Klerus, Politik und Schulverwaltungen verweisen gerne auf den Grundgesetz-Artikel 7 (3), in dem es heißt „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen (…) ordentliches Lehrfach.“ Sie suggerieren damit, diese Glaubensunterweisung sei ein Pflichtfach für alle Schüler. Aber im selben Artikel heißt es vorhergehend unter (2): „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.“ Damit wäre eigentlich alles zum Thema gesagt. Aber: Klerusfreundliche Politik und Verwaltungen negieren dieses eindeutige Verfassungsgebot jedoch mit größter Dreistigkeit. Warum? Weil man eben im frühesten Kindesalter und unter „Schulzwang“ am besten indoktrinieren kann. Doch, Eltern und Schüler können sich dagegen wehren – mit guten verfassungsmäßigen Argumenten. Hierfür ist der jetzt von Rainer Ponitka vorgelegte Ratgeber eine wirklich gute Hilfe.
In seinem Vorwort schreibt der Herausgeber zur gängigen bundesdeutschen Praxis: „Zur Einschulung wurde der Eindruck erweckt, ein Einschulungs-Gottesdienst unterliege der Schulpflicht – noch wurde über die grundsätzliche Freiwilligkeit der Teilnahme am Religionsunterricht aufgeklärt.” (S. 8) Und das gilt nicht nur für Nordrhein-Westfalen, wo Ponitka zu Hause ist. Nein, das gilt sogar noch mehr für Missionierungsgebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge, wo etwa drei Viertel der Menschen religionsfrei sind. Hier wollen die beiden sogenannten Amtskirchen auf Biegen und Brechen – über den Weg des schulischen Religionsunterrichtes – eine neue Christianierung herbeiführen. Eben auch mit der eingangs erwähnten Praxis der selektiven „Argumentation” bezüglich des Artikels 7 GG.
Der Ratgeber besteht aus drei Kapiteln und einem umfangreichen Anhang.
Gerhard Czermak, pensionierter Verwaltungsrichter, eröffnet diesen Ratgeber mit einem Aufsatz zum Recht in der Schule: „Was ich als Konfessionsloser in der Schule wissen sollte”.
Eingehend auf die für Schulen zuständigen zumeist mit Kultus bezeichneten Ministerien schreibt er: „…Kultusministerien pflegen traditionell gute, wenn nicht beste Beziehungen zu den christlichen Großkirchen. Das gilt auch für die neuen Bundesländer. (Besonders tut sich, bei über 75 % Konfessionsfreien, Mecklenburg-Vorpommern hervor, wo das Bildungsministerium seit einigen Jahren in Zusammenarbeit mit einer Bibelstiftung bzw. einem Bibelzentrum über alle staatlichen Schulen einen Bibelwettbewerb für Schüler ausschreibt. Neuerdings ist es den Schulleitern freigestellt, an Schüler Bibeln zu verteilen, die vom missionierenden internationalen Gideonbund kostenlos abgegeben werden.)” (S. 12) – Ein klarer Verstoß gegen die religiös- und weltanschauliche Neutralität des Staates und der staatlichen Schulen. Ähnliches ist aus Thüringen zu vermelden, wo z.B. in Weimar eine Schüler-Aktion „Kinder-Bibel” läuft.
Czermak verweist hier auf das „Recht als Mittel der Gegenwehr” und benennt als Grundlage hierfür vor allem Grundgesetz, das jeweilige Landesverfassungsrecht, Bundes- und Landesgesetze sowie andere Rechtsnormen. Ausgehend vom Neutralitätsgebot ist Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit zu verstehen! Was heißt:
„Der Staat des Grundgesetzes hat keinerlei Befugnis, einseitig für oder gegen eine Religion oder Weltanschauung Stellung zu nehmen, auch nicht für Religion im Allgemeinen oder gar das Christentum im Besonderen. ‚Glaubensfreiheit‘ in diesem engeren Sinne gewährleistet die staatlich unbeeinflußte religiös-weltanschauliche Überzeugungsbildung. Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, ihre Bürger in religiös-weltanschaulicher Hinsicht zu erziehen.” (S. 16/17)
Er schreibt weiter: „Da ohne die Kirchen wohl kaum Probleme für nichtchristliche Schüler und Lehrer bestünden, muß noch kurz auf ihre Rechtsposition eingegangen werden. (…) Das Religionsrecht (traditionell ‚Staatskirchenrecht‘) ist ein großer Bereich, der hauptsächlich von Kirchenjuristen, kirchennahen Juristen oder doch religiös-weltanschaulich konservativen Fachleuten beackert wird. (…) Die ansonsten anerkannten juristischen Methoden wurden und werden in diesem Rechtsgebiet oft deformiert, und selbst über den zumindest zum Teil recht klaren Text und Sinn der Verfassung ist man oft souverän hinweggeschritten.” (S. 19)
Und wegen dieses Zustandes fällt Gegenwehr, wie z.B. in Sachen Religionsunterricht etc., meist nicht leicht…
Daß es in Bundesdeutschland mit der Trennung von Staat und Kirche(n) und der Kirche(n) von der Schule auch mehr als 90 Jahre nach Verkündung der Weimarer Reichsverfassung noch nicht weit her ist, zeigt Czermak anhand einiger Landesverfassungen und Schulgesetze auf. Wobei er darauf hinweist, daß Bundesrecht Landesrecht bricht, daß man also nicht furchtsam angesichts einiger fürwahr mittelalterlicher Bestimmungen (so Formulierungen wie: „oberstes Erziehungsziel der Schule ist die Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott”) sein braucht.
