It's the politics, stupid!

Von Stefan Sasse
"Alle Welt will das deutsche Geld!" Das ist eine Aussage, die man derzeit kreuz und quer durch den deutschen Blätterwald rauschen hört. Sie wird vorgetragen mit der Aura heiliger Empörung, mit der Selbstsicherheit, die nur ein moralisch einwandfreier Lebenswandel geben kann (sofern man kein Katholik ist), der typischen chauvinistischen Selbstgewissheit, mit der diejenigen, denen es gut geht, schon immer denjenigen begegnen denen es schlecht geht. Das kann der Großbürger des 19. Jahrhunderts gegenüber dem Fabrikarbeiter sein (Was ist der auch arm! Selbst schuld!), das kann der Deutsche sein, dessen stolzgeschwelltes Herz sich in Geschichten vom eigenen Fleiß ergibt, der den "Schuldnerländern" des "Südens" so überlegen ist. Tatsächlich schreit "die Welt" (also vor allem Europa und die USA) nach deutscher Aktion in dieser Sache. Tut endlich was! ist der Tenor, und damit ist nicht einmal das reine Geldausgeben gemeint. Aber der Deutsche denkt dieser Tage nur mit dem Portmonee, und alles, was er hört, ist das Rascheln von Geldscheinen und Klingen von Münzen. Dabei hat die Krise längst eine völlig andere Dimension, die völlig untergeht. Es geht nämlich nur sehr zweitrangig ums Geld, das die Deutschen mit Argusaugen vor den gierigen, unverantwortlichen Südländern bewahren zu müssen glauben. Die Dimension der Krise ist längst politisch geworden, ohne dass die Deutschen das sehen würden. 
Da kommen zunächst einmal die Fakten. Das deutsche Narrativ von den fleißigen, ehrlichen Deutschen, die jetzt nur die Früchte ihrer harten Arbeit ernten, während den faulen Südländern das ihre zukommt, ist schlicht falsch. Spaniens Schuldenquote etwa liegt beträchtlich unter der deutschen (68% gegenüber 81%). Es war Deutschland, nicht Griechenland, das zwischen 2000 und 2010 die Maastrichtkriterien wiederholt verletzt hat und sich einen Dreck um den Gehalt des Vertrags scherte, den es nun als völlig unzureichend und schwach verdammt. Es war Deutschland, das im Angesicht der Krise 2009 ein gewaltiges Konjunkturprogramm auflegte und damit die größten Härten deutlich besser abfederte als Länder, die das nicht taten. Deutsche Arbeiter arbeiten im Schnitt 1300 Stunden im Jahr, griechische kommen auf rund 2100. Klar sagt diese Zahl nichts aus, denn die deutsche Produktivität ist wesentlich höher, aber "faul" ist hier sicher das falsche Wort. "Ineffizient" wäre vielleicht richtiger, aber das wäre ja keine so tolle Geschichte mehr, und mit Moral kann man da auch nicht so leicht kommen. Das Schlimmste aber: bisher hat Deutschland überhaupt niemandem Geld geschenkt. Die Hilfen an Griechenland sind Kredite, mit vergleichsweise hohen Zinsen noch dazu, alles andere sind Garantien, die noch nicht, vielleicht aber auch nie, fällig werden. Diese kurze wie unvollständige Übersicht zeigt, dass bereits das Fundament des deutschen Überlegenheitswahns brüchig ist. 

Aber es geht noch weiter. Mit all diesen Fakten im Hinterkopf fordert man von Deutschland nicht, dass es einfach sinnlos Geld nach Griechenland (und Italien und Spanien) pumpt. Das wäre ja auch wenig zielführend, das ist sogar den ach so unsoliden und verschwenderischen Leuten im Rest der Welt klar. Worum es geht, ist, dass Deutschland endlich handelt. Es zieht sich auf den moralischen Grund zurück, nach dem es alles richtig gemacht hat und jetzt eigentlich nur in einem Art "father knows best"-Ansatz die gleichen Prinzipien auf den Rest der Welt anwenden muss. Der Economist hat diesen Ansatz in einem Satz verständlich auf den Punkt gebracht: "Im Spiel gegen Griechenland war Deutschland 66% der Zeit im Ballbesitz und versteht nicht, warum die Griechen nicht einfach dasselbe tun." (Ich paraphrasiere.)  Es gibt ein Land in Europa, das derzeit eine ähnliche Haltung einnimmt wie Deutschland, dieses "Wir haben alle richtig gemacht und brauchen nichts zu ändern", ein Land, das wie Deutschland hauptsächlich auf dem Rücken anderer Länder seine Wirtschaft gefördert hat: Luxemburg. Schon ein beiläufiger Blick auf die Karte zeigt, warum sich niemand um Luxemburg schert und alle wollen, dass Deutschland etwas tut. Nur ist das weder ins Kanzleramt noch in die deutschen Redaktionsstuben vorgedrungen. Hier glaubt man, die Kanzlerin von Luxemburg zu sein und versteht nicht, was eigentlich alle wollen. 

