„Meine Geschichte hat ein Happy-End, wir haben überlebt.“ (E. Weyl)

Gestern Abend im Goli Theater Goch.
Während im Saal noch tüchtiges Gemurmel herrscht, betritt eine Dame die Bühne. Ihre Miene ist freundlich, sie lächelt. Das Licht erlischt und auch das Gemurmel verstummt. Die Dame lächelt nicht mehr, denn die Geschichte, die sie zu erzählen gedenkt, ist alles andere als lustig.
Frau Eva Weyl ist gekommen, um ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen, ihre ganz persönliche Geschichte vom Holocaust.
Die Familie Weyl war vor dem NS-Regime eine angesehene und erfolgreiche Familie, doch wie so viele jüdische Familien verloren sie alles, bis auf die Kleider, die sie am Körper trugen.
„Meine Geschichte hat ein Happy-End, wir haben überlebt.“ sagt Frau Weyl und lächelt.
Die Familie floh in die Niederlande, in der Hoffnung, dass diese auch im Zweiten Weltkrieg neutral bleiben würden, wie schon im Ersten Weltkrieg.
Aber auch in Arnheim erreichte die Familie ein Brief, dass sie nach Westerbork gehen müssten. Was einst als Auffanglager für jüdische Flüchtlinge errichtet wurde, diente nun als Durchgangslager. Nach außen hin wirkte alles ganz annehmbar, wie ein kleines Dorf. Die erwachsenen Häftlinge mussten alle arbeiten, die Kinder besuchten die Schule im Lager.
„Ich ging zur Schule, das war schön.“so Frau Weyl. Als Kind schloss sie Freundschaften mit anderen Kindern im Lager. „Dienstags fuhr der Zug in den Osten, und am nächsten Tag blieben einige Plätze in der Klasse frei. Ich konnte gar nicht verstehen, wo meine Freunde und Freundinnen hingegangen waren. Man wusste nichts genaues, es gab bloß Gerüchte.“
Die Menschen in den Lagern konnten und wollten diese Gerüchte nicht glauben. So etwas Grausames macht doch kein Mensch. Ihr Vater arbeitete zunächst als Bauer außerhalb des Lagers. Später dann in der Administration. In dieser Position durfte er das Lager auch verlassen. Flucht kam jedoch nie in Frage.
„Ans Flüchten dachte er nie. Schließlich waren meine Mutter und ich quasi als „Geiseln“ noch in Westerbork.“
Doch natürlich erhofften sich andere Mithäftlinge seine Hilfe. Der enorme Druck veranlasste den Vater dazu, sich freiwillig in den Osten deportieren lassen zu wollen. Nur durch gutes Zureden eines befreundeten Häftlings änderte er seine Meinung.
Mir persönlich lief es bei der Episode schon eiskalt den Rücken herunter. Wie nah Leben und Tod beieinander lagen und wie verzweifelt die Menschen waren, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Das größte Glück hatte die Familie womöglich im April 1945.
Ihre Deportation stand kurz bevor.
Die kanadischen Bomber verwechselten den großen, rauchenden Kamin, mit brennenden Trümmern auf deutschem Boden und warfen ihre Bomben zu früh ab. Das Lager wurde getroffen. In dem Durcheinander ging die Liste mit den zu deportierenden Personen verloren und der Zug fuhr nicht ab. Dieser Angriff der Kanadier rettete der Familie Weyl das Leben. Als das Lager wenig später durch die Kanadier befreit wurde, mussten die Menschen noch wochenlang in Westerbork bleiben, weil um sie herum noch gekämpft wurde.
„Ich halte diese Präsentation hauptsächlich in Schulen, weil ich die jungen Leute warnen will!“, so Frau Weyl. Die Jugend solle aufpassen und sich nicht blenden lassen, damit so etwas nie wieder passieren kann. Mit ihren 79 Jahren strahlt Frau Weyl eine enorm positive Energie aus. Ihr Vortrag war zu keinem Zeitpunkt langweilig und zwischendrin wurde tatsächlich auch gelacht. Vielleicht kann man so diese doch schwere Kost besser vertagen.
Mein persönliches Highlight des Abends war eine Anekdote zur Ankunft in Westerbork. Da die Familie wusste, dass neue Ankömmlinge auf Wertsachen durchsucht wurden, z. B. in den Säumen der Jacken, nähte die Mutter Rohdiamanten in die Knöpfe des Mantels ihrer Tochter. Eya Weyl wusste davon nichts.
„Ich habe überlebt, meine Eltern haben überlebt und das Mäntelchen hat überlebt.“. Die Knöpfe verwahrte die Mutter über 10 Jahre in einem Bankschließfach auf und ließ anschließend einen Ring anfertigen, in den die Edelsteine eingearbeitet wurden. Erst kurz vor dem Tod der Mutter wurde ihr die Geschichte zu den Diamanten erzählt.
Ein sehr bewegender und interessanter Abend mit einer liebenswürdigen Dame als Gastgeberin, die neben Einblicken in ihr Familienalbum auch Einblicke in das wohl düsterste Kapitel der deutschen Geschichte gegeben hat.
Ich verneige mich vor dieser Frau und wünsche ihr alles erdenklich Gute.
Liebst, Jenny

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