Máncora

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Máncora war schön. Nein nicht der Ort, einmal mehr waren die Menschen es, die einem Ort eine Heimat im Gedächtnis gaben. Máncora war einst ein verschlafenes Fischerdorf, was vor geraumer Zeit von Surfern ›entdeckt‹ wurde und im Laufe der Zeit zu einem Mekka für zerstreuungswillige, sonnenhungrige Touristen wuchs. Mein Gästehaus lag am nördlichen Ende der kleinen Stadt. Das Rauschen des Meeres wurde also nicht mit bekloppter Musik, oder dem Herumbrüllen fliegender Händler gestört. In der ersten Nacht fiel die Wasserversorgung für die Toiletten aus. Dementsprechend appetitlich roch es am nächsten morgen. War aber nicht so schlimm, denn das Frühstück ähnelte in Geschmack und Menge ohnehin Sträflingsnahrung. Ach! Ich liebe Gästehäuser, die mit Gratis-Frühstück locken! Diesmal wurde aber der Vogel abgeschossen: Es gab einen Brotkorb mit aus Mücken gemachten Elefanten: Mit Brötchen. Groß wie Tennisbälle, weich wie das Herz einer traurigen Mutter. Rappelvoll die Kiste. Nun könnte man meinen: Hau dir ‘n Kilo davon rein. Macht auch satt – Pustekuchen! Diese Brötchen waren abgezählt. Für jeden zwei! Zwei. Das haben die auf den Korb geschrieben! Dazu wurde Butter serviert. Im Block. In Größe und Konsistenz eher mit einem Mauerziegelstein zu vergleichen. Die Alternative war rot leuchtende Marmelade aus der Tube, die ich nicht essen konnte – wollte: Zucker. Ich versuchte also die Butter aus Brot zu kriegen und sah das Messer schon brechen, als ich endlich ein Stück dieses weißen Findlings herausbrach. Ich wechselte die Technik. Und den Arm. Denn der eine wurde müde. Am Ende ähnelte mein mit Butter beschmiertes Brötchen einem mit Brötchen bestrichenem Stück Butter. Zum Trinken gab es eine Thermoskanne heißes Wasser, dass man mit Teebeuteln oder Insant-Kaffee geschmacklich akzentuieren durfte. Ja, und wo ist das Problem, denkt der Leser. Der Fehler liegt im Detail! Ich schrieb ›eine Thermoskanne‹. Eine. 1. Uno. Alleine in meinem Schlafsaal schliefen Acht Leute … Acht durstige Leute.

Trotzdem, Máncora war schön. Ich lernte dort Pauline aus Frankreich kennen. Pauline ohne Rückflugticket, auf einer Reise ohne Wiederkehr. Weil sie nicht leben will – nicht in Frankreich. Aber sie weiß noch nicht, was sie machen will, nur, dass es nach San Diego in den USA gehen soll – weil sie Musik so liebt. Rockmusik. Wir tranken viel, lagen nachts am Strand, den der Mond erhellte und hörten den Wellen zu. Man braucht keine Sprache, um sich zu verstehen. Und immer nachts, wenn ich den Strand entlang ging – das Wasser haschte nach mir, aber es ergriff immer nur meine Spuren – musste ich an meinen Vater denken: Was würde er tun, wäre er in meinem Alter, hätte er meine Geschichte, und was würde ich getan haben, und wovon träumen, hätte ich seine Vergangenheit? Würde es einen Unterschied machen?

In Máncora habe ich das erste mal eine peruanische Spezialität gegessen: Ceviche. Ceviche, das ist roher Fisch, der in Limettensaft mariniert wird. Dazu gibt es rote Zwiebeln, Chilis, Yucca und Camote (eine Art Süßkartoffel). Darüber werden Dill, Koriander, Petersilie gestreut, sowie Öl und Essig geträufelt. Köstlich.

