Interview mit Özlem Sahin

Die ungeschlagene Özlem Sahin (13 Kämpfe, 12 Siege, 4 durch KO, 1 Unentschieden) boxt am 15. Juli in Göppingen um die Weltmeisterschaft im Junior Fliegengewicht nach Version WIBF. Die in Trabzon, Türkei geborene und in Ludwigsburg lebende Sahin bekommt es dabei mit Corina Carlescu (11 Kämpfe, 6 Siege, 3 durch KO, 3 Niederlagen, 1 Unentschieden) aus Rumänien zu tun.
Das Interview wurde vor zwei Wochen spät abends, nach dem Training telefonisch geführt.

Betker:
Danke, dass Sie Zeit für mich haben.
Sahin:
Es ist etwas spät geworden. Ich komme gerade vom Training und ich musste noch etwas essen, weil ich einen Riesenhunger hatte. Daher war ich schnell in einem türkischen Imbiss.
Betker:
Was haben Sie gegessen?
Sahin:
[lachend] Wollen Sie das wirklich wissen? [ernsthaft] Ich habe richtig viel totes Fleisch gegessen, dazu Brot. Ich mag es, wenn ich in die Soße mein Brot rein tunke. Wir Schwaben sind Nass-Esser. Wir mögen viel Soße. Wenn ich zum Türken gehe und türkisch esse, esse ich das türkische Gericht auf schwäbische Art – mit viel Soße! Wenn Sie es genau wissen möchten: Es war „Et Sote“, das sind in Streifen geschnittene Fleischstücke mit Paprikaschoten, Petersilie, Tomatenmark usw. Lecker!
Betker:
Das hört sich nicht danach an, als ob Sie für Ihren nächsten Kampf Gewicht machen müssen.
Sahin:
Ich mache doch Gewicht. Wenn ich nicht oder nur wenig trainiere, wiege ich um die 48 Kilo, also exakt das Limit vom Minimumgewicht [47,627 kg, Anm. U.B.]. Wenn ich dann richtig trainiere, nehme ich ab, wenn ich nicht aufpasse. Ich muss sehr viel essen, um nicht zu leicht zu werden. Deshalb ist es ja auch so schwer für mich, oberhalb des Minimumgewichts zu boxen. Höher als das Juniorfliegengewicht [48,988 kg, Anm. U.B.] kann ich nicht gehen. Ich muss ganz viel essen und vor allem fett essen, damit ich überhaupt das Limit für meinen Kampf im Juniorfliegengewicht bringe. Es hört sich schon etwas seltsam an, aber ich habe mit dem Gewicht machen die gleichen Schwierigkeiten, die andere Boxer oder Boxerinnen haben, die hungern müssen, nur eben andersherum. Es gibt bestimmt jetzt Frauen und Männer die sagen: „Dein Problem will ich auch haben!“, das verstehe ich, aber nicht zunehmen zu können, ist auch ein Problem. Aber ehrlich gesagt: „Ich liebe mich so, wie ich bin.“
Betker:
Wie war Ihr Training heute?
Sahin:
Es war ein sehr hartes Training, bei dem ich sechs Runden Sparring mit einem sehr guten Kadetten gemacht habe. Es ist relativ schwierig, passende Sparringspartner zu finden. Die meisten Frauen und Männer sind einfach viel zu schwer für mich. Daher versuchen wir immer starke Jugendliche für das Sparring zu finden. Mein Trainer Conny Mittermeier war ganz zufrieden. Als er mir die Handschuhe auszog, sagte er: „Wenn du am 15. so boxt, wirst du Weltmeisterin!“
Betker:
Das heißt, Sie sind optimistisch, Weltmeisterin zu werden.
Sahin:
Natürlich bin ich optimistisch. Ich habe während der letzten Jahre mein ganzes Leben den zwei Zielen untergeordnet, Weltmeisterin zu werden und natürlich auch ein gute Mitarbeiterin bei der Robert BOSCH GmbH zu sein, wo ich seit 19 Jahren arbeite. Wenn ich das mit der Arbeit und dem Boxen nicht unter einen Hut bekommen hätte, hätte ich auch sportlich nicht die Freiräume wie bisher! Um auf die Frage zurück zu kommen: Ich will Weltmeisterin werden, und ich werde Weltmeisterin! Aber nach jedem Training und nach jedem Kampf bin ich unsicher. Ich weiß dann einfach nicht, wie ich wirklich war. Ich bin mit mir überkritisch. Es gibt immer etwas, was ich besser machen möchte. Ich bin selber meine größte Kritikerin! Daher bin ich dann auch ganz froh, wenn Conny mich hier stoppt, immer weiter darüber nachzudenken, was ich hätte noch besser oder anders machen können. Also ich fühle mich gut und freue mich auf den Kampf.
Da fällt mir noch etwas ein zu Conny: Ich trainiere ja erst seit Oktober 2010 bei Conny. Vorher war ich acht Jahre bei Achim Böhme in Ludwigsburg beim MBC Ludwigsburg. Hier möchte ihm dafür danken, dass er mich in der Zeit mit Herz und Seele betreut und trainiert hat. – Conny war, bis ich zu ihm kam, kein großer Freund des Frauenboxens. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob er jetzt Frauenboxen mag. Aber Hauptsache ist, dass er mit mir arbeiten will. [lachend] Wer kann mir schon widerstehen. [ernsthaft] Ich meinte: Ich musste ihn mit meinem Fleiß überzeugen. Conny ist immer noch etwas förmlich mir gegenüber. Darauf habe ich ihn auch einmal angesprochen. Daraufhin hat er mir gesagt, ich nehme dich erst in den Arm, wenn du Weltmeisterin geworden bist. Es wird jetzt also Zeit.
