Politik unter Kircheneinfluss

Politik unter Kircheneinflussvon Prof. Dr. Uwe Lehnert

Nach den Schätzungen der Kirchen selbst wird um 2025 die Mehrheit der Bevölkerung keiner der beiden großen Kirchen noch angehören. Aufgrund der Missbrauchsskandale und des allgemeinen Vertrauensschwunds in die moralische Autorität der Kirchen dürfte diese Situation vermutlich noch früher eintreten.

Aber die Kirche setzt offenbar zur Zeit gar nicht mehr so sehr auf die Wirksamkeit einer großen Mitgliedschaft. Sie sucht vielmehr ihren Einfluss in der Politik weiter auszubauen, wo sie ja längst ihre Bataillone in den Parteien in Stellung gebracht hat. Man beobachte nur, wie kaltschnäuzig die Bemühungen abgebügelt werden, innerhalb der Parteien für den Laizismus, der eigentlich im Grundgesetz angelegt ist, zu werben. Im Fernsehen besitzt die Kirche in Sachen Weltanschauung längst das Meinungsmonopol, dafür sorgt schon der Alleinvertretungsanspruch in religiösen oder weltanschaulichen Fragen, den sie sich über die Rundfunk- und Fernsehräte gesichert hat. Praktisch alle relevanten Posten in den Medien werden von sich betont zum Christentum bekennenden Vertretern besetzt. (Dem widerspricht nicht, dass ab und zu Alibi-Atheisten bzw. -Humanisten auftreten und, wenn sie Glück haben, mehr als einen Satz ohne Unterbrechung sagen dürfen.)

Über konfessionelle Kindergärten und Schulen, die praktisch vollständig von allen Steuerzahlern finanziert werden, sorgt sie dafür, dass Aberglaube und Intoleranz weiter verbreitet werden. Vom Bundesverfassungsgericht hier klärende Worte zu erwarten, dürfte eine vergebliche Hoffnung sein, wenn man doch weiß, dass diese höchsten, der Neutralität verpflichteten Richter weitestgehend nach ihrem Bekenntnis zum Christentum – natürlich verdeckt – von den Parteien vorgeschlagen werden, und wenn man inzwischen weiß, dass sie sich seit Jahren in Arbeitskreisen regelmäßig mit Kirchenvertretern treffen. Dabei sollte man sich immer bewusst sein, dass schon heute rund 40 Prozent der Bevölkerung nicht den christlichen Kirchen zugehören.

Wir sind längst ein Staat mit kirchenstaatähnlichen Zügen: theologische Fakultäten als Pfarrer ausbildende Institutionen an staatlichen Universitäten; Mitspracherecht des Papstes, also einer ausländischen Macht, bei der Errichtung und Schließung von katholisch-theologischen Lehrstühlen in Deutschland; Mitspracherecht der Kirche bei der Besetzung sogenannter Konkordats-Lehrstühle; Religion als ordentliches und benotetes Schulfach in eigentlich weltanschaulich neutralen Schulen, wobei die Religionslehrer vom Staat finanziert werden; beamtete Pfarrer in Bundeswehr und Strafvollzug; Bezahlung von Bischöfen, Kardinälen und Domherren samt Nebenkosten aus allgemeinen Steuermitteln; staatliche Zuschüsse zu den Kirchentagen in teilweise zweistelliger Millionenhöhe aus allgemeinen Steuermitteln; Kirchensteuereinzug durch die staatlichen Finanzämter; jahrelang erfolgter zwangsweiser und nicht rückerstattungsfähiger Kirchensteuerabzug beim Arbeitslosengeld, auch wenn keine Kirchenmitgliedschaft vorliegt (vom BVG als rechtmäßig bezeichnet!); kirchliches Arbeitsrecht mit signifikant weniger Rechten für den Arbeitnehmer und Zwangsmitgliedschaft in der Kirche über staatlichem Arbeitsrecht stehend; Alleinvertretungsanspruch der Kirchen in weltanschaulichen Fragen in den Rundfunk- und Fernsehräten (siehe oben!); nicht kündbare Verträge zwischen Staat und Kirche, die der Kirche Einfluss und vor allem Finanzmittel in Milliardenhöhe (siehe Carsten Frerk: Violettbuch!) sichern; aktuell der Versuch, die Präimplantationsdiagnostik mit religiösen Gründen für alle Bürger, auch die betont nichtreligiös eingestellten, gesetzlich zu verbieten.

[Erstveröffentlichung bei no heaven – only sky]


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