Erst wusste ich nicht, ob ich Paul Hardings Debütroman Tinkers überhaupt lesen wollte – ein Mann liegt im Sterben und lässt sein Leben Revue passieren – so weit so gut. Klingt interessant? Na ja, geht so. Trotzdem ist das Buch in meine Hände geraten.
Ich kann nicht leugnen, dass mich die Erzählweise packt – und ich muss gestehen, dass ich eine Schwäche für gute Erzähler habe, für solche, die nicht viel Aufheben um ihre Worte machen, die sie einfach vor sich hinfließen lassen ohne besondere Schnörkel. Mit subtilem Humor, der mich trotzdem lauf auflachen lässt. Ein Fluss ist immer am schönsten, wenn er nicht begradigt wurde.
Paul Harding ist ein solcher Erzähler.
George Washington Crosby stirbt. Er liegt in seinem Wohnzimmer und stirbt. Um ihn herum seine Familie, die ihm immer fremder wird. Im Zentrum seines Hauses, das er selbst Stein für Stein gebaut hat – und auch das wird ihm immer fremder. Nur die Uhren halten sein Leben noch im Takt. Uhren sind seine Leidenschaft. Überall im Haus tickt es. In seinem Kopf tickt es. Ticken die Erinnerungen an seine Kindheit.
Aufgewachsen in einer armen Familie im ländlichen Maine, seine Mutter Hausfrau, sein Vater Tinker – ein Beruf für den es im Deutschen so gar keine treffende Übersetzung gibt, den man vielleicht mit „fahrender Händler“ übersetzen könnte – und den ich nur „Schlüpfer-Heini“ nenne (was eine andere Geschichte ist, die an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde – vielleicht wird sie irgendwann erzählt werden).
Howard Crosby, Tinker in Maine, fährt mit seinem Pferdewagen über die Dörfer und verkauft alles, was gebraucht wird, und er hilft auch immer dort, wo er gerade gebraucht wird. Dabei kommt ihm die eigene Familie mehr und mehr abhanden. Als seine Frau ihn schließlich wegen seiner Epilepsie in einer psychiatrischen Heilanstalt unterbringen will sieht er nur einen Ausweg – er verlässt seine Familie.
Von Anfang unausweichlich – George stirbt. Diese Tatsache wird nie beschönigt oder verschwiegen. So ist es eben. George stirbt. Wenn das Ende also von vornherein feststeht, warum dann noch lesen? Man muss ja nicht alle Fragen beantworten.
Nach dem Buch ist vor dem Buch. An einem Abend im September mache ich mich auf den Weg – für mich persönlich einen nicht ganz leichten Weg – um Tinkers nochmal neu kennenzulernen. Paul Harding liest, und ich glaube, ich verstehe erst jetzt so richtig, was den Reiz dieses Romans ausmacht. Für mich ganz persönlich. Ein Vielleicht-lesen-Buch wird zum Herzensbuch.
Am Ende des Abends weiß ich, dass Paul Harding auch ein toller Vorleser und sehr sympathischer Mensch ist, ich ein ganz klein wenig verliebt bin – und dass Tinkers ein leise rauschender Bach ist.
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten, erschienen bei Luchterhand Literaturverlag, August 2011. Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz, Originaltitel: Tinkers.
ISBN: 978-3630873671