Waren das noch Zeiten ohne Handy und Laptop: kaum war die Schule aus, konnte es nicht schnell genug nach draußen gehen. Gleich nach dem Mittagessen holten wir die Hunde der Nachbarn ab und tobten los auf Wiesen und Bäume, an Bäche, auf Erdhügel und manchmal auch ins kleine Wäldchen, das ganz oben auf der Gemarkungsgrenze steht.
Heute rücken die betonierten Flächen von Städten und Stadtteilen immer mehr zusammen, zudem haben viele Kinder zwischen Schule, Musikschule und Sportverein kaum mehr freie Zeit und verbringen die wenigen unverplanten Minuten am Handy, vor der Playstation oder vor dem Rechner. Laut einer Studie lassen 49 Prozent der befragten Eltern ihre Kinder nicht auf Bäume klettern und viele Schulkinder wissen nicht, wie eine Kuh oder ein Schwein in echt aussehen oder riechen. Dabei gibt es auch in der Großstadt jede Menge Natur zu entdecken. Also nichts wie raus in den Stadtpark und wer mag, kann sich auch auf dem Balkon ein kleines grünes Reich zaubern, in dem sich Blumen und Kräuter ziehen und Insekten beobachten lassen.
Was alles in der Stadt grünt und blüht, kreucht und fleucht, hat Bärbel Oftring jetzt in Zusammenarbeit mit dem NABU in ihrem kleinen Buch “Natur entdecken in der Stadt” zusammen gefasst. Vier Kapitel zeigen, wie sich das pralle Leben zwischen Betonwänden, City-Autobahnen und Einkaufszentren hautnah im Wandel der Jahreszeiten erleben lässt. Mit entsprechendem Saatgut wird beispielsweise der Seitenstreifen zur bunt sprießenden Wildblumenoase, die Pollen, Nektar und Samen für Insekten bieten. Auch die großen pelzigen Hummeln lieben dieses Angebot und tanken Kraft aus süßem Nektar. In kleinen Totholz-Haufen am Haus tummeln sich mit der Zeit Spinnen, Schnecken, Kröten oder Molche, selbst Mauerritzen oder die Unterseite von großen Trittsteinen sind von vielen kleinen Lebewesen bewohnt.
Ob Fledermäuse, Mauersegler, Höckerschwäne, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Schmetterlinge, Bienen oder Eidechsen: Überraschend zu lesen, dass viele Wildtiere immer öfter vom Land in die Stadt wandern und sie haben gute Gründe dafür. So ist es im Winter zwischen Häusern immer ein paar Grad wärmer als auf dem freien Feld, die Luft ist kaum durch Pestizide belastet, außerdem ist der Tisch für Waschbär, Rabe & Co. das ganze Jahr über reich gedeckt: an Straßencafes oder vollen Mülleimern fällt immer etwas für neugierige Zaungäste ab.
Gerade in Berlin kennt man einen Artenreichtum, der in vielen ländlichen Gegenden selten geworden ist: da schlagen sich in der Dämmerung Füchse in die Büsche, Wildschweine wühlen sich durch Vorgärten in den Randgebieten und ab und zu verirrt sich auch ein Dachs ins Treppenhaus.
Bevor im Schlossgarten zahlreiche Platanen dem Bahnprojekt S21 abgeholzt wurden, besaß die Stadt die größte Gelbkopfamazonen-Population außerhalb Südamerikas. Vor allem in den Morgenstunden lohnt sich eine kleine Vogelpirsch, die zahlreiche Arten mit ihren verschiedenen Liedern zum echten Vergnügen machen. Ein paar der Sänger sind im Buch auch abgebildet. Der Naturschutzbund startet im Mai übrigens wieder seine jährliche “Stunde der Gartenvögel” und zahlreiche Naturfreunde zählen im Garten, auf dem Balkon oder im Park, wie viele Vögel sich innerhalb einer Stunde dort blicken lassen.
Insgesamt 99 Tipps hat die Autorin zusammen gestellt, wie sich das Leben mit pelzigen, gefiederten, krabbelnden oder fliegenden Mitbewohnern noch bewusster und lehrreicher gestalten lässt. Viele Farbfotos und Zeichnungen erläutern, welche Beeren essbar und welche giftig sind, welche Wildtiere den Stadtpark bevölkern, welche Sterne am Himmel stehen oder wie man seine Umgebung mit Pflanzen, Nistkästen und Insektenhotels naturnäher gestalten kann.
Ein Naturführer der besonderen Art und ein Buch, das schon beim Lesen beflügelt. Und wer nur einige der zahlreichen Tipps umsetzt, wird garantiert mit tollen Naturerlebnissen belohnt.
Die Autorin leitet übrigens seit einigen Jahren Naturforscher-AGs für Kinder von der ersten bis zur 6. Klasse und lebt mit ihrer Familie in Böblingen.
Bärbel Oftring “Natur entdecken in der Stadt. 99 Tipps für das ganze Jahre”, 96 Seiten, Klappenbroschur, 9 Euro 99, Kosmos Verlag