Parque Nacional Nahuel Huapi

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Sam, Noam und ich wanderten durch die Landschaft eines schaurigen Märchens. Mir fielen die weißen toten Bäume auf, die ihre Äste zum Himmel reckten, wie Sterbende in Agonie. Von einer Rinde kratzte ich Asche ab. Mit ihr schrieb ich in meine Kladde. Im Westen erhob sich ein mürrischer Gipfel. Fast panisch schien er vor dem Grün in den Himmel zu fliehen. Östlich von unserem Pfad fiel der Hang zur Lagune hinab. Sie veränderte ihre Farbe und schimmerte silbergrau, als ich zum letzten Mal zu ihr blickte. Die Farben des Herbstes beglückten mich. Immer mehr buntscheckige Blätter füllten meinen Beutel. Und immer kleiner wurden Sam und Noam

Papa war noch immer nicht fertig. Die Hälfte des Raumes war bereits gefliest. Meine Aufgabe bestand darin, hinter Papa stehend zu warten und auf sein Kommando hin – er drehte sich dann immer um – ihm eine schwere, quadratische, braune Fliese zu reichen. Ich langweilte mich furchtbar. Fast so, wie später bei den automatisierten Sonntags-Predigten in der Maria Trost, denn das Fliese abnehmen, Fliese auflegen, Fliese mit dem Gummihammer positionieren – weiße Abstandhalter erleichterten diese Arbeit – Fliese anheben, da die Fliese – warum auch immer – asymmetrisch lag, Fliese erneut auflegen, sie erneut mit dem Gummihammer klopfend ausrichten, um abschließend erneut eine neue Fläche mit Putz aufzustreichen, auf die dann erneut eine schwere, quadratische, braune Fliese gelegt wurde, schienen Ewigkeiten zu vergehen. Plötzlich ging die Tür auf. Mama fragte, in Schürze, mit roten Augen, wann wir endlich fertig seien, es wäre bereits spät und der Tee würde gerade kochen. Ich nutzte die Gunst der Stunde, gab meinem Vater, irgendwie, mit dem Blick zu verstehen, dass mich diese verantwortungsvolle Aufgabe noch in den Wahnsinn treibt. Daraufhin entließ er mich: ›Geh dir Hände schon waschen‹. Aber statt diesem Rat zu folgen, schnappte ich mir zwei große Einkaufstüten, mit den Worten ›ich gehe noch ein paar Kastanien sammeln‹ verabschiedend. Bei den Dröger’s stand eine Kastanie. Eine alte Kastanie. Eine große Kastanie. Ihr Äste berührten den Mond. Sofort fiel ich auf die Knie und sammelte, wie toll, Kastanien. Dabei machte ich keinen Unterschied zwischen ihnen, ich befreite sie lediglich von Blattwerk und Erde. Mir gefiel ihre Farbe, ihre glatte Struktur. Am liebsten aber mochte ich, sie einfach nur zu sammeln. Schneller als Bud Spencer’s Fäuste war die erste Tüte voll. Ich schnappte mir die Zweite …

Wir haben uns verlaufen!‹ stieß Sam aus – ›Folge nie einem 19-jährigen‹ dachte ich. Wir standen mitten im Dickicht. Und mussten Breschen schlagen. Der Bambus aber schlug zurück. Wir nahmen die Karte: Zu früh bergauf gegangen. Wir ›gingen‹ also hinunter und fanden bald unseren Pfad wieder. Wir atmeten auf, während der bunte rauschende Wald uns einsog: Über Stock und Stein ging es über kristallklare Bäche und Gräben, wir beschnupperten leuchtende Blumen, bewunderten Raupen und fleißige Bienen, und immer wieder versetzten uns die sich auftürmenden Gipfel in Staunen. Nach über fünf Stunden erreichten wir das Refugio Frey. Der Wind heulte. Am Rande der Lagune erhoben sich hunderte Meter hoch, 60 Millionen Jahre alte Kathedralen. So muss sich ein Gläubiger fühlen, wenn er ein Gotteshaus betritt: Klein und ehrfürchtig. Strenge Gesichter, die der eisige Wind in die Massive gemeißelt hat, glotzen uns an. Sie trugen weiße Mützen.

