Minister weggetreten!

"Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe."
Diensteid für Bundesbeamte
Die Regierung führt und kontrolliert die Verwaltung und alle operativen Einheiten, die in ihren Diensten stehen. Nur mittelmäßige Abgeordnete, Dezernenten und Minister lassen sich von ihrem Apparat vereinnahmen. Die so Entsandten sind oft schon wenige Zeit später für die, die sie entsandt haben, nicht mehr zu sprechen. Begründet wird das dann mit den nur "schwer erklärbaren Strukturen", und dem Geheimhaltungsgrad der ihnen anvertrauten Informationen. Nach Ablauf der Periode genieren sich diese Totalausfälle parlamentarischer Kontrollarbeit meist nicht, erneut zu kandidieren, und sich dabei mit ihren Insiderkenntnissen über die von ihnen mittlerweile selbst verkomplizierten Strukturen zu empfehlen. Es gilt übrigens in Verwaltungsapparaten von Behörden und öffentlichen Unternehmen als besonders billig, Mitglieder der SPD auf diese Weise einzukaufen.
Die härteren Brocken sind die aus dem sog. bürgerlichen Lager. Die sorgen manchmal für Aufruhr im Beamtenapparat. Wer es richtig böse meint mit den Erbhöfen von Adel und Großbürgertums, also dem auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium, der schickt ihnen Minister mit großem Ego und empfindlichen Seele ins Haus.
Zur Erinnerung: Drei Wochen vor den letzten Bundestagswahlen (09/2009) unterlief der Bundeswehr der folgenschwere Fehler in Kundus. Oberst Klein hatte einen NATO-Luftangriff auf eine vermeintliche Taliban Formation aus zwei Tanklastwagen angefordert. Bei dem Angriff kamen rund hundert Zivilisten ums Leben, inklusive Kindern. So eine Nachricht konnte kurz vor den Wahlen niemand gebrauchen. Kurz danach eigentlich auch nicht. Der gerade wiederernannte Verteidigungsminister Jung durfte gleich wieder gehen, nachdem er -vermeintlich falsch informiert- den Fall "klein" geredet hatte.
Die Frage, wer wann was gewusst hat und wen wann worüber informiert hat, blieb auch bei Jungs Nachfolger lange in den Medien. Jemand, der sich mit den Befehlsstrukturen der Bundeswehr besser auskennt als ich, sagte mir, ihm falle auf, dass niemand den Auftrag thematisiere, den Oberst Klein im Begriff gewesen war, umzusetzen, und dass die Opposition, allen voran Frank-Walter Steinmeier, auffallend vorsichtig agiere. Man dürfe sich das nicht so vorstellen, dass ein Oberst in Afghanistan ohne Rücksprache einen Luftangriff anfordere und die zuständigen Minister (Verteidigung und Äußeres) sich anschließend durch Berichte wühlen müssten, um davon zu erfahren. Ein moderner War-Room wie das Einsatzführungskommando in Potsdam biete da heute viel mehr Möglichkeiten der Einbindung hochrangiger und geografisch weit entfernter Entscheidungsträger.
Ich will nicht darauf hinaus, den Fall Kundus militärisch oder rechtlich oder moralisch zu bewerten. Sondern darauf, die Aufmerksamkeit auf den anschließenden Konflikt zwischen dem Minister und seinen Beamtenapparat zu lenken. Wir haben hier nämlich m.E. den Fehler gemacht, den Minister für den starken Mann, und die entlassenen Beamten Schneiderhan und Wiechert für die Opfer zu halten.