Betker: Wie gehen Sie mit dem täglich steigenden Druck um?
Sahin: Mir wurde gesagt, dass ich weniger lache und weniger lächle. Mir selber ist etwas anderes aufgefallen. Vor ein paar Tagen war schönes Sonnenwetter und ich wollte noch mit meinem Motorrad zur Entspannung eine kleine Runde drehen. Ich fuhr los und bemerkte: Es geht nicht. Ich kehrte praktisch direkt wieder um. Ich hatte einfach nicht die spezifische Konzentration, die man für das Motorradfahren braucht.
Betker:
Ihre Gegnerin ist die Rumänin Corina Carlescu.
Sahin:
Ja, das ist richtig.
Betker:
Was können Sie mir über sie sagen?
Sahin:
Sie ist eine harte und zähe Boxerin. Sie hat schon zweimal in Deutschland geboxt. Ich habe sie einmal live gesehen. Das eine Mal, 2008, boxte sie in Karlsruhe gegen Bettina Völker, wo ich auch am Ring saß. Und das andere Mal, 2009, kämpfte sie in Dorsten gegen Pia Mazelanik. Sie hat zwar beide Kämpfe nach Punkten verloren, aber es waren beides sehr enge und sehr intensive Kämpfe. Einige sagen sogar, dass man den Ausgang auch hätte andersherum sehen können. Aber das sehe ich nicht so. Sie ist aber ein harter Brocken und sie bringt Schlagkraft mit. Sie kommt schließlich aus dem Bantamgewicht, also drei Gewichtsklassen über dem Juniorfliegengewicht. Es wird also ein hartes Stück Arbeit werden.
Betker:
Sie hat seit 2009 nicht mehr gekämpft.
Sahin:
Das stimmt nicht. Sie hat keine Kämpfe als Profiboxerin gemacht, aber sie hat viel als Thai- und Kickboxerin gekämpft. Wenn ich da richtig informiert bin, hat sie um die 45 Thai- und Kickboxkämpfe gemacht. Corina Carlescu ist eine wirklich erfahrene Kämpferin, die genau weiß, was sie macht. Man darf sie auf keinen Fall unterschätzen.
Betker:
Sie sind 153 cm groß.
Sahin:
Ja.
Betker:
Corina Carlescu ist 160 cm groß. Sie ist sieben Zentimeter größer als sie und hat eine dementsprechend größere Reichweite.
Sahin:
Das bin ich eigentlich schon fast gewöhnt. Ich boxe immer gegen Frauen, die größer sind als ich. So ist es eben. Das Leben ist ja kein Wunschkonzert, bei dem man das bekommt, was man sich wünscht. Da ich ja auch nicht mehr wachsen werde, muss ich mich mit solchen Tatsachen abfinden. [lachend] Bin nur kurz, aber nicht klein.
Betker:
Haben Sie sich bereits eine Strategie zurechtgelegt?
Sahin:
Conny hat sich nur zwei Runden von einem Carlescu Kampf angesehen. Dann hat er den Fernseher ausgemacht und hat mir gesagt, dass ich sie niederkämpfen muss. Die Boxerin mit dem größeren Willen wird gewinnen. Corina Carlescu ist eine echte Kämpferin – so wie ich. Der Kampf mit ihr wird der schwerste Kampf meines Lebens. Es wird auf jeden Fall ein sehr harter und spannender Kampf. Sie wird bis zur letzten Sekunde alles geben.
Betker:
Sie boxen um den Titel der WIBF [Women’s International Boxing Federation].
Sahin:
Es war mir ein besonderes Anliegen um den WIBF-Titel zu boxen. Es ist als Boxerin schwierig, Kämpfe zu bekommen. Am Anfang meiner Profikarriere hat Jürgen Lutz aus Karlsruhe, der Vizepräsident der WIBF, mich mehrfach auf Veranstaltungen von sich boxen lassen. Ich bin nach jedem Kampf zu ihm hin gegangen und habe mich dafür bedankt. Er sagte jedesmal: Wenn es dir damit ernst ist, sorge dafür, das dein erster WM-Kampf ein WIBF-Kampf ist. Als Arena Box-Promotion mich dann fragte, um welchen WM Gürtel ich am liebsten boxen möchte, habe ich gesagt: WIBF. Ich halte mein Wort. Wenn ich jemandem mein Wort gebe, dann halte ich es auch. Es ist wie ein Vertrag nur viel sicherer, keine Hintertüren und keine Ausstiegsklauseln – eben mein Wort.
Ich möchte mich hier ausdrücklich bei meinem Chef Herrn Klitzke von der Firma Bosch, bei der ich arbeite, bei der Firma Gazi und bei Arena Box-Promotion dafür bedanken, dass sie mich unterstützt haben und unterstützen. Nur durch sie ist es mir überhaupt möglich, um die Weltmeisterschaft zu boxen.
Betker:
Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Sahin:
Zuerst einmal natürlich, den nächsten Kampf zu gewinnen und Weltmeisterin zu werden. Dann möchte ich noch so viele WM-Kämpfe wie möglich, in meinen beiden Heimaten, nämlich in Deutschland und der Türkei, machen. Und natürlich wünsche ich mir Gesundheit.
© Uwe Betker



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