Man ist aber nicht Kanzlerin von Luxemburg, sondern von der größten Volkswirtschaft der Eurozone, im größten Land der Eurozone, mit dem meisten Gewicht in der Eurozone. Ich habe bereits jüngst darüber geschrieben (zur Irritation vieler Leser): Deutschland ist eine Großmacht. Das ist unangenehm, denn eine solche zu sein ist teuer. Das fällt inzwischen vielen Leuten auf, ohne dass sie genau sagen könnten, woher diese Kosten kommen und womit sie zusammenhängen. Und das ist genau die politische Dimension der Euro-Krise. Die politischen Gewichte in Europa haben sich verschoben, schlagartig und auf einen einzigen Punkt. Dieser Punkt, der geneigte Leser hat es erraten, ist Berlin. Eine Großmacht, ein regionaler Hegemon zu sein, ist aber teuer. Es ist aufwändig. Und Deutschland hat keinerlei Erfahrungen damit. Auch auf die Gefahr hin, die ganzen Weimar-Vergleiche weiter zu inflationieren: die USA befanden sich am Ende des Ersten Weltkriegs in einer ähnlichen Situation, und genauso wie Deutschland wollten sie nichts davon wissen. Statt die Verantwortung zu übernehmen, die ihnen zufiel, zogen sie sich zurück und bestanden auf der Zahlung der Kriegskredite. Ihre ökonomische Politik, die diesem Ziel diente, errichtete ein Kartenhaus in Europa, das in der Weltwirtschaftskrise auch prompt zusammenbrach. Am Ende mussten sie alle Schulden erst ein Jahr aussetzen (Hoover-Moratorium, 1932) und dann ganz streichen - außer Spesen nichts gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sie gelernt. Marshall-Plan und permanente Stationierung waren die Folgen. Das war teuer, aber es funktionierte und brachte den USA Vorteile, die mit den reinen Kosten nicht aufzuwiegen und gegenzurechnen waren. Aber in einer Nation von Buchhaltern, wie Deutschland sie gerade ist, hat diese politische Komponente keinen Platz. 

Das zeigt sich schon in Hans-Werner Sinns kleinem Streit mit dem Economist, in dem er beharrlich versucht, seinen Marshall-Plan-Vergleich aufrecht zu erhalten, indem er ihn als isolierten Plan von anderen Aktionen wie der Londonder Schuldenkonferenz betrachtet. Darüber kann man diskutieren, nur, wie es im Economist auch deutlich dargestellt wurde, verkennt das völlig den Kern der gesamten Aktion. Und der war politisch. Das Ziel war, Europa möglichst schnell auf einen Pfad selbsterhaltenden Wachstums zu bringen. Die reinen Summen gegeneinander aufzurechnen hilft dabei wenig. Sinn rechnet nur mit den Direktinvestitionen des ERP, der Economist schlägt noch großzügig die Schuldenabkommen drauf, beide vergessen völlig die Zollsenkung der USA gegenüber den Europäern, die das deutsche Wirtschaftswunder und seine Exportorientierung überhaupt erst möglich machten, Jahre bevor die EWG auch nur angedacht war. Solche Überlegungen sind den Deutschen völlig fremd. Sie sehen nur die Zahlen des Hier und Jetzt, sie sind unfähig, einen Plan zu entwickeln, eine Vision von einem Europa. Die Spitze europapolitischer Vorstellungen von Seiten der Regierung ist Wolfgang Schäuble. Sagt das nicht alles? 

Es ist notwendig, dass Deutschland seine neu gewonnene Macht nicht als reine Obstruktion verwendet. Wenn es sich benimmt, als sei es eine Insel und weit weg, als ginge es das eigentlich gar nichts an und würde der Rest Europas einfach nur als Bittsteller auftreten, dann wird Europa untergehen und Deutschland mit ihm, zuvordererst. Deutschland verkennt völlig sämtliche Interdependenzen innerhalb Europas. Nur so ist es erklärbar, das ein Land, das sogar geographisch in der Mitte Europas liegt, sich benimmt als wäre es in Wirklichkeit irgendwo auf den Seychellen. Wenn die Deutschen nicht bald aufwachen und endlich erkennen, was eigentlich wirklich auf dem Spiel steht, dann wird es ein böses Erwachen geben. Es kann nicht darum gehen, einfach nur die Handtasche auf den Tisch zu knallen und "I want my money back!" zu rufen. Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten friedlich Geld in die EU bezahlt, ganz einfach weil klar war, dass wir mehr davon zurückbekommen als hineinfließt, auch in Leistungen, die sich eben nicht in D-Mark und Euro ausdrücken lassen. Diese Erkenntnis, die unter Helmut Kohl noch Staatsräson war, geht an seinen Erben völlig vorbei.


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