Quelle: Helmut Mühlbacher
Ihr Lieben,heute Abend möchte ich Euch einen Geschichte von Gina Ruck-Pauquèt erzählen:
„Freunde“
„Wohin willst Du?“ fragte der Vater. Benjamin hielt die Türklinge fest.
„Raus“, sagte er. „Wohin raus?“, fragte der Vater. „Nur so“, sagte Benjamin.
„Und mit wem?“, fragte der Vater. „Och…“, sagte Benjamin.
„Um es klar auszusprechen“, sagte der Vater, „ich will nicht, dass Du mit diesem Josef rumziehst!“ „Warum?“, fragte Benjamin. „Weil er nicht gut für Dich ist“, sagte der Vater.
Benjamin sah den Vater an.„Du weißt doch selbst, dass dieser Josef ein … sagen wir, ein geistig zurückgebliebenes Kind ist“, sagte der Vater. „Der Josef ist aber in Ordnung.“, sagte Benjamin.
„Möglich“, sagte der Vater, „aber was kannst Du schon von ihm lernen?“
„Ich will doch nicht von ihm lernen“, sagte Benjamin.
„Man sollte von jedem, mit dem man umgeht, etwas lernen können“, sagte der Vater.
Benjamin ließ die Türklinge los. „Ich lerne von ihm, Schiffchen aus Papier zu falten“, sagte Benjamin.
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„Das konntest Du mit vier Jahren schon“, sagte der Vater.„Ich hatte es aber wieder vergessen“, sagte Benjamin.
„Und sonst?“, fragte der Vater, „was macht Ihr sonst?“
„Wir laufen rum“, sagte Benjamin, „schauen uns alles an und so.“„Kannst Du das nicht auch mit einem anderen Kind zusammen tun?“, fragte der Vater.
„Doch“, antwortete Benjamin. „Aber Josef sieht mehr!“
„Was?“, fragte der Vater, „was sieht der Josef?“„So Zeugs“, entgegnete Benjamin, „Blätter und so, Steine. Ganz tolle. Und er weiß, wo Katzen sind. Und sie kommen, wenn er ruft.“
„Hm“, sagte der Vater, „pass mal auf:
Es ist im Leben wichtig, dass man sich nach oben orientiert.
„Was heißt das?“, fragte Benjamin, „sich nach oben orientieren?“
„Das heißt, dass man sich Freunde suchen soll, zu denen man aufblicken kann, Freunde, von denen man etwas lernen kann. Weil sie vielleicht ein bisschen klüger sind als man selbst.“
Benjamin blieb eine Weile still. „Aber“, sagte er endlich, „wenn Du meinst, dass der Josef dümmer ist als ich, dann ist es doch gut für Josef, dass er mich hat, nicht wahr?“
Ihr Lieben,
aus dieser kleinen Geschichte können wir viel lernen, aber es geht mir heute nicht um den Aspekt der Freundschaft dabei.
Als ich den Anfang der Geschichte las, musste ich schmunzeln.
Wenn Kinder raus zum Spielen gehen wollen oder mit ihren Freunden etwas unternehmen wollen und wir als Eltern oder Großeltern die Fragen hinterher schleudern: „Wo willst Du hin? Was hast Du vor?“, dann werden unsere Kinder und Enkelkinder recht einsilbig und wenn wir recht darüber nachdenken und uns an unsere eigene Kindheit erinnern, dann ging es uns ebenso.
Ein Kind, dass zum Spielen rausgehen möchte oder mit Freunden etwas unternehmen möchte, wird auf Fragen deshalb einsilbig, weil es für den Nachmittag ein Ziel hat, einen Traum hat und keine Bedenkenträger gebrauchen kann. Denn wenn das Kind zu ausführlich antwortet, besteht ja die Gefahr, dass dann gleich der Einwand folgt: „Das ist aber gefährlich!“ oder Ähnliches.
