Neoliberale Propaganda im Schulunterricht

Weil Wirtschaft ja so unglaublich wichtig ist, und man alles andere nicht verstehen kann, wenn man die Wirtschaft nicht versteht, wird den Kindern in der Schule jetzt auch beigebracht, wie Wirtschaft geht. Das Problem ist allerdings: Es gibt kaum vernünftiges Lehrmaterial für Kinder. (Und wie inzwischen zugegeben wird, ist es mit dem Lehrmaterial für angehende Wirtschaftswissenschaftler auch nicht weit her). Generationen von Pädagogen haben an Lese- und Mathebüchern, Sachkunde und so weiter getüftelt – aber Wirtschaft stand nicht auf dem Lehrplan. Jedenfalls nicht in der Mittelstufe, sondern höchstens in der Oberstufe oder der Berufsschule.

Zwar kann ich mich dunkel erinnern, dass einem irgendwann einmal, vermutlich im Sachkundeunterricht, erzählt wird, wie ungeheuer praktisch Geld doch ist, weil man dann nicht immer die Schweinehälften mit sich herum tragen muss, um sie gegen irgendetwas anderes einzutauschen. Und im Geschichtsunterricht kam dann irgendwann der Merkantilismus und danach die Industrielle Revolution – inklusive der damit verbundenen gesellschaftlichen Umwälzungen.

Das Elend der Massen, die diese Umstellung der Produktionsweise mit sich brachte, wurde auch in den westdeutschen Schulbüchern sehr anschaulich geschildert. Aber zum Glück wurden dann ja der Sozialstaat erfunden und allen ging es endlich richtig gut! Okay, fast allen. Und dazwischen gab es noch ein paar Weltkriege und das Dritte Reich. Aber dann, Ludwig Erhard, Wirtschaftswunder, Wohlstand für (fast) alle und so weiter. Klar, es gab auch ein paar Ungerechtigkeiten in der dritten Welt und dann auch noch die Umweltverschmutzung, darüber haben wir in der Oberstufe auch diskutiert. Aber doch nicht über krisensichere Geldanlagen, Staatsverschuldung oder private Altersvorsorge!

Heute ist das anders – dank ein paar weiterer Erfindungen wie dem Handy und dem mobilen Internetzugang können sich auch Kinder und Jugendliche heutzutage schon massiv verschulden. Außerdem muss man dem Nachwuchs ja beibringen, wie er sich angesichts einer für viele wertlosen Arbeitslosen- und Rentenversicherung eine eigene Versorgung aufbaut.

Und trotz der aktuellen Erfahrungen mit der Untauglichkeit von innovativen Finanzprodukten wird den Schülern genau das beigebracht: Die müssen einfach sein, weil es ohne nicht geht. In der Fachsprache heißt das verharmlosend “Begeisterung für den richtigen Umgang mit Geld” wecken. Und Geld, das man in den Sparstrumpf steckt, macht definitiv keinen Spaß! Und ganz wichtig, die Kinder lernen auch, dass der Sozialstaat weitgehend obsolet ist: “Wir haben gelernt, daß das Solidaritätsprinzip nicht mehr funktioniert, wenn sich bestimmte Voraussetzungen ändern.” Aber das macht nichts – selbst ist der freie Mensch! Damit sich die Finanzwirtschaft auch morgen noch dumm und dämlich verdienen kann, werden die Kinder heute schon mit hilfreichen Materialien wie My Finance Coach indoktriniert.

MFC ist ein Produkt von so unverdächtigen Institutionen wie dem Versicherungsriesen Allianz, der PR-Agentur Grey und der Unternehmensberatung McKinsey. Eine eigens im Oktober 2010 ins Leben gerufene Stiftung versteht sich als “gemeinnützige Initiative zur Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung von Jugendlichen”. Das ist doch mal nett. MFC liefert ein Komplettpaket aus “didaktisch aufbereiteten” Unterrichtsmaterialen, den dazu gehörigen Lehrerfortbildungen und bei Bedarf können auch sogenannte Coaches, “Experten aus verschiedenen Unternehmen” in Schulklassen geschickt werden, um konkrete Alltagstipps zu liefern und das bereits erworbene Wissen zu vertiefen. Meist kommen diese Experten aus dem “richtigen Leben” bei den Kindern auch besser an als langweilige Lehrer.

Dass in dem Propaganda-Material nur die sehr einseitige Sicht der genannten Institutionen enthalten ist, verwundert zwar nicht, scheint die für die Schulbildung eigentlich zuständigen Institutionen aber nicht weiter zu irritieren. Pluralismus ist out, inhaltliche Ausgewogenheit total von gestern. Zwar müssen Schulbücher vor der Zulassung von den jeweils zuständigen Kultusministerien bzw. Schulbehörden geprüft werden – für so genannte freie Unterrichtsmaterialien gilt das aber nicht. Und weil das Geld knapp ist, ist so ziemlich jede Initiative willkommen, wenn sie nur bunte Heftchen und einfache Anleitungen für den Unterricht mitbringt. Ein offenes Scheunentor für neoliberale Ideologen. Die Wirtschaftslobby und ihr politischer Arm in FDP und CDU haben längst ein Netzwerk gestrickt, mit dem die Schulbildung systematisch im Sinne der Wirtschaftsvertreter beeinflusst wird.

Dazu gibt es auch schon eine Studie der Universität Bielefeld, die unter dem Titel Wem gehört die ökonomische Bildung? im Netz zu finden ist. Die Analyse von Lucca Möller und Reinhold Hedtke zeigt, wie erfolgreich die Unternehmerlobby ihre Weltsicht bereits im Schulunterricht verankert hat. Positionen und Perspektiven von Verbraucherschützern, Gewerkschaften, Umweltverbänden oder gar globalisierungs- und kapitalismuskritische Ansätze kommen in den von ihnen zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialien überhaupt nicht vor. Warum auch. Das könnte am Ende den gewünschten Lernerfolg beeinträchtigen.



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