Soziale Gerechtigkeit bei der Arbeit (1)

Ich überlege seit langem, ob ich auch mal über meine Arbeit bloggen soll. Seit gut einem halben Jahr habe ich nun das Vergnügen, in den Reihen eines regelrechten Konzerns des berüchtigten „sozialen Bereichs“ für die Armen und Entrechteten zu streiten. Es gibt da Dutzende Anekdoten, Geschichten und durchaus auch regelrechte Ärgernisse, die es wert wären, erzählt zu werden; sie handeln von Geldverschwendung, von einer entfesselten Bürokratie, hier und da handeln sie aber eben auch durchaus von handfester Korruption. Noch bin ich aber, warum auch immer, loyal, zumindest bis zu einer gewissen Grenze; wenn die überschritten ist, werde ich dann doch mal aus dem Nähkästchen plaudern. Zum Beispiel heute.

Meine heutige Geschichte handelt von 50 Cent. Ein halber Euro. Sie können sich davon dieser Tage noch weniger kaufen als von 50 Pfennig, als es die noch gab. Was Sie sich aber davon kaufen können, ist ein Portemonnaie.

Das muss erklärt werden: Teil des Mutterschiffes, mit dem ich nun neue Welten der sozialen Gerechtigkeit erforsche, ist ein sogenanntes Sozialkaufhaus. Wir erhalten aus der Stadt und ihrer Umgebung Spenden aus diversen Quellen, vom Todesfall bis zur konzertierten Aktion eines ansässigen Autobauers ist alles dabei. Diese Spenden wiederum decken so ungefähr alles ab, was Menschen kaufen können, wobei uns auch gerne Hausmüll untergejubelt wird, aber davon in einer anderen Geschichte. Wir verkaufen das weiter, zu ungemein niedrigen Preisen. Zum Beispiel eben 50 Cent für ein Portemonnaie. Und das ist eine gute Sache. Von den 50 Cent werden zum Beispiel die Mitarbeiter bezahlt, die in dem Sozialkaufhaus arbeiten; das sind neben hauptamtlichen Angestellten eben auch Leute, die sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten. Über die Schattenseiten dieses Aspektes könnte ich auch ein halbes Buch schreiben, mache ich jetzt aber nicht, es geht ja um das Portemonnaie.

Jemand hat also ein Portemonnaie gekauft.

Und damit heute sagenhafte vier hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt; sie haben telefoniert, sie haben in Aktenordnern gewühlt, sie haben Tabellen verglichen und sich gegenseitig Mails geschrieben; gleichzeitig waren weitere drei Personen mit dem Sachverhalt befasst, die in der Landesaufnahmestelle für Asylbewerber arbeiten, dazu werden morgen diverse Angestellte des Sozialkaufhauses kommen. Am Ende werden Menschen, die bis zu 20 Euro pro Stunde verdienen, insgesamt gut 8 bezahlte Arbeitsstunden damit verbracht haben, allein den Vorgang zu erfahren, sich darüber auszutauschen und zu informieren, sich Gedanken über das weitere Verfahren zu machen und seitenweise Papier vollzuschreiben bzw. Megabytes an Informationen zu versenden.

Wegen einem Portemonnaie.

Die Landesaufnahmestelle gibt ihren Klienten nämlich kein Geld. Sie gibt ihnen stattdessen Scheine, auf denen genau aufgelistet wird, was die sich holen dürfen, nämlich Kleidung, und zwar für den sagenhaften Wert von 15,36. Das ist kein Scherz: 36 Cent. Das steht da auf dem Schein, für jedermann sichtbar: Hier war jemand ohne Verstand am Werk. Jedes Mal.

