Marie Golüke und Roland Walter boten am 15.2.2014 eine dreiteilige Einzelperformance im Haus der kleinen Künste mit dem Dachthema „Körper und Ich“ dar. Die einmalige Aufführung in München lotete die Grenzen von Körpern und Körperlichkeit aus, die Möglichkeit der Manipulation des eigenen Körpers und damit auch die Konstituenten des Geschlechts und die Unmöglichkeit der Bewahrheitung von Liebe
Die Rahmung: welche Körperlichkeit darf auf die Bühne?
Das Programm kündigt Walters Performance „Vogelflug“ mit der vermeintlich pathetischen Frage an: „Frei sein wie ein Vogel. Wie geht das?“ Erst wenn man auf den Hinweis stößt, dass der Performer körperlich behindert ist, eine starke Behinderung, die ihn an einen Rollstuhl bindet, transformiert sich die Frage, die sich im Grunde zwischen Ratgeberliteratur und Kindersprache bewegt, in eine gewisse Radikalität, die Frage danach, wie sich Sehnsucht ökonomisiert, wenn die körperlichen Bedingungen dergestalt beeinträchtigt sind? Es entsteht eine diffuse, stumme und radikale Sehnsucht nach dem Anderen und Draußen. Die häufige Verwendung der Geburtsmetapher – sowohl die von der körperlichen Beeinträchtigung diktierte Embryonalstellung, die Fesselrequisite, die man als Nabelschnur verstehen kann, als auch das sehnsuchtsvolle Ins-Leere-Greifen auf die Sonne zu – kann man in diesem Kontext verstehen. Jedoch lässt dies für den Zuschauer keine Möglichkeit offen, sich irgendwie mit der Figur identifizieren zu können – die Aussage driftet sogar in eine Tautologie ab. Deswegen muss man zuschauen und Walters Darbietung als erzählende Innenschau hinnehmen, die sich in der Dialektik Freiheit/Gefangensein ergeht. Und diese bewegt sich durchgehend dann doch dem ersten Riecher gemäß in einem Zwischenstadium, dem die künstlerische Brechung fehlt.
Was hier zumindest versucht wurde, ist, einer Stimme, der wir sonst kaum Gehör schenken, Ausdruck zu verleihen. Aber bitte nicht, wenn man bedenkt, dass im Feld der Politik politische Maßnahme vonnöten sind, Quoten für körperliche Behinderte einzuführen, die nichts anderes als ihre gesellschaftliche Ohnmacht quittieren. Der Raum der Bühne sollte durch die Vorannahme der Möglichkeit der Ausserstandsetzung gesellschaftlicher Konventionen umso eindringlicher schildern können, was es heißt, behindert zu sein. Behinderte auf die Bühnen – aber bitte nicht als Behinderte!
Das Geschlecht: „Eat, Love, Puke – Parfoce“
Das für diese Aufführung revidierte Stück von Cornelia Gellrich ist der Monolog einer Schauspielerin, die um der Idee der Schönheit willen sich selbst bis an die körperlichen Grenzen manövriert, und zwar im Fressen, in der Liebe und im Kotzen. Die sich auch deswegen in einem selbstgewählten Märtyrertum aufreibt, um dem existentiell verwurzelten Misstrauen gegenüber der Möglichkeit der Liebe des von ihr vergötterten Mannes entgegen zu wirken. Denn dem unverstandenen Überschuss, der aus solch einem Glücksfall resultiert, dem nämlich, erwiderter und tiefer Liebe, dessen quasi erwählt zu sein, muss man erst einmal beikommen. Sie muss sich selbst schnitzen und formen, um sich überhaupt in den Bereich zu drängen, in dem Begehren eine Rolle spielen kann. Sie rationalisiert mit dem Körper die Gabe der Liebe und verleiht ihm (und sich) vor dem object ambigou Macht, und zwar über eine negative (weibliche) Praktik: Selbstgeißelung in Form von Bulemie und Fresssucht, um überhaupt als liebenswerter Körper mit Investitionen bestimmt werden zu können. Die Überraschung bei der Behandlung des Themas ist also, dass bei der Problematik Masochismus als Liebesgarant keine Kompensationslogik oder Traumaargumentation zum Tragen kommt, sondern dass sich die Protagonistin über die Optimierungsmaßnahmen vor ihrer großen Liebe und ewig unerfüllt bleibenden Sehnsucht beweisen will.
Was ist dies jedoch anderes als sich in einem konservierten Körper zu befinden? Golüke setzt diesen Gedankengang gekonnt um, indem sie sich in Frischhaltefolie einwickeln lässt. Zusätzlich zu jener Blutstauchung durch den Wärmeverlust, der auftritt, wenn man bei geringer Bekleidung in dem außergewöhnlich kalten Raum steht (siehe Foto), kommt also die Blutstauchung durch Abschnürung der Blutbahnen. Dies verleiht der Aufführung eine Intensität und fügt dem Stück eine weitere Bedeutungsebene hinzu: Das erschöpfte Keuchen der Schauspielerin zeigt die Anstrengung um den ewigen Geliebten: das Publikum.
Die Darbietung: wohin mit dem Körper?
Damit haben wir hier zwei Verhandlung in einem dreisätzigen Stück, das nicht unterschiedlicher den Begriff „Körper“ fassen könnte: Während Walter sich mit dem Körper in der Dialektik Freiheit/Gefangenheit auseinandersetzt, ist Golükes Körper als Mittel zentriert, mit dem man doch nicht die Sehnsucht zu lieben und den Kampf geliebt zu werden einholen kann. Ein kurzer Moment der Befreiung kündigt sich an, wenn das Kotzen einsetzt, wenn der Körper an die Grenzen seiner Belastbarkeit geführt wird – und auch ich den Wunsch verspürte aufzuspringen, um die schwankende Golüke aufzufangen. Ein durchwachsener Abend.
Bild: copyright: Marie Golüke