Am letzten Abend fand eine Full-Moon-Party statt. Bevor es losging, lag ich betrunken in meinem Bett. Pauline in ihrem. Auch betrunken. Obwohl sie ansonsten zurückgezogen, ruhebedürftig wirkte, wollte sie an diesem Abend unbedingt tanzen. Vielleicht war es der Rum, das eine Glas zu viel, an dem Vulkan aus Sand, den ich aufschüttete, dass sich unserer bemächtigte und den Abend ertrank. Und am nächsten morgen sagte sie, als ich das Motorrad auf die Straße schob, sie wolle mich wegfahren sehen. Sie ging vor die Pforte. Der Wind, der Sand, es muss wie im Film ausgesehen haben.

Und ich fuhr. Fuhr durch eine abstrakte Landschaft. Anfangs wand ich mich rot erdige, verdorrte Berge hinauf. Mit jedem Kilometer weiter südlich dann wurde die Landschaft mehr und mehr Wüste. Die Dörfer wirkten trostlos: Lehmhütten mit Wellblech-Dächern. Manchmal auch Stroh. Manche eingebrochen, verlassen. Ausgeschlachtete Autos. Kinder spielten mit LKW-Reifen oder weilten unter den Schatten abgemagerter Bäume. Die Eltern verkauften Motor-Öl, Obst oder Getränke am Fahrbahnrand. Ockerfarben, Geld, Braun, Grau – farblos. An den Fassaden blätterte längst verblichene Reklame. Vom Westen blies kräftiger Wind. Ich musste fortwährend gegenlenken. Überholmanöver wurden aufgrund der Windschatten und plötzlicher Luftstöße immer schwieriger und gefährlicher. Das graue buckelige Band Richtung Lima flimmerte. Zitterte. Selbst der Fahrtwind verschaffte keine Abkühlung. Die Landschaft hatte depressive Züge. Aber trotz der Kahlheit, Eintönigkeit, ihrer Feindlichkeit, wusste sie mich zu interessieren.

Ich hatte noch ungefähr 50 Kilometer bis nach Chiclayo, als mein Motorrad zu ›husten‹, dann zu stottern begann und schließlich stoppte. Das ist schon einmal passiert, aber nach einem Neustart fuhr es wieder. Diesmal aber war der Tank vollkommen leer. Scheiße! Wenige Kilometer zuvor passierte ich ein Schild: ›Zona de Dunes‹. Dabei hätte die Tankfüllung reichen sollen. Ich schaute aufs GPS: Die Tankfüllung hätte reichen sollen. Vielleicht bin ich zu schnell gefahren, vielleicht habe ich nicht optimal geschaltet, definitiv aber war der Wind mitverantwortlich. Glücklicherweise kam eine Strecken-Aufsicht auf einem Motorrad vorbei. Ich hielt ihn an, erklärte meine Lage und bat um Hilfe. Er meinte, dass die nächste Tankstelle ca. 25 Kilometer entfernt sei – zuviel um 200 kg durch die Wüste zu schieben. Schließlich bat er mich um 10 Soles, er würde mir etwas Benzin besorgen. Hoffentlich dachte ich, denn die Erzählung anderer Reisender über Peru und seine Menschen stimmten mich diesbezüglich nicht gerade optimistisch. Dann wurde auch er kleiner, bis er im Flimmern des Horizontes verbrannte. LKWs, Überland-Busse dröhnten vorbei. Lichthupe. Hupe. Sand wehte in den Osten, an manchen Stellen verdeckte er das graue Band. An den schlackernden Stromleitungen schnitten die Böen sich auf, sie verbluteten zischend. Zwei andere Biker rasten an mir vorbei, Europäer. Heiner kam doch noch, nach über einer Stunde. Er hatte eine halbe Gallone in Plastikflaschen mitgebracht. Ich hatte mich kaum bedanken können, da sagte, er, sei spät dran und müsse weiter.

Dann erreichte ich irgendwann Chicalayo. So müssen die Arterien eines übergewichtigen alten Menschen aussehen, dachte ich, als ich die Straßen sah: Überall ramponierte Taxen, die sich raupenhaft fortbewegten, den Verkehr zu lenken bemühte Polizei mit Trillerpfeifen, quietschende Mototaxis, überfüllte Busse …



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