Wir nutzen unseren Corona-Hausarrest, um regelmäßig eine Runde „Jede/r ein Lied“ zu spielen und manchmal schaffe ich es, darüber zu schreiben.
Die Regeln:
- Jedes Familienmitglied wählt nacheinander einen Song auf YouTube aus, den wir uns dann gemeinsam anhören.
- Das Lied wird bis zum Ende gespielt, egal wie schlimm es alle anderen finden.
Weitere Folgen von „Jede/r ein Lied“ finden Sie hier.
Jede/r ein Lied (3): Juliet ist mis-shaped und hat unkontrollierten Streit mit dem Mond
" data-orig-size="1200,627" sizes="(max-width: 640px) 100vw, 640px" aperture="aperture" />One Direction: No Control
Die Tochter spielt mit “No control“ wieder ein Lied der britisch-irischen Boyband One Direction. Die Band-Mitglieder sehen immer noch so jung aus, als seien sie einem musikalischen Früherziehungskurs für Kita-Kinder entsprungen.
Im Video zu dem Song wird eine wilde Party gefeiert. Das ganze Haus, der Garten und die Pool-Area sind voll mit jungen, attraktiven Menschen, die mit Hilfe von Alkohol und anderen Rauschmitteln eine gute Zeit haben. FÜr Musik ist auch gesorgt, allerdings sehen die wechselnden Dudes hinter den Plattenteller aus, als machten sie das zum ersten Mal.
Der ausgelassenen Stimmung tut das keinen Abbruch. Ein Typ führt Tricks mit einem Fußball vor, ein anderer macht ein paar Breakdance-Moves, ein dritter springt in einer Art Stage Diving für Arme von einem Tisch in die tanzende Menge. Wahrscheinlich alles Balzrituale, mit denen die Knaben ihre Paarungsbereitschaft signalisieren.
Einer der Partygäste trägt ein Dinokostüm, ein anderer ein Hahnkostüm. Ich war noch nie auf einer Party, auf der Menschen als Tiere verkleidet waren, und bin mir nicht sicher, ob ich da etwas verpasst habe.
Gegen Ende der Party landen die One-Direction-Mitglieder nacheinander im Swimming-Pool. Ich war auch noch nie auf einer Party, bei der irgendjemand in ein Schwimmbad gefallen ist. Auch hier bin ich mir nicht sicher, ob ich da etwas verpasst habe.
Interessanterweise hat der Song inhaltlich nur sehr wenig mit dem Geschehen in dem Video zu tun. Es geht in „No control“ um einen rolligen Typen, der morgens neben einem Mädchen aufwacht, in das er verschossen ist.
Waking up
Beside you, I’m a loaded gun
I can’t contain this anymore
I’m all yours, I’ve got no control, no control
Hört sich an wie ein klassischer Fall von Morgenerektion in Kombination mit frühzeitiger Ejakulation. Was würde Dr. Sommer wohl in so einem Fall raten? Wahrscheinlich regelmäßige Masturbation, damit der ganze Spaß nicht schneller vorbei ist, als die Frau Orgasmus sagen kann.
Kianush & PA Sports: Streit mit dem Mond
Der Sohn versucht erneut, uns das Genre des Deutsch-Raps näher zu bringen und wählt „Streit mit dem Mond“ von Kianuh und PA Sports. Beide sind mir – mal wieder – vollkommen unbekannt, was dafür sprechen könnte, dass sie sehr erfolgreiche Gangsta-Rapper sind.
Das Video spielt in einem runtergekommenen Plattenbau-Hochhaus, in dessen düsteren, engen Gängen zwielichtige Gestalten abhängen. In einer Wohnung werden zwei Polizisten als Geiseln gehalten, in einer anderen kniet ein älterer Mann mit Hundehalsband vor einer Domina. Vor dem Haus posieren auf einem Auto ein paar Vermummte mit Maschinenpistolen, im Hintergrund stehen brennende Mülltonnen. Eine Szenerie, gegen die Berlin-Neukölln oder Hamburg-Billstedt das reinste Nizza sind.