Verfolgt man die im Internet verfügbaren Zeitungsartikel von 2009/10 noch einmal nach, war es zunächst Oberst Klein, der seinen Fehler - die Fehleinschätzung, die aus zwei Tanklastern bestehende Formation stelle zweifelsfrei ein Taliban Selbstmordkommando auf dem Weg zu einem Bundeswehrstütztpunkt dar, soweit wie möglich herunterspielen wollte. Staatssekretär Wiechert gründete eigens eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel, die Ermittlungsarbeiten von Militärpolizei und NATO so zu beeinflussen, dass das Handeln von Klein als Fehler innerhalb seines Ermessensspielraums eingestuft werden würde. (vielleicht von Bedeutung: Es war das erste mal, dass die Bundeswehr Luftunterstützung für einen Angriff auf die Taliban angefordert hatte.) Vereinfacht gesagt: Wiechert organisierte den Spin, um den Oberst so glimpflich wie möglich davon kommen zu lassen. Verteidigungsminister Jung wurde da fahrlässig oder bewusst im Unklaren gehalten. Aktiv formuliert: Der Minister hatte es "versäumt", die Informationen, die von den Leitstellen in Afghanistan nach Potsdam gemeldet worden waren, und die für seinen Bundestagswahlkampf so unpassend waren wie nur was, zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht eine Gelegenheit, die sich der Corpsgeist zunutze machen wollte: Wenn Jung es nicht wissen will, müssen wir es nicht an die Glocke hängen. Jedenfalls verhinderte man nicht, dass der Minister öffentlich behauptete, in Kundus hätte es keine zivilen Opfer gegeben. Die Beamten, auch Generalinspekteur Schneiderhan, ließen ihren Minister ins Abseits laufen. Und aus diesem Abseits gab es kein zurück. Das mutmaßliche Kalkül: Ist Jung weg, steuern wir, was der Nachfolger von der Sache erfährt. Vor allem aber: Zeitgewinn. Der Apparat entledigte sich seines Dienstherrn. Schneiderhan riskierte dabei vergleichsweise wenig, sein Eintritt in den Ruhestand stand für Mitte 2010 an.
Ob es bei den Absichten, Klein aus der Schusslinie zu halten, nur um eine möglichst günstige Auslegung seines Verhaltens ging, oder um mehr, ist in den Medien nicht tiefer behandelt worden. Klein hatte sich bei seiner Entscheidung auf einen afghanischen Informanten gestützt, von dem hinterher zu lesen war, der habe zu dem Schauplatz gar keine direkte Sichtachse gehabt und hätte Klein keine verwertbaren Hinweise geben können.
Über den Generalinspekteur Schneiderhan war nach Jungs Rücktritt im Herbst 2009 zu lesen, er habe zu Jung kein allzu gutes Arbeitsverhältnis gehabt. Mit anderen Worten: Wer als Minister wissen will, was der Generalinspekteur weiß, muss sich gut mit ihm stellen. Der Beamte will den Minister kontrollieren, das Grundgesetz sieht es aber genau andersrum vor.
Mit diesen Informationen in Erinnerung fällt es leichter zu glauben, dass Guttenberg recht hatte, Schneiderhan und auch Wiechert zu unterstellen, sie hätten ihn, jedenfalls nicht proaktiv, vollständig über den Kenntnisstand und die Hintergründe von Kundus aufgeklärt. Guttenberg hatte ja zunächst verlautbart, der Angriff sei militärisch angemessen gewesen und musste später zurückrudern. Mit dem was wir heute über die Persönlichkeitsmerkmale Guttenbergs wissen: Eitelkeit, ein um Bestätigung ringendes Ego- kann man ihm einen sicheren Instinkt dafür unterstellen, wenn ihn jemand für dumm verkaufen will und dabei unterschätzt. Und dabei die Rollenverteilung zwischen dem Minister als Dienstherrn und dem Beamten als Diener vertauschen will. Auf der einen Seite der jungpomadige Wahlkämpfer und Transatlantiker mit Powerpointfolien für eine Bundeswehrreform in der Tasche, auf der anderen der langgediente Beamte, der einen Oberst vor einem Karriereknick bewahren will und dem es dabei egal ist, wer unter ihm Minister ist.
Guttenberg fackelte nicht lange und handelte, wie Macchiavelli es empfiehlt: Er ließ gleich zwei Köpfe rollen.
