Luc Jochimsen: Eine Woche in Iran, Teil 4

Dr. Lukrezia Jochimsen (Foto: Bundestag.de)

Dr. Lukrezia Jochimsen (Foto: Bundestag.de)

Am Abend gibt es in der Residenz des Botschafters – einem großzügigen Bungalow im Stil des alten Kanzlerbungalows in Bonn inmitten eines großen, alten Parks (Geschenk an das kaiserliche Deutschland) – einen Empfang für Schauspieler, Schriftsteller, Musiker, Tänzer, Maler, Galeristen, Sportler, Geschäftsleute … eigentlich ein Fest. Am schönsten in dem Moment, als ein Komponist sich an den Flügel setzt und Musik improvisiert: ein Klavierkonzert des Augenblicks.

Ich treffe mich mit der Theatergruppe MANI, die schon mit großem Erfolg im Theater Mühlheim an der Ruhr 2008 aufgetreten ist. Gegründet 1994 hat sich die Gruppe dem experimentellen Theater verschrieben und 21 eigene Dramen produziert; ist in zehn nationalen und internationalen Festivals aufgetreten (Fotos verschiedener Produktionen unten). Sie arbeiten zur Zeit an einem Stück für das Teheraner-Theater-Festival im Februar 2011.
Wie kommt ihre Arbeit zustande? Es gibt einen Festivalleiter. Ihm muss man das Script und die Inszenierungsidee einreichen. Dann zahlt er eine Fördersumme für die Einstudierung. Die Generalprobe wird zu einer „Abnahme“. Geht es so? Geht es nicht? Geht es mit Änderungen? Welchen Änderungen? In diesem Fall kommt eine zweite Abnahme – und dann wird die Produktion ins Festival aufgenommen – oder eben nicht. Für den Auftritt innerhalb des Festivals gibt es dann ein Honorar. So arbeiteten sie. So leben sie. Finanziell ist das Theater ein Hungergeschäft, aber ein Publikumsmagnet.

Geld kann man durch Film- und Fernsehproduktionen verdienen. 70 Filme werden in diesem Jahr im Iran produziert. Können das alles Propaganda-Schinken sein? Nein, auf keinen Fall. Es gibt hervorragende Filme, aber ihr Zustandekommen ist stets ein Risiko.

Am Dienstag das Gespräch beim Außenminister Manouchehr Mottaki: Und wieder werden wir vorstellig wegen der inhaftierten Journalisten aus Deutschland. Und wieder gibt es Versprechen, die aber nicht eingehalten werden. In dieser Situation entsteht unser Brief an den Parlamentspräsidenten. Brief (PDF)

Am Abend holen mich zwei Studenten ab. Wir gehen ins Stadttheater. „Hamletmaschine“ von Heiner Müller, übersetzt und inszeniert von Nasser Hosseini-Mehr. Für zwei Wochen auf dem Spielplan im Kellertheater des großen Repräsentativ-Baus aus der Schah-Zeit.

Eine dunkle Werkstattbühne für 250 Zuschauer. In der Mitte auf dem Podest ein Glaskasten. Die Protagonisten: König, Königin, Polonius und Ophelia kommen aus Falltüren, die im schwarzen Boden eingelassen sind. Sie tragen Shakespeare-Kostüme mit Versatzstücken von heute. Ophelia stöckelt auf schrill-roten Stiletto-Pumps einher. Selbstzufrieden hocken sie am Anfang, wenn die Zuschauer in den dunklen Raum kommen, beim Hochzeitsschmaus. Gelächter erfüllt sie alle. Ihnen ist ein Coup gelungen. Sie sind an der Macht. Dann stürzt aus einer der Klapptüren Hamlet mit Harnisch und Schwert.

Was schreit er?
„Ich spiele Hamlet. Dänemark ist ein Gefängnis… something is rotten in this age of hope…”
Ein großer Theaterabend. Ein atemloses junges Publikum.

Hinterher treffe ich Nasser Hosseini-Mehr mit seinem Ensemble im Flur vor den Garderoben. Sie freuen sich über den „internationalen Besuch“. Sie kämen gern nach Berlin. Warum sie ausgerechnet Heiner Müller jetzt in Teheran aufführen? Warum ausgerechnet jetzt nicht?

Quelle: lukrezia-jochimsen.de


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