Den Art. 127 der bayerischen Verfassung sollte man sich als besonders markantes Beispiel für Mittelalterlichkeit heute und hierzulande zwei Mal durchlesen:
„Das eigene Recht der Religionsgemeinschaften und staatlich anerkannten weltanschulichen Gemeinschaften auf einen angemessenen Einfluß bei der Erziehung der Kinder ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung wird unbeschadet des Erziehungsrechts der Eltern gewährleistet.” (S. 22)
Auf diesem Wege werden Eltern staatlicherseits zugunsten des Klerus entmündigt!
Czermak stellt zur Entwicklung des bundesdeutschen Schulwesens auf den Punkt gebracht fest:„Historisch und bis zum heutigen Tag geht es hauptsächlich um die ideologische Beeinflussung der Masse des Volks in möglichst formbarem jugendlichen Alter; es geht also um die staatliche und kirchliche Macht.” (S. 27) – Ja, damit die da unten niemals gegen die da unten aufbegehren; deshalb ja wurde vor gut 1700 Jahren das Christentum zur Staatskirche gemacht!
Das zweite Kapitel („Ratgeber für konfessionslose Eltern, Schüler und Lehrer”) stammt von Gerhard Rampp, Gymnasiallehrer in Bayern. Ausgehend von bayerischen Beispielen geht er auf die Themen Religionsunterricht, Abmeldung von diesem, Ethikunterricht und weltanschauliche Neutralität der Lehrer ein.
Er schreibt: Der Religionsunterricht im öffentlichen Schulwesen „wird in Deutschland inhaltlich und personell ausschließlich von den Kirchen bestimmt. Der Staat (d.h. das Bundesland) trägt die organisatorische Verantwortung und die Kosten, die sich bundesweit auf immerhin drei Milliarden Euro summieren – viermal so viel, wie die Kirchen aus eigenen Mitteln für öffentliche soziale Zwecke aufbringen.
Konkret heißt das: Die Kirchen legen die Lehrpläne fest, wählen die Schulbücher aus und bestimmen, wer das Fach unterrichten darf. (…) Die Aus- und Weiterbildung der Religionslehrer liegt ausschließlich in der Kirchen – mit Ausnahme der Finanzierung natürlich. (…)
Allen Beteiligten muß also von vornherein klar sein, daß es sich um eine Unterweisung in innerkirchlicher Glaubenslehre (und der sich daraus ergebenden Sittenlehre) aus der einseitigen Sicht eben dieser Kirche handelt.” (S. 35/36)
Das sollten auch bestimmte LINKS-Politiker in Thüringen zur Kenntnis nehmen, die ihrerseits stets und ständig behaupten, es handele sich beim Religionsunterricht nicht um Glaubensunterweisung nach ausschließlich klerikalen Vorgaben, sondern um religionskundlichen Unterricht…
Eltern von Teilnehmern am Religionsunterricht, die ausschließliche Glaubensvermittlung vermuten, haben keinerlei Erfolgsaussicht, wenn sie sich angesichts von Inhalt und Ablauf des Religionsunterrichtes beschweren. Denn „der Vorwurf einer ‚einseitigen Indoktrination‘ geht ins Leere, denn die oben beschriebene Konstruktion des Religionsunterrichtes zielt ja auf die Erziehung zum Glauben ab (wobei geschickte Religionspädagogen diese Absicht nicht aufdringlich in den Vordergrund rücken werden.) Einzig mögliche Form des Widerspruchs bleibt die Abmeldung vom Religionsunterricht.” (S. 37)
Ausführlich geht Rampp auch den Ethik-Unterricht (der in den Bundesländern durchaus unterschiedlich benannt wird) als Ersatz-Unterricht für religionsfreie Schüler ein. Eingeführt wurde Ethik 1972 in Bayern mit dem Ziel, die Abwanderung vom Religionsunterricht zu behindern. Bis dahin nämlich konnten religionsfreie Schüler nach Hause gehen bzw. eine Freistunde genießen.
