Dienstag ist Pädagogik-Tag auf “Perfektwir”. Ich schreibe über ein Thema aus den Bereichen Bildung und Erziehung oder weise auf spannende Texte und Zitate hin.
Meistens ergeben sich die Themen meiner pädagogischen Dienstage aus unserem Familienleben. So auch heute.
In die Schule oder nicht bei geschwollenem Gesicht
Die perfekte Tochter hatte am Samstag einen Riitiseili-Unfall: Nach einem perfekten Flug endete der Absprung in einer desaströsen Landung. Das linke Knie prallte an die linke Wange, der Schmerz war immens, und die perfekte Tochter sieht seither aus wie ein Boxer nach einem wirklich harten Kampf.
Am Sonntag machten wir trotzdem einen Ausflug, den sie genoss, solange sie ruhig im Zug oder Schiff sitzen konnte. Wandern hingegen ging gar nicht, und immer wieder schmerzten Wange, Kopf oder Auge. Dazu kam, dass sie die Blicke der Leute scheute und ihr Gesicht den ganzen Tag promimässig hinter Sonnenhut, Sonnenbrille und Haarsträhnen versteckte.
“Ich wett morn ned e d’Schuel goh”, meinte sie am Abend. “Vielleicht gibt es eine Prüfung und dann mag ich nicht. Oder ich bekomme Kopfweh. Und alle fragen, was ich habe.”
Gilt “sich schämen” als Grund für eine Schulabsenz? Wie schlimm waren ihre Schmerzen wirklich? “Wir schauen morgen”, entschied ich und rief ihre Lehrerin an. Erzählte ihr vom Unfall und den Folgen und sagte, wir würden am Morgen entscheiden, ob Schulbesuch oder nicht. Sie reagierte sehr verständnisvoll und versicherte mir, dass sie sich bei mir melden würde, falls es der perfekten Tochter im Lauf des Morgens schlechter gehen würde.
Es ging ihr bereits im Lauf des Abends schlechter. “I ha weder Chopfweh. – Mir isch schwindlig. – Mis Aug tuet weh.”
“Weisst du was?”, sagte ich kurz vor dem Schlafengehen, “du musst mich nicht davon überzeugen, dass es dir schlecht geht. Du kannst morgen ganz allein entscheiden, ob du gehen willst oder nicht! Wenn du tief schläfst, wecke ich dich nicht, und falls du aufwachst, kannst du sagen, wie es dir geht.”
So konnte sie schlafen, und wir hatten eine ruhige Nacht.
Gestern Morgen wachte sie zwar um sieben Uhr auf, allerdings mit einem komplett verquollenen Auge und sehr müde. Wir entschieden uns für einen Ruhetag zuhause, und ich schrieb der Lehrerin ein entsprechendes SMS. Die perfekte Tochter ruhte sich ausgiebig aus, wir zeigten ihr Gesicht in der Apotheke, sie fing an, Geburtstagseinladungen zu basteln, und mit der Zeit wurde es fast schon ein wenig langweilig. Als ihre Freundin ihr nach der Schule die Hausaufgaben brachte, hörte ich sie sagen: “Danke! Morn chumi wieder!”
In die Schule oder nicht ganz allgemein
Ich kenne Eltern, die ganz entspannt mit dem Thema Schulabsenz umgehen. Entweder das Kind geht in die Schule oder es bleibt zuhause. Ich erlebe aber auch immer wieder, wie Eltern sich dafür rechtfertigen, dass sie ihr mässig krankes Kind zuhause behalten oder es trotz Husten in die Schule geschickt haben. Ich selber mache gern solche Rechtfertigungen und bin froh, wenn irgendjemand meine Sicht bestätigt. Für diese Eltern habe ich mir ein paar Checkpunkte überlegt, die das Rechtfertigen vielleicht überflüssig machen.
2. Keine kranken Kinder in die Schule schicken
Die perfekte Tochter hat schon recht: Wenn man eine Prüfung hat und krank ist, ist das doof. Der Unterricht ist auf gesunde Kinder ausgerichtet und kann sehr anstrengend sein, wenn man sich nicht fit fühlt. Abgesehen davon, dass es für die ganze Klasse, inkl. Lehrperson, doof ist, wenn sich das Kind, das mit “chli Buuchweh” in die Schule gekommen ist, im Lauf des Morgens über die Schulbank erbricht…
Allerdings weiss ich unterdessen, dass es schwierig sein kann, am frühen Morgen zu entscheiden, ob das Kind fit ist für die Schule oder nicht. Ist der Husten schlimm, oder hört er eine halbe Stunde nach dem Aufstehen wieder auf? Ist das Kind noch rekonvaleszent oder einfach morgenmuffelig?
Ich persönlich tendiere dazu, das Kind lieber einmal zu viel zuhause zu behalten!
2. Als Eltern die Verantwortung übernehmen
Das Kind weiss am besten, wie es ihm geht und kann wahrscheinlich sagen, ob es sich vorstellen kann, in die Schule zu gehen oder nicht. Die Verantwortung für den Entscheid sollen aber die Eltern tragen. Ich fand es als Lehrerin immer sehr irritierend, wenn Eltern sagten: “Eigentlich wollte ich es zuhause behalten, aber es wollte unbedingt kommen.” (Kam gern vor bei Ausflügen – und es ist im Fall sehr, sehr mühsam, ein halbkrankes Kind durch einen Schulreisetag zu schleppen!)
Ich finde es wichtig, dass man als Eltern eine Entscheidung fällt und dazu steht, auch wenn andere anders entschieden hätten.
3. Offen kommunizieren
Ich finde, man musss dem Kind keine schwere Krankheit “anhängen” und es den ganzen Tag im Haus behalten, wenn man am Morgen entschieden hat, es nach der anstrengenden Nacht ausschlafen zu lassen. Vielleicht hält einen die Lehrerin für eine Glucke, aber grundsätzlich wird sie eine offene Kommunikation schätzen.
Übrigens: Lehrpersonen reagieren eher empfindlich darauf, wenn im Kontaktheft steht, dass das Kind wegen Migräne nicht in die Schule kommen konnte, und dasselbe Kind freudig von der tollen Party beim Opa erzählt…
Die perfekte Tochter ging heute wieder in die Schule und kam zufrieden zurück. Kaum jemand hatte nach ihrem Unfall gefragt, und das Rechnen war tiptop gegangen. Ich bin froh, dass ich ihr den gestrigen Ruhemorgen zugestanden habe.