Im Gegensatz zu „No Control“ passen bei „Streit mit dem Mond“ Video und Lyrics perfekt zusammen:
Geh‘ nicht ohne Wumme aus der Wohnung, ich leb‘ im Dschungel
Seh‘ nur Hunde, Nutten, Junkies, Kids in Designerfummeln
Die erste Zeile des Refrains bricht allerdings mit der beklemmenden Ghetto-Atmosphäre:
Spiel‘ Gitarre auf dem Dach, fühl‘ mich frei bis zum Tod
Nachts auf dem Dach zu klampfen, scheint mir für die Reputation eines harten Rappers nicht sehr förderlich zu sein. Die Pioniere des Gangsta-Raps haben sich ihre ersten Meriten sicherlich nicht dadurch erworben, dass sie am Lagerfeuer auf der Wandergitarre geschrammelt haben.
Mit der zweiten Zeile des Refrains wird die Street Credibility der Herren Kianush und PA Sports aber wiederhergestellt:
Kann nicht schlafen, halt‘ mich wach, ich hab‘ Streit mit dem Mond
Beef mit dem Mond haben wirklich nur die ganz Harten. Dafür musst du schon sehr, sehr aggro sein. Wer sich mit dem Mond zofft, fordert wahrscheinlich auch Babys zum Battle-Rap raus. Möglicherweise ist Mond aber auch der Street-Name des örtlichen Dealers, mit dem Kanushi und PA Sports in einen herrschaftsfreien Diskurs über die Qualität und Preise der feilgebotenen Waren getreten sind.
Pulp: Mis-Shapes
Mit Pulp und “Mis-Shapes“ wartet die Frau auch diesmal mit einer britischen Band auf. Sänger Jarvis Cocker ist – wie schon der Maximo-Park-Frontmann Paul Smith – ebenfalls ein Celebrity Crush von ihr. Wenn ich darüber nachdenke, ist ihre Schwärmerei für britische Popstars ein wenig irritierend. Möglicherweise ist der Brexit doch nicht eine so schlechte Idee.
„Mis-Shapes“ ist ein Begriff zur Bezeichnung deformierter, aus der Norm gefallener Produkte – häufig Lebensmittel. Der Pulp-Song handelt aber nicht von unförmigen Keksen, sondern von den verbalen und körperlichen Anfeindungen, denen du an einem Samstagabend in einem englischen Kleinstadt-Club ausgesetzt bist, wenn du dich anders kleidest, anders frisierst, einfach anders bist.
We’d like to go to town but we can’t risk it, oh
‚Cause they just want to keep us out
You could end up with a smack in the mouth
Obwohl die Schnittmenge unseres Musikgeschmacks sehr, sehr klein ist, muss ich zugeben, dass die Frau diesmal ein sehr gutes Video ausgesucht hat. Schon der Typ, der am Anfang des Clips die Band ansagt, ist absoute Weltklasse.
Auch ansonsten setzt das Video den Kleinstadt-Konflikt visuell perfekt um. Auf der einen Seite gibt es die „Townies“, die mit ihren gebügelten Hemden, feinen Stoffhosen und polierten Schuhen versuchen, die Upper Class zu imitieren. Allerdings ohne Erfolg, denn durch ihr Auftreten, ihre Sprache und ihre Mimik können sie ihre Working-Class-Herkunft trotzdem nicht verbergen. Auf der anderen Seite stehen die „Mis-Shapes“, die mit ihren bunt gemusterten Hemden, grellen Hosen und außergewöhnlichen Frisuren der geistigen und moralischen Enge der vermufften Provinz entkommen wollen. Dafür werden sie den ganzen Abend von den Townies schikaniert.
Das Ganze artet schließlich zu einer Massenprügelei aus. Also, auch der typische Abschluss eines Discoabends in einer englischen Kleinstadt.
