Jostein Gaarder – "Die Frau mit dem roten Tuch"

 

Jostein Gaarder – Die Frau mit dem roten Tuch

Jostein Gaarder gehört schon einige Jahre zu meinen Favoriten. Ich habe seit „Sophies Welt“ jedes Buch von ihm verschlungen, wenn auch ich zugeben muss, dass mich seine Engelsgeschichten eher irritierten. Jedoch sind mir seine zwar manchmal sehr emotionalen Bücher lieb, die sich – wenn auch aus einer anderen Sicht als der meinen – mit den grundlegenden Fragen des Lebens und der Welt auseinandersetzen. Auch wenn seine Antworten auf die Fragen oft anders ausfallen als ich sie formulieren würde. Er ist Agnostiker. Doch er weiß das (noch) nicht.

Und genau um diesen Widerstreit der konträren Erklärungsversuche der Welt geht es in seinem Buch. Die zwei Protagonisten, der Klimaforscher Steinn und die religiöse und an Wunder glaubende Solrun, treffen nach 30 Jahren zufällig wieder aufeinander. Sie waren einmal ein Paar, doch die Jahrzehnte führten sie auf völlig verschiedene Lebenswege.
Das Buch arbeitet sich langsam auf einen Vorfall zu, der die beiden trennte und Auslöser wurde für die sehr verschiedenen Lebensansichten. Ich werde darüber allerdings nichts sagen; möchte ich doch, dass das Buch gelesen wird.

In Form eines modernen Briefwechsels – eines Mailwechsels – wird die Geschichte erzählt. Die Handelnden sehen wir also nur aus den Augen ihrer selbst. Das macht die Geschichte zwar etwas einfacher, ermöglicht aber, dass die Einstellungen der beiden ungefiltert aufeinander prallen.
Während Solrun an ein Wunder, eine Fügung glaubt, weil sich die beiden nach 30 Jahren an einem Ort wiedertreffen, der das Ende der damaligen Beziehung einläutete, erklärt Steinn das mit dem Zufall: “Kannst Du Dich erinnern, jemals ein längeres Interviews mit jemanden gelesen zu haben, der oder die nicht im Lotto gewonnen hat?” (Seite 28) – denn wir Menschen nehmen nur wahr, was außergewöhnlich ist; nie das Gewöhnliche, Normale. Solrun hingegen geht davon aus, dass es nur eine telepathische Mitteilung gewesen sein konnte, die dazu führte, dass sie beide sich zu dieser Zwit an diesem Ort wieder trafen. Dabei bleibt ungeklärt, weshalb das gerade fast auf den Tag genau nach 30 Jahren erst geschah; dachte doch Steinn noch Jahre nach der Trennung viel an seine ehemalige Geliebte.  
Ich bin mir nicht sicher, wem Gaarder’s Sympathie gehört; zum einen lässt er Steinn ausführlich sein wissenschaftliches Weltbild darstellen und Solrun immer nur zuhören ohne sie zu einer Stellungnahme zu bringen. Das erscheint mir in diesen Diskussionen typisch: der Naturalist redet, beweist und definiert während der Gläubige dann immer nur damit kontert, dass das zwar alles schön und möglicherweise sogar richtig ist, aber Gott in diesen Gedanken fehlt. Sie scheinen nicht zu begreifen, dass es Gott oder anderes Übernatürliches nicht braucht, um die Welt zu erklären und zu begreifen. Und so hat Gaarder entweder solche Diskussionen gut beobachtet oder er selbst tendiert in diese Richtung, der die Wissenschaft zur Erklärung der Welt nicht auszureichen scheint. Andererseits lese ich das Buch vor allem auch als Ausdruck seines eigenen Ringens um die (wahrscheinliche) Wahrheit. Zumal seit seinem vorherigen Buch eine lange Zeit vergangen ist. Hier bin ich gespannt auf seine nächsten Texte, die seine Entwicklung weiterhin darstellen werden. Denn bisher kam Gaarder nicht weg von der Idee, dass wir Menschen – wenn auch nicht “ferngesteuert” so doch – schicksalsgesteuert sind. Ein “Weltgeist, der uns schreibt” kommt in verschiedenen seiner Bücher vor, nicht zuletzt auch in “Sophies Welt”.

Ich finde die Idee der Esoteriker, die die nicht verstandene Quark-Theorie als “Beweis” dafür nehmen, dass es in der Welt eben nicht immer mit rechten Dingen zugeht, ja eher belustigend. Und so verwundert es nicht, wenn Gaarder Solrun auch das behaupten lässt und die typisch menschliche Überheblichkeit (oder Angst) in den Mund legt: “Ich glaube nur, dass wir Menschen eine Sonderstellung haben. Wir sind die Geister im Theater des Universums.“(Seite 33) Auch gelingt es Jostein Gaarder, eine weitere, typische Art der religiösen Argumentation zu entlarven. Wenn der Wissenschaftler oder Religionskritiker von einzelnen Individuen redet, die in ihrer Unvernunft Dinge tun, die nicht nur lächerlich, sondern gar gefährlich sein können, dann greift der Gegner gern zum Mittel, hier eine ganze Gruppe darin zu erkennen. “Steinn: Wer so denkt, sieht unser irdisches Dasein in der Tat als eine Art Zwischenstation, und es gibt sogar Gruppen, die sich auf einen Zusammenbruch der Biosphäre freuen, weil sie ihn für ein Zeichen halten, dass die Endzeit gekommen ist und Jesu Wiederkunft nah ist.
Solrun: Aber ich finde, du solltest denen, die an ein ewiges Leben glauben, nicht die Schuld für die Zerstörung des Planeten in die Schuhe schieben.
” (Seite 80/81) Es steht die Frage, für oder gegen wen solche Argumentation spricht.

Doch wie gesagt, mir wird – trotz des Schlusskapitels – nicht so ganz klar, auf “welcher Seite” der Autor steht. Ich meine aber, dass dieses Buch seinen ganz eigenen Zweifeln Ausdruck verleiht.

Alles in Allem: ein sehr lesenswertes, weil gut geschriebenes Buch in dem Einiges zu finden ist, das viele Menschen umtreibt und Fragen gestellt (aber selten beantwortet) werden, die Jeden betreffen, der sich die Frage nach dem “Sinn des Lebens” jemals gestellt hat. Dieser Versuch des Antwortens kann vielleicht sogar helfen, die jeweils andere Position zu verstehen. Obwohl ich bei diesem Zitat Paulus’ “Aber wenn verkündet wird, dass Christus von den Toten auferstanden ist, wie kann dann jemand unter euch sagen, dass es keine Auferstehung von den Toten gibt? Wenn die Toten nicht auferstehen, dann ist auch Christus nicht auferstanden. Aber wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist die Botschaft nichtig und euer Glaube hat keinen Sinn.” (Seite 197) nur sagen kann: ja, eben.

Nic

[Erstveröffentlichung: 30. März 2010]


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