Sam ging ins Refugio. Ich schlug mein Zelt auf, etwas weiter unten, zwischen Büschen und einem halbrunden Steinwall. Mit tauben Händen trat ich ins Refugio. Es lief bolivianische Andenmusik. Der Ofen knisterte. Ein Herr mit Glatze und Bauch begrüßte mich mit der Einladung auf ein Warsteiner. Mich überraschte sein formidables Englisch. Er erzählte mir und Sam, dass er gleich nach Abschluss der Universität, mit 24 Jahren, nach Kanada ausgewandert sei. ›Es war eine unheimliche, eine blutige schlimme Zeit. Damals. In Argentinien.‹ Er meinte damit die Periode des ›schmutzigen Krieges‹ ende der 70er, anfang der 80er, als die Militärjunta um Jorge Videla das Land mit Terror und Gewalt regierte. Videla wollte die Guerillabewegung, die gegen das Militär, die Oligarchen und den Einfluss der USA in Südamerika operierten, ›vernichten‹ sowie die gesellschaftliche Ordnung wiederherstellen – 30.000 Menschenleben war der Preis. Nach dem Essen verschwand ich im Zelt. Es dämmerte, nebelte. Ich zündete eine Kerze an und las in Goethe’s Gedichten. Die Flamme stand kerzengerade. Der Wind legte sich. Meine Augen fielen zu.

Nasse Wände drückten sich an mich. Ich wollte sie wegschieben, aber meine Hände steckten in den Mäulern von Katzen. Ich schüttelte sie, aber sie fielen nicht ab. Schlimmer noch, sie sogen, immer stärker werdend. Schweißperlen, kalt wie Eis, fielen auf mein Gesicht. Ich trat und trat. Und realisierte, dass ich in Wasser stampfte. Nun bissen die Katzen auch noch mit ihren scharfen Zähnen. Ich schrie auf, es pochte an der Tür, ich robbte hinüber aber die Tür entfernte sich, je schneller ich kroch, umso winziger wurde sie und ich schlug mit dem Kopf auf die Bretter aber die Bretter gaben nach und die Nacht war zu grell zu grell für eine Nacht … Die Plane! Meine Plane! Sie flatterte im Wind. Der Schlafsack feucht. Sprühregen benetzte mein Gesicht. Ich entwickelte meine Jacke, die als Kissen mir diente, kramte hektisch nach der Stirnlampe, band die Schuhe und stolperte hinaus. Büsche schlugen wie wild um sich. Der Regen peitschte mir ins Gesicht. Schlagartig war ich wieder wach. Ich schnappte nach den Schnürren des Regenschutzes, aber der Wind riss sie mir immer wieder weg. Meine Hände wurde steif – sie begannen zu brennen. Schließlich gelang es mir, die Plane wieder überzustülpen – wenn auch schief. Ich beschwerte sie mit Steinen, denn die Heringe fanden in dem aufgeweichten Boden keinen Halt. Immer wider glitten sie raus. Fröstelnd und schmutzig legte ich ich wieder ins Zelt. Vorsichtshalber verstaute ich meine Sachen in den Rucksack. Ich entkleidete mich. Und schlief bald ein.

Jemand trat gegen mein Kopf. Zaghaft. Mit dumpfer Gleichgültigkeit. Ich rollte mich zur Seite. Und dann wieder. Die Tritte hörten auf.