Hier können wir von den Kindern lernen:
Wenn Du ein Ziel hast, einen Traum verwirklichen möchtest, dann unterhalte Dich wirklich nur mit Menschen darüber, von denen Du weißt, dass sie Dich unterstützen. Wenn Du anderen Menschen, die Dich fragen, was Du vorhast, zu viel von Deinem Traum oder Deinem Ziel erzählst, dann weckst Du nur die Bedenkenträger, die Dir „nur“ klarmachen wollen, warum Dein Vorhaben nicht gelingen kann bzw. warum es ganz, ganz schwer wird.
Das Ende vom Lied ist, dass Du am Boden liegt, niedergedrückt von den scheinbar so überzeugenden Bedenken – und wieder ist ein wertvoller Traum zerstört, ein wichtiges Ziel aufgegeben!
Aber wenn Kinder das Haus oder die Wohnung verlassen wollen, um mit ihren Freunden etwas zu unternehmen, dann reden sie auch deshalb nicht gerne darüber, weil sie oft noch gar nicht genau wissen, was ihnen der Nachmittag bringen wird. Kinder planen ihre Freizeit nicht so durch wie wir Erwachsenen. Sie lassen sich auf Neues ein, sie sind neugierig, sie sind begierig, etwas Neues zu lernen und lernen voneinander!
Wir Erwachsenen meinen oft, schon alles zu wissen.
Ich finde das sehr langweilig. Meine eigene Meinung und meine eigenen Ansichten kenne ich schon seit 63 Jahren. Ich habe tief in mir das Kind bewahrt und ich möchte jeden Tag noch etwas Neues lernen.
Wenn ich die Kommentare zu meinen Geschichten lese, dann lerne ich etwas dazu.
Wenn ich meine E-Mails lese, die ich von so vielen Menschen bekomme, dass lerne ich etwas dazu. Wenn ich mich auf Facebook mit vielen feinen Menschen austausche, lerne ich etwas dazu.
Wenn ich die Examensarbeiten meiner Studenten korrigiere, lerne ich etwas dazu.
Wenn mir Nachbarskinder bunte Steine oder einen gepunkteten Marienkäfer zeigen, lerne ich etwas dazu.
Ich kann Euch allen nur empfehlen, Euch auf eine ganz spannende Reise zu machen, indem ihr bereit seid, zu lernen. Wer diese Bereitschaft in sich entfaltet, der wird etwas Wunderbares entdecken, nämlich die Tatsache, dass er fast von jedem Menschen, dem er begegnet, etwas lernen kann.
Wir können von Kindern lernen, die Welt wieder mit neuen, neugierigen Augen zu sehen.
Wir können von den Erfahrungen alter Menschen lernen und uns damit manche Schwierigkeit ersparen.
Es gibt im Deutschen zwei ganz interessante Worte:
Das Wort „gescheiter“ und „gescheitert“.
Das Bemerkenswerte ist, dass sich diese beiden Worte nur durch einen einzigen Buchstaben unterscheiden, das „t“.
Wer bereit ist, von klein auf, zu lernen, wer das Lernen als eine wichtigen Prozess betrachtet, durch den er jung bleibt und immer wieder Neues kennenlernt, der wird von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr „gescheiter“.
Und er wird nicht nur „gescheiter“, sondern er wird auch viele Ziele, die er erreichen möchte, tatsächlich erreichen, weil er bereit ist, aus den Erfahrungen von Menschen, die ihre Ziele erreicht haben und ihre Träume verwirklicht haben, zu lernen.
Wer aber meint, mit dem Ende der Schule sei das Lernen auch zu Ende und wer dann in seinem Leben nicht mehr bereit ist, von anderen Menschen zu lernen, der darf sich nicht wundern, wenn er viele Ziele nicht erreicht, viele Träume nicht verwirklicht und eines Tages vor sich selbst oder den Augen seiner Mitmenschen als „gescheitert“ gilt.
Ich wünsche Euch viel Erfolg beim Lernen und auf Eurem Weg zu Eurem Ziel und denkt immer daran:
Niemals aufgeben und tapfer Schritt für Schritt voranschreiten.
Ich grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner
Quelle: Karin Heringshausen