Jeder kennt das geflügelte Wort, das vom Lauf der Zeit erzählt. Wir alle sind diesem Lauf unterworfen. Es ist ein Synonym für Veränderung, vielleicht des Fortschritts, auf jeden Fall die Erkenntnis, dass nichts bleibt wie es war. Auch wenn es uns nicht passt, sind wir dem Lauf der Zeit unterworfen und die grauen Haare nehmen zu. In unserem Kulturkreis, der an ewige Jugend glaubt, ist dies eher ein Makel. In anderen Kulturkreisen werden graue Haare mit Weisheit gleich gesetzt. Dort hat man weniger Angst vor dem Lauf der Zeit.
Mit dem Lauf der Zeit verändern sich auch Sicht- und Handlungsweisen. Heute fotografiere ich anders, als ich es noch vor zehn Jahren tat. Wenn mir jetzt meine Bilder in die Hände fallen, die ich vor zwanzig oder dreißig Jahren gemacht habe, mag ich kaum daran glauben, dass ich sie gemacht habe. Der Lauf der Zeit verändert viel, sogar die Art der Fotografie. Dies geht nicht nur mir so. Auch bei anderen Fotografen, die ich schon viele Jahre im Lauf der Zeit begleite, kann ich diese Veränderungen sehen. Andere wiederum halten an der Jugend krampfhaft fest und bleiben bei dem, was sie schon seit ehedem fotografieren. Keine Entwicklung ist sichtbar und die Mehrzahl ihrer Bilder werden zum Aufguss des schon einmal Dagewesenen.
Der Lauf der Zeit ist unaufhaltsam und sogar ich bekomme graue Haare. Veränderungen kann man nicht leugnen. Meine Bilder haben sich mit mir verändert. Sind sie besser oder schlechter geworden? Wer will das beurteilen? Verändert haben sie sich auf jeden Fall. Vielleicht fotografiere ich mehr Hintergründigkeit? Oder ist mehr Raum für Interpretation vorhanden? Ganz gewiss lasse ich heute mehr Gedanke zu und suche bewusst die Bilder, in denen nicht der zwingende Schluss, die offensichtliche Erkenntnis zu finden ist. Im Lauf der Zeit bin ich an fotografische Grenzen gestoßen, die in meinen Bildern selbst liegen. Nun ist es nahezu logisch, dass ich diese Grenzen überwinden möchte. Schon viele Fotografen vor mir haben sich diesem Grenzkampf gestellt und für sich Wege gefunden, die Grenzen zu überwinden. Oft gehört Mut dazu. Manchmal muss man Neues erfinden, auch wenn Andere bereits diese Grenzen in ähnlicher Weise überwunden haben. Und oft findet man im Lauf der Zeit Menschen, die in ähnlicher Weise an das überschreiten ihrer Grenzen arbeiten. Ideal ist, wenn ein Grenzüberschreiter einen anderen Grenzüberschreiter auf dem Weg begleiten kann. Wenn das so ist, wird der Lauf der Zeit zur angenehmen Realität, weil graue Haare in den Hintergrund treten und Fortschritt sichtbar wird. Der Aufbruch ins Neue, das Überwinden von Eingrenzungen ist der Lauf der Zeit.