Robin Gibb: Juliet
Nach der anspruchsvollen pulpschen Sozialkritik ist es meine Aufgabe, das Niveau unseres familiären YouTube-Liederkarussells auf unter Normal-Null zu bringen. Da liegt die Entscheidung für „Juliet“ von Robin Gibb, einem der trashigsten Videos der Musikgeschichte, nahe.
Ohne besonders viele Lieder von Robin Gibb zu kennen, hege ich große Sympathien für ihn sowie die Bee Gees. Zum einen war „You win again“ eines der ersten Lieder, das ich aus dem Radio auf Cassette aufgenommen habe. (Schon in meiner frühen Jugend hatte ich einen verachtungswürdigen Musikgeschmack.). Zum anderen sind die Gibb-Brüder der singende Beweis, dass du nach konventionellen Maßstäben weder besonders attraktiv aussehen, noch eine besonders gute Stimme haben musst, um eine steile Karriere im Musik-Business hinzulegen. Das erfüllt mich mit der großen Hoffnung, vielleicht doch irgendwann erfolgreicher Autor zu werden. Robin Gibb und die Bee Gees sind quasi mein Krafttier, das mich zum Schreiben motiviert.
In dem Video zu „Juliet“ spielt Robin Gibb einen Schriftsteller, der in einem Schloss in einem Kaminzimmer sitzt und singend in eine Schreibmaschine hackt. Immer wieder werden Szenen aus der Geschichte, die er gerade verfasst, gezeigt, eine Art historische Liebesgeschichte, die in einem Bürgerkriegsszenario spielt. Nicht ganz uneitel hat sich Robin Gibb selbst die Rolle des wagemutigen Heroen zugeschrieben, der seine Angebetete aus der Gefangenschaft feindlicher Soldaten befreit. Ein wirklich sehr, sehr unrealistischer Plot. Ich meine, wie schlecht muss die militärische Ausbildung von Soldaten sein, wenn sie von einem Hänfling wie Robin Gibb vom Pferd gerissen oder im Fechtkampf erstochen werden?
Das Video endet damit, dass der Gegenwarts-Robin-Gibb auf dem Balkon des Schlosses steht und der von ihm begehrten Juliet hinterherschaut, die mit einem Einspänner gen Horizont davonfährt. Zugegebenermaßen habe ich die Handlung des Clips sehr verkürzt wiedergegeben, aber glauben Sie mir, er ergibt auch nicht viel mehr Sinn, wenn Sie ihn sich komplett anschauen.
Inhaltlich geht es, wie sollte es anders sein, um Robin Gibbs große Liebe zu Juliet, die ihn von einem Leben als promiskuitiven Romeo abgebracht hat.
I was a Romeo
I knew the art of romancing
I was just an average guy, in a world of empty dreams
I needed someone to show me how to love
Robin Gibb ist fest davon überzeugt, dass ihre Liebe für die Ewigkeit bestimmt ist.
On and on, our love is like the sun
it keeps going strong throughout eternity
Ich möchte nicht unromantisch und besserwisserisch rüberkommen, aber hätte Robin Gibb in der Schule etwas besser aufgepasst, wüsste er, dass die Sonne in circa sechs bis sieben Milliarden Jahren erlischt und mit ihr jegliches Leben auf der Erde. So viel zur ewigen Liebe.
In seiner trunkenen Verliebtheit sind Robin Gibb naturwissenschaftliche Erkenntnisse aber ziemlich wumpe.
juliet, oh juliet
you know you taught me to fly
you take me clear to the sky
Möglicherweise ist Juliet auch gar keine Person, sondern eine Art Magic Mushroom, an dem Robin Gibb genascht hat, und nun ist er auf einem Wahnsinns-Trip unterwegs. Aufgrund der visuellen Gestaltung und der vollkommen an den Haaren herbeigezogene Handlung des Videos scheint mir diese Vermutung naheliegend.
Weitere Folgen von „Jede/r ein Lied“ finden Sie hier.
Die komplette Jeder-ein-Lied-Playlist bei Spotify:
Der virtuelle Spendenhut
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