gestiegen, während sie bundesweit im Vergleich zu 2009 um 14,5 Prozent zurückgegangen sei.
Weiter zurück darf der Blick nicht reichen, denn das ganze Gedankengebäude vom immer stärker rechtsradikal durchseuchten Osten fiele sofort in sich zusammen. Schließlich zählte der Verfassungsschutz für Sachsen-Anhalt noch 2008 satte 4,15 rechte Gewalttaten pro 100.000 Einwohner - mehr als ein Drittel mehr als der nun von der "Welt" verkündete "Negativrekord".
Ebenso ernüchternd für Nachrichtentechniker wäre eine Recherche im eigenen Archiv, um die Vergleichszahlen zum angeblichen rechten Gewaltboom im Osten herauszusuchen: In absoluten Zahlen hatte der Verfassungsschutz 2009 noch 290 rechte Gewalttaten gemeldet - also gerademal 16 Fälle weniger als die 306 von 2010, die jetzt laut "Welt" ein "signifikantes Auseinanderdriften" zwischen Ost und West signalisieren. 2008 aber war noch von 403 gewalttätigen Übergriffen Rechter in den neuen Ländern die Rede gewesen - ein ganzes Viertel mehr als derzeit und gemessen an der Gesamtzahl der Taten (891) damals 45 Prozent aller rechten Gewalttaten in Deutschland.
Der Trend ist klar und er zeigt das Gegenteil von dem, was die "Welt" ihren Lesern zu sehen empfiehlt: Mit 306 von 762 Taten im Jahr 2010 liefert es der Osten inzwischen nur noch auf 40 Prozent aller rechten Gewalttaten, schon 60 Prozent geschehen im Westen.
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