Kriegsgebiete: Vier Tage im Leben des Daniel Schramm

WEIMAR. (fgw) Wer wie der Rezensent einige Jahre nach dem Ende des II. Welkrieges gebo­ren und in der Zeit deut­scher Zweistaatlichkeit auf­ge­wach­sen ist, der ist zum Glück von Kriegen und staat­lich befoh­le­nen Kriegseinsätzen fern in frem­den Landen ver­schont geblie­ben. Erst mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert ist das nun doch wie­der deut­sche Normalität gewor­den. Über das Leiden der Menschen in den über­fal­le­nen (“huma­ni­tär befrei­ten”) Länder gibt es kaum Zweifel, auch wenn diese in den Mainstreammedien nur am Rande, als uner­heb­li­che Kollateralschäden, vor­kom­men. Noch nicht so sehr ins Bewußtsein gelangt ist, daß auch die “Befreiungskrieger” und Besatzer in Massen Schaden neh­men – ganz im Gegensatz zu ihren poli­ti­schen Auftraggebern und einer anfeu­ern­den Journaille.

kriegsgebiete Kriegsgebiete: Vier Tage im Leben des Daniel SchrammUnd um sol­chen Schaden, um psy­cho­trau­ma­ti­schen Folgen für einen Afghanistan-Veteranen geht es im Thriller “Kriegsgebiete” von Roland Spranger. Er beschreibt vier Tage im Leben des ehe­ma­li­gen Bundeswehr-Hauptfeldwebels Daniel Schramm. Ein Jahr nach sei­nem Einsatz. In ober­frän­ki­scher Provinz, nahe der Landesgrenze zu Thüringen. Daniel muß eines Dienstags fest­stel­len, daß auch sein fried­li­cher Landstrich ganz ohne Krieg zum mör­de­ri­schen Kriegsgebiet wer­den kann.

Über die Vorgeschichte der fast minu­tiös beschrie­be­nen vier Tage gibt der in der afgha­ni­schen Provinz Kunduz han­delnde Prolog Auskunft: Auf einer Patrouillen- und Versorgungstour waren Daniel und seine Männer in einen Hinterhalt gera­ten und fast alle zu Tode gekom­men. Da er für diese Männer ver­ant­wort­lich zeich­nete, lei­det er unter erheb­li­chen Belastungsstörungen, kann kein nor­ma­les Leben mehr füh­ren. Geschlossene Räume sind für ihn Horror gewor­den und so cam­piert er Tag und Nacht unter freiem Himmel in sei­nem Garten. Kein Wunder, wenn da auch seine Ehe in die Brüche gegan­gen ist.

Regelmäßige Konsultationen bei einem Psychotherapeuten und ein fest­struk­tu­rier­tes selbst­auf­er­leg­tes täg­li­ches Trainingsprogramm sol­len ihm hel­fen, mit sei­ner Lage, mit sei­ner see­li­schen Verfassung ins Reine zu kom­men.

Doch an einem Dienstag, wäh­rend sei­nes plan­mä­ßi­gen Geländelaufes, ent­deckt er eine tote Frau, in einem Teich lie­gend. Er ruft die Polizei, gerät dabei aber sofort selbst unter Verdacht. Sowohl die Polizei als auch Daniel und sein Freund Maik sto­ßen bald auf zwei ähnli­che Frauenmorde in ande­ren Städten. Schließlich gibt es in sei­nem per­sön­li­chen Umfeld noch einen wei­te­ren Toten, auf­ge­fun­den wie­derum von Daniel. Weitere mys­te­riöse Vorfälle las­sen ihn immer ver­däch­ti­ger erschei­nen und auch er selbst beginnt, an sich zu zwei­feln. Ist es mög­lich, daß sein Trauma zur Schizophrenie geführt hat und er zum Killer wurde, der sich aber an nichts mehr erin­nern kann?