Plötzlich schlug jemand mit einem nassen Lappen gegen meine Wange, meine Stirn, meine Schultern. Ich riss die Augen auf. Mein Herz galoppierte. Weiße Wolken flohen wie Flüchtlinge über den schwarzen Himmel. Eine gelber Faden schlackerte dazwischen. Meine Plane! Scheiße! Verdammte Scheiße! Meine Hand suchte nach der Stirnlampe. Ihr Licht biss. Mit zugekniffenen Augen rollte ich meine Jacke auf, zog Hose und Mütze über und lupfte in kalte Schuhe. Aufgeregt stopfte ich den Schlafsack in den Rucksack, rollte die Isomatte zusammen, befestigte sie an seinen Gurten und warf alles hinaus. Die Plane suhlte sich in einer sich kräuselnden Pfütze, zwischen umher schlagenden Büschen. Einen Stein warf ich auf die Plane, einen ins Innenzelt. Der Wind schubste mich immer wieder den schneebedeckten Hang hinab. Ich hielt mich an Gebüschen fest und rutschte trotzdem. Auf dem Hochplateau wüteten böse Böen. Um nach Luft zu schnappen, drehte ich meinen Kopf zur Seite. Ich hatte Glück im Unglück: Das Refugio stand offen. Die Fensterläden quietschten. Das Holz knarrte. Die Dachziegel klapperten. Unter einem Tisch im Essraum, auf Bretterboden, rollte ich Isomatte und Schlafsack aus und verkroch mich in tiefen Schlaf.

Müdes Schlurfen umschlich meine Träume. Quietschen. Irgendetwas kratzte, Metall auf Metall, Eisen auf Eisen. Asche legte sich auf die Ruinen meines Traumes. Ich schreckte auf. Etwas Warmes kitzelte … stupste. Leckte meine Schläfe. Miauen. Mein Blick kullerte zum Fenster – Enttäuschung: Das Grau erstickte den Sonnenaufgang. Halb sieben. Der Regen trommelte. Ich drehte mich um, versuchte mich an meinen Traum zu erinnern. Je angestrengter aber ich nachdachte, umso fahler wurde er, bis er schließlich in den kräftigen Farben des Jetzt ausblich. Ich stand auf. Der Herr vom Vorabend trat ein. Es roch nach Kaffee. Jorge, der Besitzer der Hütte, fragte – Holzscheite in den Ofen werfend – was geschehen war. Dann bat er mir Tee an. Tee aus Bariloche, aus Blaubeeren. Ich schnitt mein letztes Stück Salami in Scheiben und legte sie zwischen grüner Paprika und Schmelzkäse aufs Baguette. Ich rollte die Birne hin und her, kaute auf meinem Brot und hielt mein Gesicht immer wieder über den dampfenden Tee. Sam kam herunter. Es hellte nicht auf: Schnee. Kein Sonnenaufgang über den Anden. Sam kraulte die Katze. Sie wärmte seinen Schoß.

Ich brauch auf. Nieselregen. Sam wollte abwarten. Der Rückweg ging an meine Nerven: Die Pfade verwandelten sich in Rinnsale, wilde Bäche. Nebel verschluckte die Anmut der Bäume, Berge und Seen. Der Wind schwieg. Ich versank im Schlamm. Ich fluchte, verfluchte, drohte dem Himmel mit Fäusten. Vier Stunden später, nass bis auf die Knochen, kam ich im Dorf an. Ein Imbiss hatte offen. Die Markise war zu kurz. Ich fror. Eine Stunde hätte ich noch zu warten. Ich ging von Haus zu Haus, schaute nach Licht, nach Wärme. Der Himmel – ein einziges Trauerspiel. In einem Gästehaus brannte Licht. Ich trat ein, aber das Licht schien nur für Vater und Sohn – sie renovierten. Ich fragte wo ich mich aufwärmen könnte. Der Vater beäugte mich. Lächelnd, mitleidsvoll. Dann geleitete er mich in die Küche. Meine Brille beschlug sofort. Der Ofen stand offen: Im Inneren wankten winzige blau-weiße Flammen. Ein Teekessel pfiff. Eine andere Flamme diente nur dazu, die Küche zu erhitzen. Ich wähnte mich im Glück. Der Sohn brachte einen Holzstuhl und schob ihn an die Lade. Ich legte Schal, Jacke und Hemd über die Lehne. Dann reichte mir sein Vater schwarzen Tee. Beide waren neugierig, aber ich war müde, zermürbt. Um zwei Uhr endlich kam der Bus.


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