Gabi ist schon seit einiger Zeit eine treue Leserin meines Blogs und hat mir insbesondere zu den Themen Laufen und Persönlichkeitsentwicklung für meinen Weg immer wieder wunderbare Tipps und Denkanstöße gegeben. Eine ihrer Aussagen zu meinem großen Traum vom Marathon hat mich so berührt, dass ich sie unbedingt als Interviewpartnerin für meinen Blog gewinnen wollte: “Du wirst sehr viel über dich und das Leben lernen. Sich mit dem Marathon einzulassen, ist wie eine komplizierte Liebesbeziehung. Er wird dir Hoffnungen machen, dich auf Wolke sieben schweben lassen, er wird dir weh tun, er wird launisch und unberechenbar sein, du wirst zweifeln, dann wieder neue Hoffung schöpfen.” Heute könnt ihr nachlesen, welche Erfahrungen Gabi mit ihrer besonderen “Liebesbeziehung” gemacht hat…
Kristin: Als du mit dem Laufen begonnen hast, wann war dir klar, dass du einmal einen Marathon laufen möchtest?
Gabi: Das hat sich schrittweise entwickelt. Zuerst wollte ich nur zum Ausgleich joggen, dann eine ganze Stunde lang, dann noch etwas länger und irgendwann kam dann ein Halbmarathon. Nach drei Jahren war ich bereit zum Marathontraining. Ein einziges Mal wollte ich damals die 42 Kilometer laufen!
Kristin: Dabei ist es nicht geblieben. Du bist dieses Jahr deinen 7. Marathon gelaufen, liebe Gabi! Kannst du dich überhaupt noch an deine ersten 42,195 km erinnern?
Gabi: Oh, da erinnere mich ganz genau. Das „erste Mal“ vergisst man nicht! Es war 2002 in Wien und ich kann mich an viele Einzelheiten erinnern: Die Nervosität vor dem Lauf, das Gefühl, fehl am Platz zu sein unter all den trainierten, drahtigen Marathonläufern. Dann die emotionalen Momente beim Start, die allgemeine Euphorie, der Countdown. Wie leicht die ersten Kilometer zu laufen waren! Das Gefühl, Teil einer riesigen Lauffamilie zu sein. All die Sehenswürdigkeiten an der Strecke, die Zuschauer, die Straßen, die nur uns Marathonläufern gehörten, einfach super! Unendlich lang ist ein Marathon. Nennenswerte Probleme hatte ich keine. Die Kilometerschilder waren als Countdown aufgestellt bei KM 7 waren schon 35 Kilometer gelaufen, und ich dachte noch: was haben die nur alle mit der ominösen 35-Kilometer-Marke? Zwei Kilometer später, als „nur“ noch fünf zu laufen waren, machte ich erstmals Bekanntschaft mit jenem spezifischen Empfinden, das man hat, wenn die letzten Kohlehydratreserven immer mehr zur Neige gehen. Diese schweren Beine, diese Müdigkeit, die den ganzen Körper erfasst, das Gefühl, als wären die Kilometer plötzlich um ein Drittel länger und die seltsamsten Gedanken, die wie schwarze Nebel aufstiegen.
An diesem Punkt fragte ich mich, warum nur ich diese Schnapsidee gehabt hatte, 42 Kilometer zu laufen. Ich schwor mir auf diesen letzten Kilometern, nie mehr eine solche Distanz zu laufen, kurzfristig dachte ich sogar daran, nach diesem Schlamassel nie mehr die Laufschuhe anzuziehen. Aber beim Rennen gibt es kein Kneifen, da kann man sogar mit bleischweren Beinen und wirren Gedanken weiterlaufen.
Kristin: Und du bist auch beim ersten Marathon im Ziel angekommen! :-) Wie hat es sich angefühlt, das erste Mal zu finishen?