Daniel beginnt zu recher­chie­ren, im Internet, kommt aber lange auf keine Lösung. Der Mittwoch und der Donnerstag wer­den zu einem wah­ren Horrortrip für ihn, ver­gleich­bar mit der unüber­schau­ba­ren Lage in Afghanistan und den dor­ti­gen Hinterhalten mit einem unsicht­ba­ren Feind.

Erst am Freitag ver­dich­ten sich nach der Entführung sei­ner klei­nen Tochter Beobachtungen und Hinweise. Daniel erkennt nun glas­klar, wer der Mörder ist, wel­ches des­sen Motive sind, andere Menschen zu töten. Und jeg­li­chen Verdacht auf Daniel zu len­ken. Um das Leben sei­ner Tochter zu ret­ten, nimmt Daniel jedes Risiko auf sich – obwohl er keine Chance hat, selbst mit dem Leben davon­zu­kom­men. Im Kriegsgebiet Afghanistan mit den dor­ti­gen unsicht­ba­ren Gegnern dem Tode ent­ron­nen, wird er wohl hier dem Tod durch einen sicht­ba­ren und zu allem ent­schlos­se­nen Feind nicht ent­rin­nen kön­nen…

Die Spannung, der Thrill, die­ses Buches machen keine Action-Szenen aus. Sie baut sich auch nicht durch bil­lige, ober­fläch­li­che Effekte auf. Sondern ein­zig allein aus dem Erzähl- und Sprachstil des Autors. Kurze, kür­zeste, prä­zise Sätze zeich­nen, beschrei­ben den tra­gi­schen Helden als pro­fes­sio­nel­len Soldaten – in sei­nem Denken, Fühlen und Handeln. Selbst die Beschreibung kör­per­li­cher Anspannungen fügt sich hier ein.

Ja, gerade durch Sprangers Schreibstil gewinnt Daniel an Kontur, wird zu einem glaub­haf­ten Charakter: unge­küns­telt, wirk­lich­keits­nah, gerad­li­nig.

Sein Trauma spie­gelt sich auch in sei­nen täg­li­chen Alpträumen wider. Und so bekommt der Leser rea­lis­ti­sche und daher um so beklem­men­dere Einblicke in die Psyche eines “Psychos” (“Aus dem Scheißafghanistan kommst du nicht mehr her­aus.” S.166). Denn lei­der wer­den diese Opfer von Kriegen fernab der Heimat von ihrer Umgebung meist als sol­che ange­se­hen.

Unbedingt genauer sollte man einige Reflexionen Daniels auf Seite 126 lesen. Hier beschreibt er seine Beobachtungen von Besichtigungstouren geschnie­gel­ter deut­scher Bundestagsabgeordneter bei “ihren” Soldaten und deren Sich-Danach-Spreizen als Experten im siche­ren hei­mi­schen Berlin vor Mikrofonen (und Kameras) der staats­tra­gen­den Medien.

Dem klei­nen, aber hoch ambi­tio­nier­ten Bookspot-Verlag ist mit die­sem Buch in der neuen “Edition 211″ aber­mals ein gro­ßer Wurf gelun­gen. Es ist ein not­wen­di­ges Buch, ein auf­klä­re­ri­sches Buch – und zugleich vol­ler packen­der Spannung. Es hilft, Menschenrechtskriege, “huma­ni­täre Interventionen” zu hin­ter­fra­gen. Und das ganz ohne Ideologie und Propaganda oder Gutmenschentum. Nur aus den Fakten einer zwar fik­ti­ven, aber nicht unwahr­schein­li­chen Geschichte her­aus.

Daß Roland Spranger (Jg. 1963) solch ein inhalt­lich wie sti­lis­tisch gelun­ge­nes Buch schrei­ben konnte, liegt viel­leicht auch in sei­nem Beruf begrün­det: Er arbei­tet als Betreuer in Wohneinrichtungen für psy­chisch kranke Menschen.

Roland Spranger: Kriegsgebiete. Thriller. 224 S. Hardcover m. Schutzumschl. Edition 211 im Bookspot-Verlag München 2012. 14,80 Euro. ISBN 978-3-937357-54-6

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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