Pfefferminzlikör heiß – mit Sucko!

Als “Spezialisten der Verunsicherung” bezeichnet das Feuilleton den Schriftsteller Georg Klein und entledigt sich damit reibungslos Autors und Werks. Eine weiterführende Kritik scheint nicht nötig zu sein und Klein wird lieber der Lorbeer geflochten.

Georg Klein gehört zu denen, die man gerne lobt für den souveränen Umgang, den sie mit der Sprache pflegen, für das virtuose Spiel, das mit der Historie getrieben wird, und für die Kraft, mit der sie Literatur aus alten Gleisen herauszuheben und für kurze Momente in neue hineinzusetzen vermögen. In seinem Roman “Barbar Rosa” schwingt sich der Ingeborg-Bachmann-Preisträger auf zu neuer Höhe. Er führt durch die geschlängelten und verwinkelten Gassen seiner absurden Welt und lässt am Ende der Wanderung einen ob der Wucht des Wortes atemlos gewordenen, aber auf der Suche nach dem Sinn hinter der Syntax auch in Erschöpfung geratenen Leser zurück.

Beglückt und fröhlich geworden an der sprachlichen Schönheit zwar. Aber auch überfordert. Kleins Texte gleichen Steinbrüchen. Vergessene Zitate hat er freigelegt und dem aufmerksamen Leser mit bewundernswerter Stringenz eine stilistische Haustelle geschaffen, aus der es sich frei bedienen lässt. Sein Duktus schafft wirbelnde Sätze. Lässt sie in gezügeltem Rausch dem Schritt des Protagonisten nachgleiten und wenige Seiten später auch in den Verstand des Leser schlüpfen. Will man jedoch von der Oberfläche dieser Schale, deren Brillanz sich über alle Zweifel erhebt, zum Kern des Klein’schen Erzählens dringen, weisen die gerühmte Phantasie und Sprachmacht des Autors zwar einen Pfad hinab zur Mitte des Plots, doch überwuchern sie jenen mehr, denn dass sie ihn freilegen oder entwirren.

Mühler sucht in Berlin

Mühler sucht in Berlin

Wir erfahren wenig über den Protagonisten der Erzählung, den Ermittler Mühler. Dem mythischen Kaiser Barbarossa gleich sitzt er in seinem Versteck und tritt auf, erst als er gerufen wird und die Not am größten ist. Wir lesen, dass er einst einer seltsamen Sucht anheim gefallen war und am Ende des Buches können wir erahnen, welchen weiteren Weg die Zukunft dem blödsinnigen Detektiv bereithält. Mehr erfahren wir nicht. Wir lernen ihn kaum kennen. Mühler bleibt uns so unbekannt wie er sich selbst eine anonyme Person ist. Ein Geldtransporter ist verschwunden. 48 Stunden (sic!) bekommt er Zeit ihn zu finden. Ansonsten hat er Vorschuss und Spesen zurückzuzahlen. Mühler macht sich an die Arbeit.

Und wie er das tut, das ist das Erlebnis des Romans – Georg Klein verdient einen tiefen Kniefall dafür!

Schlaflos irrt er durch Berlin und wird auf seiner Recherche mehr vom Zufall auf die richtigen Stellen gestoßen, als dass eine rationale Detektivnase ihn dorthin führt. An Mühler ist nichts rational. Absurd sein Verhalten, grotesk die Bekanntschaften und skurril die Gedanken. Als ob die Wirklichkeit nicht verrückt genug wäre, findet sie sich in Mühlers endlosem Monologisieren weiter verzerrt und zerdrückt und von einem manischen Sprachstil so verfremdet, dass nur wenige Leser sich der Ästhetik ihrer befremdenden Nähe zu entziehen vermögen.

Berlin. Zwar nicht namentlich genannt, doch schnell erkannt. Die in apokalyptischen Farben gezeichnete Hauptstadt stellt die eigentliche Gegenfigur dar, an der sich der Detektiv zu messen hat. Denn während Mühler durch ihre Straßen schleicht, enthüllt die “Hauptstadt” ein Panoptikum verwinkelter Gestalten und Geschehnisse. Hier gewinnt der Roman Tiefe und Spannung. Die Gebrauchtexthändler Arnold und Lionel Ilbich, die zu Beginn besucht werden, erinnern an die für E.T.A. Hoffmann typischen krummen Gestalten. Ihr Laden und Archiv, in einem Parkhaus untergebracht, an ein modernes Prag, in dem es Meyrink und Kafka wohl recht gut gefiele, ihr demiurgisch verschrobenes durch Falltüren stürzendes Auftreten gegen Ende gleichwohl an E.T.A.s Dresden.

Altertümlichen Suchmaschinen ähnlich setzen sie Mühler in Gang, beliefern ihn mit versteckten Hinweisen, die – bar jeglicher Information – erst in der Phantasiewelt des Georg Kleins ihre schwarzen Blüten zu entfalten beginnen. Kurti, der urinophile Kumpel Mühlers, taumelt dem Protagonisten ein ums andere Mal über den Weg. Führt zu anderen Orten hin und öffnet die Tür zu den verrückten und apathisch gleichmütigen Suckosäufern. Ein Subplot entfaltet sich, mit dessen Erschaffung Klein dem Roman sein eigentliches Glanzlicht aufsetzt.

