Lost in Space: Hans-Peter Friedrich und das Internet

1.12.2011 – Hans-Peter Friedrich ist ein Internet-Skeptiker. Mal erklärt er das Web für „unbrauchbar“, wenn es nicht reguliert wird, mal will er die Anonymität im Netz aufheben. Die Experten vom Chaos Computer Club sind ihm suspekt und überhaupt: Ohne die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist es um unsere Sicherheit schlecht bestellt.

Lost in Space: Hans-Peter Friedrich und das Internet

Dementsprechend gespannt waren Kritiker und Anhänger des Innenministers auf dessen Rede anlässlich des gestrigen Demokratiekongresses 2011 der Konrad Adenauer Stiftung. Unter dem Titel „Informieren, orientieren, aktivieren“ sprach Friedrich vor rund 500 Teilnehmern über sich, über das Internet und über die Notwendigkeit einer „Rückbindung an die analoge Welt“.

Themen wie Netzneutralität, Freiheit im Web oder Folgen der Digitalisierung für die politische Willensbildung der Bevölkerung umfuhr der Minister dagegen weiträumig. Er fremdelt halt noch mit dem „neuen“ Medium, statt sich allmählich damit anzufreunden.

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Das „manchmal seltsame“ Internet

Es ist nicht so, als könnte Hans-Peter Friedrich dem Internet überhaupt nichts abgewinnen. Als sein Sohn sich für ein Jahr im Ausland aufhält, da wissen der Minister und seine Verwandten das Web durchaus zu schätzen, wie er berichtet. Zumindest in seinem Teflon-Effekt als gebührenbefreites Telefon mit Bildfunktion. Darüber hinaus erscheint ihm die digitale Welt allerdings als „manchmal seltsam“.

Im Netz kann ich wählen: Wen will ich, wen schalte ich ab.“ So kritisiert Friedrich die sozialen Auswirkungen der globalen Digitalisierung und bemängelt, dass „vernetzte Kinder von heute“ zwar Kontakt zu Freunden in aller Welt halten, die „Gleichaltrigen in der Straße“ aber oft nicht einmal kennen würden. Konsequent fordert er die „Wiederentdeckung des sozialen Miteinanders“ im Ort und begründet seinen Vorstoß mit „Erhebungen“, die angeblich gezeigt hätten, dass Menschen sich gerade im „Zeitalter des Digitalen“ auf Religion und Familie besönnen.

Leider erwähnt der Innenminister nicht, aus welchen Studien er seine Erkenntnisse über die Rückbesinnung auf Religion und Familie bezieht. Offizielle Zahlen bestätigen die vorgetragene Korrelation zwischen Webnutzung und Rückbesinnung allerdings nicht und zeichnen eher das gegenteilige Bild.

Die Zahl der Internetnutzer in Deutschland steigt um jährlich rund drei Prozent an. Mittlerweile verfügen 75 Prozent der deutschen Haushalte über einen Internetanschluss. Gleichzeitig sind alleine innerhalb der vergangenen zehn Jahre insgesamt rund drei Millionen Deutsche aus den christlichen Kirchen ausgetreten.

Nun bleibt es jedem Privatmenschen selber überlassen, ein ungeliebtes Phänomen der Einfachheit halber zu leugnen und sich sein eigenes Modell der Wirklichkeit zu konstruieren. Ein Minister, innerhalb dessen Ressort das Internet zudem eine zentrale Rolle spielt, ist allerdings schlecht beraten, wenn er sich hier von seiner persönlichen Abneigung leiten lässt. Die Auseinandersetzung mit der (digitalen) Wirklichkeit muss für Friedrich alleine schon deshalb selbstverständlich sein, weil er ansonsten Gefahr läuft, gegen seine Verantwortungspflicht zu verstoßen.

Und diese Wirklichkeit besteht nun einmal darin, dass digitale Technologien weit mehr sind, als nur eine Neuauflage des Telefons. Wenn sich der Innenminister bereits dieser trivialen Einsicht verweigert, dann fällt es umso schwerer, seinen komplexeren Einschätzungen und Argumenten zu folgen, geschweige denn, ihn als Experten wahrzunehmen.

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Digitale (Un)Kultur und Demokratie

Friedrich betont in seiner Rede, dass er „hin und wieder“ auch selber mit seinem „iPad“ ins Netz gehe, um dort die Diskussionen zu verfolgen. Auch hier offenbart sich ein Verständnisproblem. Man geht nämlich heute nicht ins Netz und schon gar nicht „hin und wieder“. Man ist stattdessen einfach im Netz. Dort „verfolgt“ man auch keine Diskussionen (es sei denn, man wird dafür bezahlt) sondern beteiligt sich aktiv daran.

