Irak: Cui bono?


“Stell dir vor, die übelsten Terroristen der Weltgeschichte verwüsten den halben Nahen Osten und nicht eine US-Drohne schießt jemanden ab. Die Story, wie ISIS den Irak einnahm, wird wohl als eine der blutigsten Episoden in die Geschichte des Landes eingehen – und als eine der größten Lügen.

Man kann sicherlich viel Schlechtes sagen über den arabischen Film. Kitschige Schmonzetten, dämliche Agentensoaps, umfallende Scheinwerfer. Doch die Geschichte, die derzeit über die internationale Terror-Miliz ISIS im Umlauf ist, würden wohl selbst die Regisseure ägyptischer B-Movies als zu absurd ablehnen. Der Plot geht so: Irgendwo zwischen Dattelpalmen und Wüstendünen taucht überraschend die größte und blutrünstige Terrortruppe der Menschheitsgeschichte auf. Quasi im Vorbeifahren nehmen sie von den Ladeflächen ihrer Toyota-Pickups ganze Städte ein. Ein paar Hundert Skimasken tragende Fanatiker treiben ganze Armeedivisionen in die Flucht. Panzerfahrer springen panisch aus ihren Luken. Zehntausende Soldaten werfen ihre Gewehre in den Sand und rennen, was das Zeug hält. Währenddessen verharrt der Rest der Welt in Schockstarre. Kein Land ruft den UN-Sicherheitsrat an wegen der Satellitenbilder über frische Massengräber. Kein Botschafter wird einbestellt, keine UN-Friedenstruppe zusammengestellt. Da herrscht plötzlich Al-Qaida über Millionen Menschen und Milliarden Dollar. Doch jenes Land, dass im „Krieg gegen den Terror“ die gesamte Region mit Militärbasen zugepflastert hat, lässt angesichts der größten terroristischen Bedrohung seit je keine einzige Drohne abheben.

Um herauszufinden, was hinter dem Erfolg von ISIS steckt, nützt es, sich das Zustandekommen ihres bisher größten „Sieges“ genauer anzusehen: Nach mehrtägigen Schießereien mit der irakischen Armee rückten am 10. Juni zwischen 800 und 1 500 ISIS-Kämpfer auf Iraks zweitgrößte Stadt Mossul vor. Sicher scheint: Mindestens 30 000 irakische Soldaten standen ihnen gegenüber und gaben die Stadt schließlich fast kampflos auf. Schnell wurde in Medien die geringe Loyalität sunnitischer Soldaten zum schiitischen Präsidenten als Grund für die Massendesertierungen ausgemacht.“(3)

In einigen arabischen Medien liest man hingegen andere Erklärungen: Anhänger von Saddam Husseins Baath-Regime hätten sich mit ISIS verbündet. Die Soldaten in Mossul seien nicht aus Angst oder Illoyalität desertiert, sondern weil es einen Putsch in der Militärführung gegeben habe. Der syrische Journalist Ziad Fadel schreibt: „Unsere Leser sollten erfahren, dass die Einnahme Mossuls durch frühere baathistische Offiziere ermöglicht wurde.“ Diese hätten „ihre Posten verlassen und eine 52 000 Mann starke Truppe ohne Führung zurückgelassen und dadurch den vollständigen Zusammenbruch der Stadtverteidigung forciert.“(4)

Verantwortlich für die Intrige soll vor allem ein Mann sein: Izaat Ibrahim Al-Douri. Der Gründer der „Neuen Baath-Partei“ war einst Vordenker der Bewegung und Saddam Husseins rechte Hand. Die irakische Regierung gab ihn zum Abschuss frei, in ISIS fand er einen neuen Bündnispartner. Und noch jemand soll mitgespielt haben bei der Eroberung Mossuls. Die Türkei und Saudi-Arabien hätten die Zusammenarbeit vermittelt.

Schuf der Irakkrieg die Grundlage des Entstehens für ISIS, machte sie erst ein zweiter Krieg zur mächtigsten Terrororganisation der Region. Als Dschihadisten aus aller Welt nach Syrien strömten, beteiligten sich auch ISI-Kämpfer am Blutvergießen und stießen auf ungekannte Finanziers und Ausrüster: „Die treibende Kraft hinter den (türkischen) Bemühungen, die Rebellen zu bewaffnen“, nennt das Wall Street Journal den türkischen Geheimdienstchef Hakan Fidan. Für den US-Botschafter in der Türkei, James Jeffrey, ist er gar das „Gesicht des neuen Nahen Osten.“(12) 3 000 Kämpfer der Miliz ließ Fidan in der Türkei trainieren, bevor al-Baghdadi am 8. April 2013 „ISI“ zu „ISIS“ machte. Die Einnahme der syrischen 200 000-Einwohner-Stadt al-Raqqa leitete schließlich nicht nur den Bruch mit der irakischen Al-Qaida ein. Von nun an waren Gelder und Waffen wesentlich leichter zu beschaffen, dienten sie doch dem Kampf gegen Assad und nicht jenem gegen die amerikanischen Besatzer.

Nicht nur das scheinbar mühelose Überwältigen ganzer Divisionen der irakischen Armee fällt bei ISIS‘ Vormarsch auf. Rund 40 000 Soldaten sollen die USA allein in dem und um den Persischen Golf herum stationiert haben. Hunderte Kampflugzeuge sind in den Golfstaaten und auf Flugzeugträgern stationiert. Wöchentlich fliegen Drohnen Angriffe auf jedes noch so kleine Al-Qaida nahestehende Ziel zwischen Pakistan und Jemen.(27) Doch trotz wiederholter Bitten der irakischen Regierung nach Luftunterstützung sehen die USA dem Vormarsch der Terroristen seit Monaten tatenlos zu. Unterdessen verzögern sich wichtige Waffenlieferungen: Bereits 2011 kaufte der Irak für über zwei Milliarden Dollar F16-Kampfjets von den USA. Die Lieferung steht bis heute aus. Zuletzt verwies die Sprecherin des US-Außenministeriums, Marie Harf, Ende letzter Woche erneut auf „logistische Schwierigkeiten“.(28) Auch eine Lieferung Apache-Kampfhubschrauber verzögert sich.

Rund ein Drittel des Irak kontrolliert ISIS mittlerweile.(31) Und die unglaubliche Reise der verrückten Terrormiliz geht weiter: „Intensiv und dauerhaft“ sei die Unterstützung der USA im Kampf des Irak gegen ISIS, versprach US-Außenminister John Kerry vergangene Woche bei einem Besuch in Bagdad.(32) Al-Malikis Bitte um Luftschläge lehnte er dennoch erneut ab. Eine „neue Regierung, die Schiiten und Sunniten versöhnt“, forderten er und der saudische König Abdullah stattdessen.(33) Zur gleichen Zeit bat US-Präsident Obama den US-Kongress in Washington um die Bewilligung weiterer 500 Millionen Dollar – für syrische Rebellen, nicht für al-Maliki. Der konnte hingegen am Montag doch noch 200 US-Soldaten in Bagdad begrüßen. Schießen sollen die allerdings nicht: Es handelt sich um eine Gruppe Militärberater – gegen die größte Terrororganisation der Welt. Klingt, als bräuchte man sich in Kairoer Hinterhof-Filmstudios keine Sorgen um das nächste Drehbuch zu machen.”

Quelle: http://www.hintergrund.de/201407013139/globales/terrorismus/die-unglaubliche-reise-der-verrueckten-terror-miliz.html


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