Jetzt also Gauck

Ich hatte mit Gauck einen guten Start: Ich habe es geschafft, ohne vorherige Informationen den Livestream aus der Bundesversammlung einzuschalten, exakt zu dem Zeitpunkt, als das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde. Das ist ein bisschen so, als würden Sie eine vier Stunden andauernde Fußballübertragung sehen, und Sie schalten exakt zu dem Zeitpunkt ein, in dem das einzige Tor fällt.

Das geschah von einer moderierten Seite von Welt-Online, wo also zeitgleich die ganz besonders Bürgerlichen und einzig wahren Konservativen der Republik das Geschehen kommentieren, in diesem Fall vor allem ihre Abscheu vor dem Wort „Livestream“. Auch das war ein hilfreicher Zufall: Im Angesicht von so vielen kleinkarierten Spinnern fühle ich das Bedürfnis, mich innerlich davon abzugrenzen. In diesem Fall also meine Vorurteile abzulegen zusammen mit dem Bedürfnis, meine eigene Überlegenheit durch das Auffinden der Fliege in der Suppe zu demonstrieren.

Was ich geboten bekam, war die erste Rede eines Bundespräsidenten seit Rau, bei der ich das Gefühl hatte, eine Kür geboten zu bekommen und keine reine Pflicht. Sowohl Köhler als auch Wulff wirkten, so langweilig sie waren, immer ungeheuer angestrengt; der Versuch, in das eigene Amt hineinzuwachsen. Das war in jedem wohl ausformulierten, triefend staatstragenden Satz zu spüren. Welche Botschaft sie auch immer hatten, es schien nie wirklich ihre eigene zu sein, und sie ging unter in einer künstlich ernsthaften und übertrieben tragenden Performance. Ich hatte bei beiden Männern nicht das Gefühl, dass sie uns etwas sagen wollten, dass sie quasi nachts wachhält, das sie antreibt, das aus eigener Reflektion und Erfahrung kommt. Und auch wenn ein Teil von mir bei Gauck entnervt aufstöhnte – jetzt erzählt er schon wieder vom Krieg, hätte man früher gesagt, heute halt: Jetzt erzählt er schon wieder vom Mauerfall – zumindest war das authentisch. Wie sehr dem Amt des Bundespräsidenten Authentizität fehlte, wurde mir gestern erst wieder richtig bewusst; wie sehr sie der gesamten politischen Landschaft fehlt, außerdem.

Dass politische Teilhabe, und das heißt, das Recht und die Pflicht zu politischer Teilhabe, Kern seiner erfrischend kurzen Rede waren, hat auch sicherlich nicht geschadet. Das ist immer mal wieder auch mein eigenes Thema. Nun würde ich den Wert dieses Rechts und das Gewicht dieser Pflicht auch weniger aus historischen Fehlschlägen ableiten, aber geschenkt. Dass er sich als wählender Bürger in der DDR dann nicht etwa zum ersten Mal als Deutscher, sondern als Europäer gefühlt habe, ist der Satz, der mir am deutlichsten in Erinnerung ist. Das lässt hoffen, dass er deutliche Worte findet für den in der Regierungskoalition gerne betriebenen Sport, so elegant wie möglich antieuropäische Ressentiments zu bedienen, ohne dabei direkt als europafeindlich dargestellt zu werden.

Ich wage zu hoffen, dass dieser Bundespräsident deutliche Worte findet, wenn Union und FDP das ohnehin schon entmachtete griechische Parlament und damit die Bevölkerung des Mutterlandes der Demokratie von einem irgendwo in Brüssel ernannten Sparkommissar regieren lassen will. Ich wage zu hoffen, dass dieser Bundespräsident den Mut besitzt, in aller Deutlichkeit die Rettungskredite und Rettungsschirme als das zu bezeichnen, was sie sind: Eine Bankenrettung. Und ich wage zu hoffen, dass er den hirnlosen Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ mit Inhalt zu füllen weiß, mit einem klaren Bekenntnis. Und dieses Bekenntnis muss sein: Du darfst in Deutschland anders sein. Oder, etwas theologischer: Du darfst nerven, so wie Du auch von anderen genervt wirst.

Ob Gauck das alles so machen wird, sei mal dahingestellt. Aber ich glaube, er könnte das. Und das ist schon mal eine Menge mehr, als ich Wulff und Köhler zugetraut habe, aus gutem Grund, wie man gesehen hat.

Hier ist das Wetter.

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