Irgendwie linke Ausstiegsfantasien

Gestern war in Berlin ein absurdes Schauspiel zu betrachten: Auf einem Sonderparteitag warb die Spitze der Grünen um die Zustimmung ihrer Partei für ein Hauptziel grüner Politik: Den Ausstieg aus der Atomenergie. Während Renate Künast pragmatisch forderte, „hinterhältig und schamlos“ zuzustimmen, wenn schwarz-gelb schon mal grüne Politik umsetze, forderte Fundamentalkritiker Hans-Christian Ströbele im Hinblick auf die Katastrophe von Fukushima doch besser schon 2017 abzuschalten, was bedeuten würde, dem Ausstiegsplan der Regierung nicht zuzustimmen. Ein typisch grünes Dilemma, welches mich an den alten Spruch denken lässt: „Überlege gut, was du dir wünschst, denn dein Wunsch könnte erfüllt werden.“

Natürlich ist jedes Jahr, das die deutschen Atommeiler weniger laufen, besser für Mensch und Umwelt. Und selbstverständlich ist der Atomausstieg auch den jahrzehntelangen Kämpfen der Grünen zu verdanken, die ihn immer und immer wieder gefordert haben. Den Ausschlag für das Umschwenken (von Umdenken will ich bei dieser Bundesregierung lieber nicht reden) der Schwarzgelben hat aber die furchtbare Katastrophe von Fukushima gegeben, die zwar noch immer statt findet, aber erstaunlich schnell und fast komplett aus den Medien verschwunden ist.

Zugegeben: Tschernobyl war damals näher dran, da waren die direkten Auswirkungen hierzulande tatsächlich messbar und somit spürbar. Gestern machte eine AFP-Meldung die Runde, das gegen die radioaktive Verseuchung rund um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima im kommenden Jahr Sonnenblumen gepflanzt werden sollen. Kein Witz. Die Fukushima-Konferenz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist dagegen ohne konkrete Beschlüsse zu Ende gegangen. Die 151 Mitgliedsstaaten konnten sich bei ihrem Sondertreffen in Wien nicht auf verbindliche Sicherheitsstandards zur Nutzung der Atomkraft einigen, stattdessen gab es mal wieder einen Appell zum Handeln. Konkret bedeutet das, dass man die Firmenhanseln in der Atomindustrie einfach weiter rummurksen lässt, wie Tepco das in einzigartiger Präzision vorgeführt hat. Nach diesem Dilettantenstadel aus dem Hochtechnologieland Japan will sich nun erst recht kein Staat in die Karten kucken lassen, auf welche Weise er mit seinen Atomanlagen und deren Betreibern umgeht.

Und damit zurück zu den Grünen. An dieser „irgendwie linken“ Partei (Jakob Augstein) kann man gut studieren, warum irgendwie linke Politik in unserem System so schwer bis gar nicht umzusetzen ist. Nehmen wir die FDP: Diese Fast-Drei-Prozent-Partei ist derzeit noch immer an der Regierung und zerlegt derzeit munter das einst solidarisch gedachte und früher allgemein zugängliche Gesundheitssystem: Denn wenn Ärzte mehr verdienen sollen, dann müssen Patienten bzw. die Krankenversicherungen mehr zahlen. Wessen Versicherung dann pleite geht, wer sich den Arzt nicht mehr leisten kann, der hat halt Pech gehabt. Sterben müssen alle irgendwann einmal. Da ist die FDP pragmatisch. Mit dem Selbstbedienungsgesundheitsladen für alle muss mal Schluss sein, denn der rechnet sich nicht. Die Produktivität ist inzwischen so hoch, dass man nicht mehr so viele gesunde Arbeiter braucht, um den Laden am Laufen zu halten. Jetzt müssen nur noch die paar Leistungsträger optimal versorgt werden, die anderen sollen sich mit Omas Hausmittelchen begnügen, das ging doch früher auch.

Die Grünen dagegen, die derzeit immerhin ein Viertel der Wähler hinter sich haben, demontieren sich mit Fragen wie: „Kann ein schwarzgelber Atomausstieg gut sein oder sollen wir den nicht lieber irgendwie grün und damit notfalls gar nicht machen?“ oder unterwerfen sich mit dem Ausstieg aus Stuttgart 21 einem unbestehbaren Stresstest. Und so braucht man gar nicht groß über Schwarzgrün zu spekulieren. Obwohl die Grünen sicherlich die Werbung fürs Omas Hausmittelchen unterstützen – gute Natur statt böse Chemie gehört ja auch zum grünen Gedankenreservoir.

Und wenn schon: Die Grundlage unseres Systems ist die Marktwirtschaft. Manche Linke, die nicht nur irgendwie links sind, sagen dazu auch Kapitalismus. Auch denn das ein Begriff ist, der den irgendwie Linken nicht gefällt. Damit ist die Grundrichtung der freiheitlich demokratischen Grundordnung vorgegeben: Gut ist, was gut für die Wirtschaft oder die Kapitalisten ist. Und zwar ausschließlich. Deshalb kann die FPD auch mit den blödesten Hanseln an der vordersten Front immer nur auf die Füße fallen: Das System ist immer für die Wirtschaftsfreunde.

Wie es den Menschen in der darauf aufbauenden Gesellschaft geht, ist nachgeordnet. Selbst wenn es dazu kommt, dass irgendwie linke Parteien wie Grüne oder die Linken – die SPD mag ich nicht mal mehr als irgendwie links bezeichnen, die ist vielleicht noch irgendwie Mitte – relevante Mehrheiten im Parlament erhalten, so ist das bestenfalls an Zugeständnissen für irgendwelche benachteiligten Gruppen zu spüren. Aber nicht an einer prinzipiellen Änderung der Tatsache, dass es immer nur aufs Geld und aufs Geldverdienen und damit auf die Interessen der Wirtschaft (des Kapitals) ankommt.

So ist beispielsweise die gerade von CDU-Politikern losgetretene Diskussion um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens keine sozialutopische Vision, sondern schlicht die Demontage des noch vorhandenen Sozialstaats, indem die Leute durch das Grundeinkommen in die Lage versetzt werden, zu minimalen Löhnen oder gar „freiwillig“ den ganzen Tag arbeiten zu gehen. Und wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind, werden sie minimalstem Niveau abgefüttert. Was auch Politiker der Linken, der Grünen oder der Piraten nicht entblödet, für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und damit für eine weitere, umfassende Verarmung der Massen zu sein. Aber was rege ich mich auf: In unserem System ist eine gewisse Blödheit nur von Vorteil.



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