Darüber hinaus nutzt man das Netz zur Information und zur Recherche, zum Austausch mit Freunden und Fremden, zur Unterhaltung oder zum Spaß, zur Erledigung von Bankgeschäften oder zur Bestellung von Büchern oder zum Lesen und zum Schreiben von Artikeln.

Wenn der Innenminister sein persönliches Nutzerverhalten im Web so offen schildert, dann kann es nicht verwundern, dass er das Internet vor allem für einen Hort der Extremisten und Terroristen hält: „Es ist das Gegenteil von Freiheit, das dort propagiert wird„.

Oft wird man vom eigentlichen Kern der Wahrheit weggeführt, statt hingeführt“ kritisiert Friedrich die Netzkultur. Früher, so erinnert er sich, waren „Journalisten für Einordnung“ zuständig. Heute dagegen „kommt jeder an die Rohmasse Information“. Sein Konzept: Der politischen Bildung komme insbesondere die Aufgabe zu, Orientierung in der Flut an Nachrichten, Meinungen und Äußerungen anzubieten.

Wenn ein Politiker vom „Kern der Wahrheit“ spricht, dann stellt sich ein mulmiges Gefühl ein. Sehnt er sich zusätzlich nach den Zeiten zurück, in denen „Journalisten für Einordnung“ zuständig waren, dann kommt einem in den Sinn, wie einfach es in prädigitalen Zeiten gewesen sein muss, die öffentliche Meinung durch die Einflussnahme auf wenige Multiplikatoren aktiv zu steuern.

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Die digitale Gesellschaft

Es hat schon etwas selbstverräterisches, wenn Friedrich in diesem Zusammenhang eine „Rückbindung zur analogen Welt“ fordert. Wer den Menschen aus vermeintlicher Rücksicht auf ihre Belastbarkeit den Zugang zur „Rohmasse Information“ verweigern will und sich stattdessen dafür einsetzt, dass „Nachrichten, Äußerungen und Meinungen“ nur selektiv an den überforderten User herangetragen werden sollen, der disqualifiziert sich als Teilnehmer an jeder Diskussion über die digitale Gesellschaft.

In deren Mittelpunkt steht ein aufgeklärter und kritischer Mensch, der sich mit Standpunkten auseinandersetzen kann, der in der Lage ist Propaganda und Manipulation von Information zu unterscheiden und der gerade die Dialogfähigkeit des Mediums nutzt, um extremistische, rassistische oder menschenverachtende Standpunkte zurückzuweisen.

Selbst durch die gelegentliche Beobachtung von politischen Diskussionen im Netz hätte Hans-Peter Friedrich bereits erkennen können, dass hier längst starke demokratische Prozesse eingesetzt haben. Statt sie nur „hin und wieder zu verfolgen“ sei dem Minister die aktive Beteiligung an Debatten im Internet empfohlen. Hier ist seine Meinung zwar nur eine unter vielen. Dafür erhielte er aber die Chance zu verstehen und zu erleben, was Demokratie in der digitalen Gesellschaft tatsächlich bedeutet: Meinungsbildung, politisches Engagement und demokratische Gleichberechtigung für alle Beteiligten.

Einen zusätzlichen Vorteil erkennt Friedrich immerhin in der „digitalen Welt“. Politikern, so der Innenminister in seiner Rede, biete das Internet die Chance, „die Befindlichkeit in der Bevölkerung stärker zu erspüren„. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit, online Petitionen zu stellen und im Internet Unterstützer zu aktivieren.

Hier schließt sich jedoch die Frage an, warum der Petitionsausschuss im Bundestag derzeit rund 1.000 offene Petitionen zählt, von denen sich viele seit Jahren in der Bearbeitung befinden. Kanzlerin Merkel äußerte kürzlich im Rahmen ihres „digitalen Bürgerdialogs“ per YouTube, die wolle sich trotz der schlechten Bilanz nicht in die Arbeit des Petitionsausschusses einmischen.

Ein guter Beleg dafür, dass die „Rückbindung zur analogen Welt“ keine zielführende Lösung ist, wenn die „Digitalisierung der Gesellschaft“ bereits wesentlich weiter fortgeschritten ist, als es die Politik wünscht und wahrhaben möchte.

 



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