Gabi: Ich konnte es kaum glauben, dass ich im Begriff war, meinen ersten Marathon zu finishen. Ich war leer und erfüllt zugleich. Irgendwo vorm Parlament standen mein Mann und meine Kinder. Eine Kurve nach links und dann Richtung Wiener Rathaus. Plötzlich war das Ziel da. Keine großen Emotionen, keine Tränen, nur grenzenlose Dankbarkeit dafür, dass es vorbei war. Und der Beginn einer neuen Liebe!
Kristin: Mittlerweile bist du schon ein Marathonprofi und so einige Male die Königsdistanz gelaufen. Welchen Ort würdest du aus heutiger Sicht für deinen ersten Marathon wählen?
Gabi: Für den ersten Marathon würde ich einen der großen Stadtmarathons auswählen. Er sollte möglichst flach sein. Durch die vielen Teilnehmer bist du nie allein und der Ansporn der Zuschauer kann dich besonders auf den letzten Kilometern sehr motivieren.
Kristin: Apropos “motivieren”…Die Wochen vor einem Marathon – und natürlich besonders vor dem ersten – erfordern diszipliniertes Training. Wie kann man sich täglich motivieren?
Gabi: Die Entscheidung für einen Marathonstart und der damit verbundene Respekt vor dieser Distanz sind für mich die stärkste Motivation. Durch meine definitive Anmeldung bin ich voll und ganz bereit, das Training durchzuziehen.
Das Marathontraining, das muss man aber ganz klar sagen, bedeutet die Bereitschaft, einige „Opfer“ zu bringen. Das klingt jetzt ganz furchtbar spießig, ich weiß. Disziplin, Fleiß und Zähigkeit sind gefragt. Das Laufen spielt jetzt eine große Rolle in deinem Leben. Eine sehr große Rolle. Oft musst du bei grauslichem Wetter raus. Du kannst vielleicht nicht bei jeder Feier mitmachen. Einmal pro Woche müssen mehrere Stunden für den langen Lauf freigeschaufelt werden. Du wirst manchmal müde und erschöpft sein, was vielleicht beim Partner, deiner Familie und Freunden keine große Begeisterung hervorrufen wird. Manche werden dich sogar für verrückt halten. Deine Füße sehen vielleicht nicht ganz so schön aus wie bisher. Ab und zu wird dir was weh tun. Neben dem Training musst du auch dehnen, kräftigen, Berge von Wäsche waschen und und und…
Kristin: Das klingt nicht gerade nach einer großen Liebe. Und dennoch hast du den Vergleich mit einer komplizierten, aber wunderbaren Liebesbeziehung zum Marathon gezogen. Erklär uns das doch bitte einmal genauer! Ich bin neugierig! :-)
Gabi: Also, der Marathon ist unheimlich attraktiv, faszinierend und hat eine magische Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen kann. Andere verstehen oft nicht, was du an diesem Typen bloß findest. Er ist schwierig, du weiß nicht, woran du bei ihm bist. Er ist undurchschaubar und steckt voller Überraschungen (angenehme und unangenehme). Oft ist er sogar gemein und tut dir richtig weh. Trotzdem kommst du nicht los von ihm, und ein paar Tage danach stöberst du im Internet wieder nach attraktiven Marathons, die du unbedingt laufen möchtest.
Du denkst oft an nichts anderes als an ihn. Essen, Schlafen, das Wetter, die Wochenendplanung, der Urlaub, alles steht in seinem Zeichen. Besonders arg ist der Tag davor. Du hast feuchte Hände, Schmetterlinge im Bauch, hast keinen Appetit, kannst nicht schlafen.
Wenn du meinst, es ist jetzt genug mit eurer Beziehung und du Schluss machen willst, ist er so lange hinter dir her, bis du wieder klein beigibst. Aber: Er ist so toll, großartig und schön (hm, zumindest, wenn du im Ziel bist…), dass du das alles gern in Kauf nimmst und ihn von ganzen Herzen liebst. Forever and ever…