Lesetipp: Die dunkle Seite des Mondes (Martin Suter)

Lesetipp: Die dunkle Seite des Mondes (Martin Suter)

In Martin Suters Die dunkle Seite des Mondes verliert Wirtschaftsanwalt Urs Blank die Kontrolle über sein Leben. Er wandelt sich vom gefassten Rationalisten zu einem psychopathischen Mörder. Suter erzählt die Geschichte so gekonnt, dass man wie süchtig darin liest.

Reise ohne Wiederkehr

Urs Blank ist ein ehrgeiziger und äußerst erfolgreicher Wirtschaftsanwalt. Leider hat er in der Liebe wenig Glück — bis er die joviale Lucille kennenlernt. Die junge Frau erweckt seine Lebensgeister und zeigt ihm eine Welt, die seinem unterkühlten Alltag diametral entgegen steht. Um neue, außergewöhnliche Erfahrungen zu machen, lässt Urs sich gemeinsam mit Lucille und anderen Experimentierfreudigen auf einen Trip mit halluzinogenen Pilzen ein.

Doch es kommt anders als erwartet. Urs verliert nicht nur während des Trips die Kontrolle über sich, er erringt sie auch nicht wieder. Längst nachdem der Drogenpilz seinen Körper verlassen hat, ist Urs einer bedeutenden inneren Instanz beraubt: Seinem Gewissen.

Moral ohne Zeigefinger

Martin Suter ist mit Die dunkle Seite des Mondes ein fabelhaftes Buch gelungen, das den Leser zum Nachdenken anregt. Urs Blanks Absturz ist konstruiert, aber nicht fern der Realität. In den vergangenen Jahrzehnten wurden halluzinogene Drogen wie LSD und Pilze spirituell glorifiziert — sie würden die Wahrnehmung erweitern, das Bewusstsein öffnen und Einblicke in die Geheimnisse des Universums geben. Selbst wenn das alles stimmt — der Schuss kann auch nach hinten losgehen, wie dieser Roman zeigt.

Dabei macht Urs alles richtig: Er lässt sich von erfahrenen Konsumenten führen und nimmt nur eine geringe Dosis ein. Doch der Zusammenbruch kommt trotzdem und ist nur der Anfang einer Kette unheilvoller Ereignisse. Dabei versucht Suter nicht, uns mit erhobenem Zeigefinger die Richtung zu weisen. Es gibt innerhalb der tragischen Story auch absurd-komische Momente, doch das Lachen bleibt dem Leser schnell im Halse stecken.

Blank im Geiste

Urs Blanks Nachname steht treffend für sein Schicksal: Der Trip hat ihn blank gemacht, skrupellos und ohne Prinzipien. Er ist nun ein seelenloser Automat, der tötet, stiehlt und soziale Normen jeder Art ignoriert. Doch hat der Pilz nichts Neues an Urs hinzugefügt, sondern vielmehr eine längst in ihm brodelnde Gewalt entfesselt. Blank wurde als Kind geschlagen und hat als Folge dessen seine aggressiven Impulse unterdrückt. Umso überraschender ist es für seine Umwelt, als er durchdreht.

Der Not-Zarathustra

Zwar hat Blank seine Gewalt nicht mehr unter Kontrolle, aber er besitzt nach wie vor die eingeschränkte Fähigkeit zur Reflexion. So versucht er, mit einem weiteren Pilztrip sein Gewissen und den alten Urs wieder zurückzugewinnen, doch vergebens. Um weitere Vorkommnisse zu vermeiden, flüchtet er in einen nahe gelegenen Wald. Zwischen Bäumen und Sträuchern lebt er fortan als Einsiedler, ernäht sich von Nüssen und gestohlenen Lebensmitteln.

Suter hat merklich Spaß an den Beschreibungen der Wald-Umgebung und der Leser ist Urs Blank immer dicht auf der Spur, meistens kopfschüttelnd, aber immer gespannt, was als Nächstes passieren wird. Dem Autor gelingt, was vielen seiner Zunft so schwer fällt: Er kommt auf den Punkt — keine aufgeblähten Sätze, keine abgedroschenen Metaphern, einfach eine beklemmende Geschichte, die immer dicht am Protagonisten bleibt. Nichts ist in diesem Roman überfrachtet, alles fügt sich zu einem erschreckend klaren Bild zusammen wie die Realität nach einem Pilztrip.

Fazit

Die dunkle Seite des Mondes wird von vielen Lesern als Suters bestes Werk gerühmt. Und tatsächlich ist der verrückte Roman um den fallenden Star-Anwalt Urs Blank ein Roman, der noch lange im Gedächtnis bleibt. Es ist ein kritisches Buch über die Verharmlosung von Drogen, jedoch ohne belehrend daher zu kommen.

SUTER, MARTIN: Die dunkle Seite des Mondes. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 320 S., 10,90 €


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