Praxisgebühr, Bürokratie und Statistik

Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal in meinem Leben etwas Positives über die FDP schreiben würde, aber jetzt passiert es doch: Die FPD will die Praxisgebühr abschaffen! Und weil das eine wirklich gute Idee, ja, sogar die einzig richtige in diesem Zusammenhang ist, muss ich das einfach würdigen. Auch wenn die Linke mit ihrer Kritik recht hat: Natürlich ist das eine populistische Forderung, mit der die FDP ihr ramponiertes Image noch ein bisschen aufpolieren will. Und weil die viel größere CDU gegen die Abschaffung ist, besteht auch keinerlei Gefahr, dass diese Forderung in absehbarer Zeit umgesetzt wird.

Trotzdem treffen alle Argumente gegen die Praxisgebühr zu: Sie hat die gewünschte Steuerungswirkung nicht gezeigt, nämlich, dass die Leute nicht mehr so oft zum Arzt gehen. Kein Wunder: wie krank die Leute sind hängt ja nicht damit zusammen, wie oft sie einen Zehner auf die Theke legen können. Aber sie hält arme Menschen davon ab, rechtzeitig zum Arzt zu gehen, so dass diese dann richtig krank werden und am Ende in der Notaufnahme landen – was am Ende zu höheren Arztrechnungen führt. Und zu einer geringeren Lebenserwartung armer Menschen. Was aber möglicherweise gar kein unerwünschter Effekt ist. Und sie nervt Ärzte wegen des bürokratischen Aufwands.

Außerdem hat sich gerade herausgestellt, dass die Deutschen gar nicht so oft zum Arzt gehen, wie man ihnen unterstellt: Die Hälfte aller ärztlichen Konsultationen geht auf das Konto von nur 16 Prozent der Patienten. Klar, denn wer besonders krank ist, muss natürlich häufiger zum Arzt. Damit bestätigt auch die Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen, dass die Anzahl der “unnötigen Arztbesuche” seit Einführung der Praxisgebühr nicht abgenommen hat. Daraus könnte man schließen, dass die Leute nicht zum Spaß zum Arzt gehen, sondern tatsächlich nur dann, wenn es nötig ist.

Wie eine Auswertung des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland ergeben hat, geht ein Viertel der gesetzlich Versicherten maximal vier Mal pro Jahr zum Arzt. Ein weiteres Viertel nimmt höchstens zehn Arztbesuche pro Jahr in Anspruch. Ein drittel Viertel geht etwas 22 Mal pro Jahr zum Arzt. Und dann gibt es noch das letzte Viertel, das relativ häufig zum Arzt geht, nämlich bis zu 40 Mal. Dazu werden allerdings auch die simple Verlängerungen von Rezepten oder telefonische Beratungen gezählt.

Interessant ist natürlich auch, warum die Leute zum Arzt gehen. Bei fast einem Viertel der Arztbesuche sind Rückenschmerzen die Ursache, aber auch Bluthochdruck, Stoffwechselstörungen oder Atemwegserkrankungen kommen häufig vor. Dazu kommt, dass psychische Leiden zunehmen: Depressionen und Schlafstörungen machen inzwischen 15 Prozent der Arztbesuche aus. Männer gehen durchschnittlich 14 Mal im Jahr zum Arzt, Frauen 20 Mal. Hier würde mich interessieren, was das jeweils für Untersuchungen sind – leider geht das aus den verlautbarten Zahlen nicht hervor. Wenn ich da nur an die gefühlt etwa hundert Vorsorge-Untersuchungen denke, die während einer Schwangerschaft fällig sind! Da wundert es mich überhaupt nicht, dass Frauen auffällig häufiger einen Arzt aufsuchen als Männer – obwohl sie vermutlich gar nicht häufiger krank sind. Die Sterbestatistiken lassen ja eher Gegenteil vermuten – schließlich leben Frauen in Deutschland 6 bis 7 Jahre länger als als Männer.

Aber zurück zu den Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft – hier werden im 4-Wochen-Abstand regelmäßig Untersuchungen empfohlen, ab der 32. Schwangerschaftswoche sogar alle 14 Tage. Das macht bei einer durchschnittlichen Schwangerschaftsdauer von (je nach Rechenmethode) 38 bis 40 Wochen etwa 9 bis 10 Vorsorgeuntersuchungen. Und dann noch ein paar Nachsorgeuntersuchungen. Und das, obwohl schwangere Frauen ja eigentlich gar nicht krank sind. Selbst wenn inzwischen ein Drittel der Frauen keine Kinder mehr bekommen kommen bei den anderen noch eine Menge Arztbesuche zusammen.

Ich will an dieser Stelle gar nichts gegen Schwangerschaftsvorsorge sagen, überhaupt, Vorsorgeuntersuchungen haben durchaus ihre Berechtigung, auch wenn man es damit nicht übertreiben sollte. Wie ich neulich lesen musste, verstehen viele Ärzte Statistiken zur Krebsfrüherkennung nicht, was dazu führt, dass sie häufig wirkungslose, ja, sogar schädliche Früherkennungs-Untersuchungen empfehlen. So glaubten mehr als zwei Drittel der für die Studie befragten US-Mediziner, dass eine höhere Anzahl entdeckter Tumore und eine höhere Fünfjahres-Überlebensrate ein Indiz dafür seien, dass Früherkennungsuntersuchungen Leben retten. Tatsächlich relevant für diese Behauptung ist allerdings nur eine geringere Sterblichkeitsrate. Die Sache ist recht einfach: Wenn die Tumore früher entdeckt werden, ist die Fünf-Jahre-Überlebensrate schon deshalb höher – egal ob und wie therapiert wird. Wenn aber bei älteren Menschen ein langsam wachsender Tumor früh entdeckt wird, kann es sein, dass eine Therapie aufgrund ihrer Nebenwirkungen lebensverkürzend wirkt. Am Ende hätte der Mensch durch den Tumor gar keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfahren, während er genau diese durch die in diesem Fall nutzlose Therapie erleidet. Natürlich gibt es auch jede Menge Fälle, die anders gelagert sind; in der Studie ging es um Prostata-Krebs.

Bei Brustkrebs sieht das schon wieder anders aus, hier ist eine frühe Entdeckung tatsächlich oft lebensrettend. Wobei auch hier der Nutzen eines flächendeckenden Screenings durch regelmäßige Röntgenuntersuchungen der Brüste umstritten ist: Kritiker sagen, dass von 200 Frauen nur eine durch diese Untersuchungen gerettet werde, während 60 mit einer Krebsdiagnose leben müssten, weil bei ihnen Tumore entdeckt werden, die möglicherweise sonst nie gefunden und auch nicht lebensbedrohend geworden wären. Befürworter halten dagegen, dass die Sterblichkeit bei Brustkrebs durch diese Reihenuntersuchungen um ein Viertel gesenkt werden könne.

Tja, so ist das mit der Statistik. Da kann sich jeder seins herauslesen – genau wie beim Tages-Horoskop. Nur dass die Horoskop-Leser vermutlich weniger Schaden anrichten.



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