Sein Denkfehler dabei: Die Sache sei damit ausgestanden. Ein Jahr später stellte Guttenberg seine Reformpläne für die Bundeswehr und sein Ministerium vor. Und wieder ist sein Handeln nicht geeignet, die Zuneigung seiner Beamten zu erringen. Abschaffung der Wehrpflicht, Schießung von Standorten in der Fläche? Geschenkt, das juckt keinen Bonner oder Berliner Beamten. Kritischer war schon die Ansage, das Ministerium von Bonn nach Berlin zu verlegen und von 3.000 auf 1.800 Mitarbeiter schrumpfen zu wollen. Das sollte durch Auslagerung von Ministeriumsplanstellen in ein neu zu schaffendes Amt erfolgen. Die finanziellen Einbußen der Betroffenen wären dabei nicht so groß gewesen wie sie an Einfluss zu verlieren drohten. Besonders die Rolle des Generalinspekteurs sollte beschnitten werden, schrieb die SZ am 08.02.11. Guttenberg legte sich erneut mit seinem Beamtenapparat an.
Es dauerte ca. drei Monate, bis "Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano den offenbar abgeschriebenen Passagen in Guttenbergs Doktorarbeit bei einem Glas Rotwein" (SZ) auf die Spur kam. Die SZ schreibt, der Professor aus Bremen habe die Dissertation aus Eigeninteresse gelesen, weil Guttenberg über ein Thema promoviert habe, in dem auch er arbeite. Und nur routinemäßig habe er einige Phrasen aus der Arbeit bei Google eingegeben. Und dann einen Treffer bei der NZZ gelandet. Was in dem SZ Artikel nicht steht, was man aber bei Wikipedia findet ist, dass sich eben dieser Fischer-Lescano zuvor in der Kundus-Affäre positioniert hatte. Und zwar dahingehend, dass wenn man von Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen nicht die gleiche Sorgfaltspflicht wie bei der Heimatverteidigung verlangen könne, die Auslandseinsätze an sich in Frage zu stellen seien.
Wer sich mit dem höheren Dienst anlegt, muss sich sehr gut vorbereiten. Sollte seine Strategie auf Beharrlichkeit und Ausdauer anlegen. Sollte nicht für kurzfristige Karriere- oder Egoeffekte empfänglich sein. Der Fall Guttenberg ist nicht nur eine Lektion in Sein und Schein. Sondern deckte auch für einen kurzen Moment auf, welche zerstörerische Macht der deutsche Ministerialapparat (die höheren Beamten) entfalten kann, wenn ihm einer zu nahe rückt. Diese Herren wussten schon immer, wie sie zu Vorteilen gelangen, ohne Geräusche zu produzieren. Wie sie sich organisieren, dass zwar alle Vorteile aber niemals die Frage nach Verantwortung den Weg zu ihnen finden. Der eitle Guttenberg war die ideale Provokation, um den Beamtenapparat zu outen.
Guttenbergs Nachfolger de Maiziere hat mit diesem Apparat keine Probleme. Er diente sich diesem gleich mit der lakonischen Bemerkung an, sein Vorgänger habe ihm das Ministerium in desolatem Zustand hinterlassen. Ansonsten hat de Maiziere die Reformen aber offenbar vollständig mit den Betroffenen abgestimmt. Ob er hier seinen Beamten dient oder umgekehrt verschwindet im Nebel der ausbleibenden Berichterstattung.
Apropos, Steinmeier: Dessen Umgang mit Murat Kurnaz zeigt ebenfalls, wie schmerzbefreit deutsche Beamtenmentalität mit Einzelschicksalen umgeht, wenn es der Diplomatie dient. Da kann es einen schon mal nach Guantanamo verschlagen, dem Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier macht das keine Gewissensbisse. Obacht! - vor denen, die sich mit den Beamten gut verstehen.
"Man glaubt man schiebt, dabei wird man geschoben."
Joachim Ringelnatz

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