Rampp konstatiert aber auch beängstigendes: daß z.B. der Ethik-Unterricht in Rheinland-Pfalz und Sachsen nicht neutral, sondern auf christlicher Basis gestaltet wird. Solches kann ebenfalls aus Thüringen vermeldet werden, wo nicht selten der Ethik-Unterricht de facto nichts anderes getarnter Religionsunterricht ist. In Rheinland-Pfalz ist das dortige Kultusministerium sehr offen und hat dies verordnet: „Der Lehrplan für Ethikunterricht in der Grundschule baut grundsätzlich auf den sittlichen Werten der christlichen und humanistischen Ethik auf. Aus diesem Grunde ist es möglich, daß auch Religionslehrer Ethik erteilen.” (S. 44)
Aber nicht nur das. „Einen anderen Grund zum Ärgernis können Schulbücher verursachen. In keinem anderen Fach außer Religion werden religiöse Inhalte so ausführlich behandelt wie in Ethik. Wie in verschiedenen anderen weltlichen Fächern findet auch hier immer wieder religiöse Propaganda Eingang in Unterrichtsmaterialien.
Gerade religiös ausgerichtete Verlage (…) haben Ethikbücher im Programm; mitunter fungieren gar Religionslehrer als Autoren.” (S. 44) Rampp benennt hier exemplarisch Susanne Breit-Keßler – eine evangelische Regionalbischöfin. Ethiklehrbücher aus Theologenfeder sind auch in Thüringen keine Seltenheit…
Der Autor spricht noch kurz die kirchlichen Privatschulen an, vor allem deren Finanzierung; so trage z.B. in Rheinland-Pfalz der Staat 100 % der Personalkosten und einen erheblichen Teil der Sach- und Investitionskosten: „Selbst die CDU monierte, daß eine kirchliche Schule den Staat teurer komme, als wenn er sie selbst betriebe.” (S. 50)
Abschließend geht Rampp auf Schulgebete, Schulgottesdienste und sonstige religiöse Veranstaltungen für Schüler ein; gemeint sind hier öffentliche Schulen. Diese Veranstaltungen seien grundsätzlich freiwillig und selbst konfessionsgebundene Schüler seien nicht zum Besuch verpflichtet. Schulgottesdienste werden von Religionslehrern und „Schulpfarrern” auch und besonders im „ungläubigen Osten” forciert. Nicht selten in Verbindung mit der Ausgabe der Abiturzeugnisse…
Wie es um die Begeisterung der Schüler für Schulgottesdienste und -gebete bestellt ist, verdeutlicht Rampp an Erfahrungswerten aus Bayern zum „…Vorschlag, den wirklich betwilligen Schülern bereits Unterrichtsbeginn Gelegenheit zu ihrer Religionsausübung zu geben. Nur zeigte sich bisher stets, daß das Interesse dann schlagartig abflaute.” (S. 53)
Im dritten Kapitel geht Rainer Ponitka auf „Die Staatliche Bekenntnisschule in Nordrhein-Westfalen” – einen bundesdeutschen Sonderfall – ein. Denn „in allen anderen Bundesländern wurde die staatliche Bekenntnisschule vor über 40 Jahren abgeschafft; zuletzt in Rheinland-Pfalz durch den damaligen christlich-demokratischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl.” (S. 58)
Abschließend hat Gerhard Czermak wichtige Gerichtsentscheidungen zum Thema Schule, Weltanschauung und Ideologie zusammengestellt. Die meisten von ihnen stehen im Internet kostenlos und im vollen Wortlaut zur Verfügung: die des Bundesverfassungsgerichtes unter www.bverfg.de und die des Bundesverwaltungsgerichts unter www.bverwg.de .
Im Anhang sind zum einen die Schule betreffende Gesetze und Erlasse der 16 Bundesländer aufgelistet und zum anderen die Adressen von Schüler- bzw. Elternvertretungen des Bundes und der Länder sowie die der Lehrer- und Schulleitervereinigungen.
Gerade die Listungen von Gesetzen, Urteilen und Organisationen dürften für ratsuchende Eltern und Schüler von besonderem Wert sein. Rat und Hilfe gibt es selbstverständlich auch beim IBKA, dem Internationalen Bund der Konfessionsfreien und Atheisten e.V., dessen AG Schule von Rainer Ponitka geleitet wird: www.ibka.org/ag-schule .
Siegfried R. Krebs