Kopieren als Arbeitsprinzip: Guttenberg reloaded

3.12.2011 – Während Karl-Theodor zu Guttenberg damit beschäftigt ist, sich öffentlich von dem Vorwurf der bewussten Täuschung beim Verfassen seiner Dissertation reinzuwaschen, wird er mit einem weiteren Plagiatsfall konfrontiert.

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Nach Erkenntnissen der Online-Plattform GuttenPlag soll sich der ehemalige Verteidigungsminister bereits im Jahr 2004 zahlreicher fremder Quellen bedient haben, ohne diese kenntlich zu machen. Bei der untersuchten Arbeit handelt es sich um einen Aufsatz für eine Publikation der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung.

Guttenberg hatte sich in dem Beitrag gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen und stattdessen das Modell der „Privilegierten Partnerschaft“ vorgeschlagen. Sein Aufsatz bildet bis heute die Grundlage für die Haltung von CDU und CSU gegenüber der Türkei.

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Der Aufsatz von 2004

Im Zusammenhang mit der Frage eines EU-Beitritts der Türkei stellte Karl-Theodor zu Guttenberg 2004 das Modell der „Privilegierten Partnerschaft“ zur Diskussion. Hierzu verfasste er einen Aufsatz für die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung, in dem er die unzureichende Umsetzung europäischer Kriterien in der Türkei kritisierte und vor einer drohenden Überforderung der EU warnte.

Auszüge seines Artikels (Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU – eine Privilegierte Partnerschaft“) erschienen Anfang 2004 in der „WELT“. Darüber hinaus basiert ein Beschluss der Präsiden von CDU und CSU vom 7. März 2004 auf seiner Arbeit, die bis heute die Position der Union gegenüber der Türkei und deren möglichen EU-Beitritt bestimmt.

Gestern haben die Rechercheure des GuttenPlag Wiki eine Erklärung veröffentlicht, in der es unter anderem heißt:

„Guttenberg stückelte bereits diesen Aufsatz zu großen Teilen aus Onlinequellen, Artikeln der Tagespresse und einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zusammen. Sinngemäße und wörtliche Textübernahmen wurden nicht oder unzureichend markiert.“

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Nach der Untersuchung des Aufsatzes kommt das GuttenPlag Wiki zu dem Schluss, dass sich auf mehr als 56 Prozent der Seiten Übernahmen aus fremden Texten finden. Die Rechercheure machen in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, „dass sich das Textmontageprinzip, das für die Dissertation stilprägend war, bereits in diesem Aufsatz als grundlegendes Arbeitsmerkmal nachweisen lässt“.

Hieraus zieht man bei GuttenPlag folgenden Schluss:

Es wird vielmehr deutlich, dass es sich bei der Erstellung der Dissertation nicht um einen einzigartigen Fehler, sondern um eine nachweislich bereits erprobte Vorgehensweise beim Verfassen von Texten handelte.“

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Bereitwillige Berichterstattung

Guttenberg versteht es wie kaum ein anderer, auf der Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit zu spielen. Schon in seinen politisch aktiven Zeiten diktierte der Freiherr der Presse ihre Titelseiten und den TV-Sendungen ihre Aufmacher.

Zwischen November 2008 und April 2010 wurden alleine in der „Süddeutschen Zeitung“, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dem „Spiegel“, dem „Focus“, der „Bild“ und der „ZEIT“ knapp 600 Artikel über den CSU-Politiker gezählt. Guttenberg war zu diesem Zeitpunkt Dauergast in den politischen Talkshows, wurde für Sat.1 von Kerner in Afghanistan interviewt oder trat bei „Wetten das“ im ZDF auf. Auch Stephanie zu Guttenberg machte sich medial für die politische Karriere ihres Ehemanns stark und präsentierte bei RTLII das umstrittene Format „Tatort Internet“.

Aktuell kann man feststellen, dass das „Medienprinzip Guttenberg“ nach wie vor funktioniert. Wenn der Freiherr pfeift, dann springen Deutschlands Redaktionen. Sandra Maischberger lädt zum Auftakt Guttenbergs Vater Enoch in ihre Sendung ein. Anne Will talkt zum Thema „Guttenbergs Comeback – vorerst gescheitert?“ und Maybrit Illner fragt ihre Gäste „Braucht Deutschland Guttenberg?“. Zusätzlich erscheinen in der deutschen Presse täglich neue Artikel über den Ex-Politiker, seinen aktuellen Status, seinen Verbleib in der CSU oder seine Anwandlungen eine rechtskonservative Partei zu gründen.

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Gute und schlechte PR

Natürlich kommen die zahlreichen Sendungen und Artikel nicht ohne Schelte aus. Hierüber dürfte sich Karl-Theodor zu Guttenberg allerdings kaum ärgern. Er weiß genau, dass es keine schlechte PR gibt und es muss ihn mit Genugtuung erfüllen, dass sein ausgeprägtes Bedürfnis nach Öffentlichkeit vom Boulevard bis zum Qualitätsjournalismus noch immer willfährig erfüllt wird. Schaden richtet die „kontroverse“ Debatte jedenfalls nicht an. Immerhin ist sein Buch nach nur einer Woche am Markt bereits restlos ausverkauft.

Guttenberg ahnt: Wenn er der Öffentlichkeit jetzt die Möglichkeit bietet, sich an den Plagiatsvorwürfen und seinem eigenwilligen Umgang damit abzuarbeiten, dann schafft er die Voraussetzung dafür, schon in wenigen Wochen rechtschaffen nach Deutschland zurückkehren zu können. Man wird ihm dann bereitwillig die Foren zur Verbreitung seiner politischen Standpunkte und Thesen zur Verfügung stellen.

Wer sich dann noch immer mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei dem Freiherrn nicht nur um einen Blender mit einem fragwürdigen Verhältnis zur Wahrheit handelt, der wird als ewig Gestriger abgetan und schon bald nicht mehr eingeladen und gehört werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, gehen Guttenberg und die Medien einen beidseitig vorteilhafte und bereits bewährte Allianz ein. Der „vorerst“ gescheiterte Politiker, der im Moment nicht mehr ist, als ein unermesslich reicher Privatier auf Auslandsreise, bietet Fernsehen und Presse die „Faszination Adel“ aus erster Hand. So lässt sich das unerklärliche aber dennoch ausgeprägte Interesse an einem arroganten Adelsspross, der sich mit gestelzten Worten, Formulierungen aus dem vorletzten Jahrhundert und kruden politischen Auffassungen in die Herzen der Öffentlichkeit laviert, bedienen. Der Freiherr selber profitiert davon, dass er sich, exakt zu dem Zeitpunkt, der ihm persönlich genehm ist, wieder ins Gespräch bringt.

Sind wir heute wirklich so arm an Themen und politischem Personal, dass schon die Faszination an Reichtum und Sensationen aus der Welt des Adels ausreicht, um sich erneut mit einen Blender zu befassen, der die Öffentlichkeit in einem der höchsten Ämter des Staates bereits mehrfach hinters Licht geführt hat?

Warum erscheint hier trotzdem ein Artikel über Karl-Theodor zu Guttenberg? Weil man dieses Feld nicht alleine einer zunehmend unkritischen und willfährigen Medienlandschaft überlassen sollte. Und weil wir bereits zu stark mit Politikern belastet sind, die zumindest vordergründig den Eindruck von Rechtschaffenheit und Anständigkeit vorgaukeln, um uns jetzt auch noch mit jemandem zu beschäftigen, der sein getrübtes Verhältnis zur Ehrlichkeit bereits so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.



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