Sucko – eine geronnene sämige Substanz, die in warmes Bier oder heißen Pfefferminzlikör eingerührt wird und durch die verstärkende Wirkung den Alkoholikern hilft, sich in neue Gefilden von Traum, Wahn und Abhängigkeit hinabzutrinken, führt wie ein Gerinsel durch den Text. Und obwohl Mühler der Droge widersteht, scheint doch sein gesamtes Denken und Trachten von ihr bestimmt und gelenkt zu sein. ”

Barbar Rosa” ist reinstes Sucko, von erfahrener Hand eingerührt in unsere Pfefferminzlikörverstandeswelten. Kleins Roman soll an Thomas Pynchon erinnern, schreibt das Feuilleton. Nun mag nicht jeder Roman, in dem das Thema “Verschwörung” anklingt, skurrile Figuren auftreten und die Handlungsfäden nicht vollkommen aufgelöst werden, mit dem Pynchon-Etikett versehen und auch gut bedient sein. Klein tut man damit gewiss keinen Gefallen. In der grauen Ästhetik und schmutzigen Körperlichkeit der Charaktere, die auf den Straßen der expressionistisch wuchernden Hauptstadt einen verzerrten Resonanzboden finden, erinnert der Text mehr an David Lynchs “Eraserhead”, denn an die mühselig beschworenen Ähnlichkeiten zu “Vineland” oder “Gravity’s Rainbow”.

Der “Rezensent” vergleicht aber gern mit Bekanntem, pappt Neuentdeckten gern ein Label auf die Stirn und versucht seiner Mühlsal mit einem sperrigenText dadurch Herr zu werden.

Was anstellen Mit Georg Klein?

Ein fabelhaftes Buch hat der abgeliefert. Es liest sich mit Begeisterung und lässt sich wie träges Sucko dem eigenen, tranigen Alltagsleben unterrühren. Als Lyrikband und Sprachakrobatik genossen, befedert es das eigene Erleben und sperrt Sichtweisen auf. Als Roman gelesen stellt sich jedoch am Morgen danach ein starkes Schädelbrummen ein, Übelkeit und Gedächtnisverlust kommen hinzu, wie das bei einem anständigen Kater die Folge ist. Und “Barbar Rosa” zieht einen schweren Kater nach sich. Man mag sich seiner schnell entledigen, indem man die Sprachkunst Kleins in die Aufmerksamkeitsmitte rückt und von den Mängeln absieht, welche das Buch gerade im letzten Drittel gefährlich nah an den Abgrund rücken. Die Leere im Schädel bleibt. Die angestrengte Suche nach dem Kern des Romans vermag sie nicht zu füllen. Die Sprache Kleins wirbelt und wirkt verschlingend wie eine Droge. In den verschachtelten Monologen des Detektivs zieht sie den Leser hinab in eine rauschhafte Welt und löst ihn ab von der bekannten Sichtweise der Dinge, bis ihm genug davon untergemischt wurde und er bereit ist für den Schluss des Romans, in dem Klein die losen Stränge wieder zusammenführt und sich auf wundersame Weise alles zu einem Ende fügt.

Zu diesem Zeitpunkt hat die Geschichte längst ihre Haftung an der Wirklichkeit verloren. Der Spannungsbogen fällt ab. Immer deutlicher tritt zutage, dass es keine befriedigende Erklärung für die rätselhaften Geschehnisse wird geben können, sondern jene sich den Roman unterwerfen und selbst fortzuschaffen beginnen. Sieht man im ersten Drittel der phantastischen Handlungsentwicklung ihre Zufälligkeit gerne nach, so enttäuscht die Zusammenführung der losen Fäden auf den letzten Seiten. Hätte man sie doch lose gelassen! Hätte man die einzigartigen Figuren in der grauen Apokalypse der Hauptstadt verschwinden lassen! Um wie viel mehr hätte der Roman gewonnen! Anstelle Geheimnisse geheim bleiben zu lassen, wird ans Licht gezerrt und alles in die Stütze eines nicht nachvollziehbaren Korsetts gezwängt. Der nackte Künstler, die Kinderbande – die zu Beginn wie eine moderne Version Kästners “Emil und die Detektive” anrührt, am Ende dann einfach nur noch belanglos ist und stört – ein rosa gestrichener Geldtransporter mit aufgeklebten Geldscheinen am Chassis. Davon hätte man lieber nicht erfahren. Das hat man nicht wissen wollen. Man hätte es sich lieber selbst vorgestellt und ergrübelt. Wie bei Pynchon.

Nicht der übermäßige Einsatz des Phantastischen, sondern das Durcheinandergeraten von Motiven, die Auflösung innerer Logik und Instrumentalisie-rung der anfangs runden Charaktere führen zu einer bedauernswerten Verflachung des letzten Drittels. Man mag das für modernes Erzählen nehmen. Man darf es aber auch für das Entgleiten des Erzählfadens halten. Um Kleins schönes Wort aufzugreifen und abzuwandeln:

“Die Logik eines Textes ist wie ein Skelett im Fleisch seines Verlaufs verborgen. Nur wenn ich mich bewege, kann ich am Muskelspiel der Handlungen ermessen, wie weit entfernt vom letzten logischen Schluss, der alles lösen und klären wird, ich noch durchs Vorfeld der Erkenntnis tappe.”

E.T.A. konnte das. Klein ist auf dem Weg.

Bruten Butterwek


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