Holen dürfen sich diese Menschen das dann nur an ausgewählten Stellen, zum Beispiel unserem Sozialkaufhaus. Und irgendjemand dort – wir werden ihn finden und zur Rede stellen – hat dem Kunden für 50 Cent ein Portemonnaie verkauft. Auf der Grundlage dieses Scheines. Ein Portemonnaie ist aber keine Kleidung, no Sir. Ein Asylbewerber in Deutschland braucht kein Portemonnaie. Und wenn er doch eins kauft, dann setzt man in der Landesaufnahmestelle Himmel und Hölle in Bewegung. Oder eben eine bürokratische Maschinerie – ich sollte eher Menagerie schreiben – die mehrere hundert Euro bezahlte Arbeitszeit verballert, nur um den Vorgang aufzuklären. Und da sind Büromaterialien, Telefonkosten und ähnliches noch gar nicht eingerechnet.

Sehen Sie, früher hätte man denen einfach Geld auf die Hand gegeben. Das war mal so. Aber dann klappte der Wiederaufbau unserer Brüder und Schwestern im Osten nicht, obwohl Helmut Kohl das versprochen hatte, und dann war das Boot voll. Die Ossis konnten wir nicht raus werfen, also hetzte dann alle Welt gegen Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns kamen; manchmal kamen sie sogar einfach so, weil sie nicht verhungern wollten, wir nannten das angewidert „Wirtschaftsflüchtlinge“. Und die fanden wir so eklig, dass wir unseren neu gefundenen Nationalstolz mit Freudenfeuern feierten, bei denen wir dann Asylantenheime samt Insassen anzündeten.

Natürlich gab es dann sehr schnell Lichterketten; der kollektive Rausch im Feuerschein gefällt dem Deutschen auch, wenn dabei keiner stirbt.

Aber unser Asylrecht schlugen wir trotzdem in Fetzen. Es gibt lange Liste sicherer Staaten, und dann noch längere Listen von Staaten, über die man nicht einreisen sollte, weil man sonst wieder dorthin zurückgeführt wird – wenn Sie zum Beispiel dieser Tage aus Syrien weg wollen und die Route über Italien nehmen, gehen Sie erst wieder ins sichere Italien zurück, und von dort geht es dann gnadenlos wieder nach Hause. Es gibt nicht mal einen Anstecker von Westerwelle, wie schön doch die Freiheit ist.

Und natürlich beschlossen wir damals auch, Asylbewerber für jedermann dadurch kenntlich zu machen, dass sie in unseren Supermärkten und Kaufhäusern mit irgendwelchen Scheinen auflaufen müssen, mit denen wir sie einkaufen schicken, bevor sie auch nur ein Wort Deutsch gelernt haben. Sie haben sicherlich auch schon solche Szenen an der Kasse erlebt, wo es grundsätzlich einen Stau gibt, wenn diese Scheine zum Einsatz kommen, wenn also die Kassiererin darüber entscheiden darf, was so ein Asylbewerber einkaufen darf und was nicht, was die immer genüsslich machen, mit verdrehten Augen und angewidertem Gesichtsausdruck: Willkommen in deutsche Land! Hier wirst Du geholfen.

Ich habe nur selten Gewaltphantasien, aber ich möchte dann immer sehr gerne eine Kassiererin schlagen. Das ist falsch. Ich sollte meine Phantasien wie jeder ordentliche Deutsche am Schreibtisch ausleben. Mache ich ja streng genommen gerade.

Die Bürokratie, die darüber wacht, dass Asylbewerber hierzulande bloß keinen Krümel vom Boden aufheben, der nicht in irgendwelchen Listen steht, lassen wir uns natürlich gerne etwas kosten. Da fragt nicht mal einer nach. Die Kosten, die entstehen, um Menschen abzuschieben – Verzeihung: zurückzuführen – da kräht kein Hahn nach. Wir haben eine ganz ähnliche, bloß ungefähr tausend mal größere Infrastruktur aufgebaut, um Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern das Leben schwer zu machen, und alle sind glücklich damit. Wir sparen nicht einen Cent, wir geben sogar mehr aus als je zuvor. Aber dafür gibt der Deutsche gerne seine Steuergelder aus, garantieren sie doch, dass alles an seinem Platz ist und vor allem da bleibt.

Wie gut, dass wir hierzulande keine Verteilungskämpfe haben.

Wetter.

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