Ohne Zukunft

Ohne ZukunftWieder ist ein Jahr vorbei. Privat war es für mich ein schwieriges Jahr - mit ausgesprochen gutem Ende. »You're riding high in April / Shot down in May / But I know I'm gonna change that tune / When I'm back on top, back on top in June.« So ist das Leben. Doch mir schwant Böses, wenn ich auf 2016 blicke. Ob wir da »back on top in June« sein werden? Schon dieses Jahr hat eine Dynamik angenommen, die uns Sorgen bereitet hat. Wir befinden uns in einer Eskalationsspirale. Die Positionen und Fronten verhärten sich. Es gleitet ab. Gibt Rückfälle in die Archaik vergangener Generationen, Anti-Aufklärung, Verschwörung als Leitansatz neuer politischer Bewegungen und Hate Speech als Einstieg in politisches Interesse. Kurzum, die Zukunft ist ungewisser denn je.

Der argentinische Autor und Journalist Martín Caparrós hat der »Zeit Literatur« neulich ein Interview gegeben. Es ging um sein neuestes Werk »Der Hunger« und das beschreibt, wie sich die Lebensrealität von Menschen aus Gesellschaften, die den täglichen Kampf gegen den leeren Magen als Normalität verstehen, gestaltet. In diesem Interview sagt Caparrós unter anderem: »... die Konturen der kommenden Geschichte und Weltgesellschaft sind noch unklar. Wir leben auf der Schwelle und sich auf der Suche nach einer Zukunft. Wir leben in einer Zeit ohne Zukunft. Und wir fragen uns irritiert, was eine Gegenwart ohne Zukünfte ist.«
Stimmt das? Nun, ich persönlich pflichte ihm bei. Wir sind in ein Szenario geschlittert, in dem die Optionen allesamt nicht sehr attraktiv scheinen. Das westliche Jahrtausend neigt sich dem Ende zu. Aber die westliche Omnipräsenz und Weltarroganz zappelt noch. Das ist nicht das Ende des Kapitalismus, wie das Optimisten meinen. Aber der Westen hat kein Recht auf unantastbaren Bestand mehr. Er erntet nun, was er gesät hat. Muss Menschen auffangen, die flüchten, weil sie Opfer westlicher Konzernpolitik sind, Opfer des industriestaatlich forcierten Klimawandels, Opfer europäischer Subventionspolitik. Muss Terror hinnehmen, weil der Widerstand gegen westliche Platzhirschpolitik anschwillt und man nicht mehr still hinnimmt und nur in eigenen Gefilden Guerillataktiken anwendet, sondern die entzündete Gewalt auch in die Metropolen der Unterdrücker trägt.
Das alles geschieht und es geht weiter wie eh und je. Noch mehr Bomben, noch mehr tote Zivilisten. Was für eine Zukunft gibt das? Klar, alles hat Zukunft. Selbst der Apfel in der Schale, den keiner anlangt. Er wird runzelig, bräunlich, dann braun, bis er ganz weich und glitschig wird und einen grauen Pelz bekommt. Auch das Weitermachen wie bisher hat eine Zukunft. Aber es ist keine menschenfreundliche, keine lebenswerte Zukunft. Wir enden in Polizeistaaten, geben Bürgerrechte preis, bewahren uns unsere »Art zu leben« weiter, indem wir unterdrücken und Widerstand in den Ländern, die wir schröpfen, weiter als Auswuchs krimineller Banden oder ideologischer Verbohrtheit wahrnehmen, statt zu überdenken, ob das nicht Rebellion gegen uns Wohlständige am anderen Ende der Welt ist. Der Islam ist für diese radikalisierten Widerständigen nur der Überbau. Wie Religionen immer Überbau für Konflikte waren.

So gehen wir ins neue Jahr. Ohne Zukunft. Man betrügt uns und die Menschen in der Dritten Welt um eine, sagt uns aber das Gegenteil. Meine Zukunft heißt weiterschreiben. Solange es geht. Beim ersten Terrorakt auf deutschen Boden kommt der Ausnahmezustand. Sie werden ihn verlängern und künstlich nähren. Dann kommen sie in die Wohnungen von Terrorverdächtigen. Sie werden ohne richterlichen Beschluss eindringen. Zur unmöglichen Zeit. Brutal anrücken, Handgelenke verdrehen, Schultern auskugeln und Sachen beschädigen. Und wenn dann einer querdenkt, nicht den üblichen Verurteilungs- und Betroffenheitssermon absondert, sondern so wie ich anklingen lässt, dass es hausgemacht ist, nachvollziehbar, wenngleich natürlich nicht lobenswert, dann werden sie auch so einen besuchen. Mich auf den Boden drücken, meinen Laptop an sich reißen, Schränke durchwühlen und mich mundtot machen und behaupten, dass ich nicht nur ein »Terroristenversteher« war, sondern ein geistiger Brandstifter.
Sie haben Angst, weil sie ihre nett geplante Zukunft nie endender Ausbeutung in Gefahr sehen. So reagieren Systeme, die sich überlebt haben. Was nicht automatisch heißt, dass das was danach kommt, irgendwie besser wird. Die Hatespeaker freuen sich schon auf ihre Zukunft. Wenn ihr also nichts mehr lest von mir, dann wisst ihr was geschehen ist ... frohes Fest!
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