Interview mit Langstreckenläufer Vincent Hoyer

Foto: Christian Gertel

April (April) – für viele Läufer ein besonderer Monat. Wie jedes Jahr starten im April die ersten großen Marathons. Paris, Wien, Hannover, Boston und London rufen jeweils zum Showdown auf. Neben dem Megaevent sind es vor allem die individuellen Leistungen und Geschichten dahinter die beeindrucken. Deshalb möchte ich Dir heute in der neuen Rubrik „Interview mit…“ den deutschen Langstreckenläufer Vincent Hoyer vorstellen. Vincent zeigt eindrucksvoll, was es heißt, als ambitionierter Freizeitsportler einen 40 Stunden Job, die Diagnose Typ-1-Diabetes und eine Marathonzeit unter 2:30h zu vereinbaren. Er erzählt uns vom Umgang mit seiner Krankheit im Trainingsalltag und seiner Ernährungsphilosophie. Außerdem verrät er uns, was seine 2 Lieblingseinheiten sind und welche Vision er vefolgt. Viel Spaß beim Lesen.

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Vincent, erstmal als kleines Warm-Up: Wo bist Du aufgewachsen und warst Du schon immer so sportlich unterwegs?

VH: Ich bin in Leipzig geboren und auch aufgewachsen. Läuferisch begann es mit knapp einem Jahr als ich ohne jemals vorher gekrabbelt oder großartig gegangen zu sein einfach „losgerannt“ bin. Als Kind probierte ich mich in mehreren Sportarten, etwa beim Schwimmen, Kanu und Wildwasserkanu aus.

Wie bist Du dann zum Laufen gekommen und was ist Deine Lieblingsdistanz?

VH: Als zwölfjähriger Wildwasserkanut startete ich in meinem Wohnort bei einem Volkslauf über 5km und gewann ihn mit viel Vorsprung. Nach dem Lauf kam der örtliche Lauftrainer auf mich zu und konnte mich davon überzeugen, dass ich bei ihm ein Probetraining absolviere. Naja, wie man sich es denken kann, bin ich seitdem dem Laufsport  verfallen. In der Jugendzeit konzentrierte ich mich noch mehr auf die Mittelstrecke (1500m – 3000m) sowie Crossläufe. Später dann natürlich auch auf die längeren Strecken von 10km bis zum Marathon. Dabei gefällt mir die 10km-Distanz am besten, weil sie aus einem guten Mix von Renngeschwindigkeit und Beanspruchungslänge besteht.

Wie motivierst Du Dich zum Laufen?

VH: Als Büroarbeiter sehne ich mich den ganzen Tag auf die nachmittägliche/abendliche Bewegung. Das reicht schon zu meiner Laufmotivation aus. Selbst an schlechten Tagen habe ich keine „Hänger“, ziehe mir einfach bunte Sachen an und trotze so dem „Schmuddelwetter“. Als große Motivation setze ich mir jedes Jahr neue Ziele und suche andere Wettkämpfe aus.

Auf Deiner Website Lauftraining.com betitelst Du Deine Erkrankung Typ-1-Diabetes als „kleines Handicap“. Inwieweit schränkt Dich das beim Training und im Alltag ein?

VH: Im Alltag muss ich auf eine kontinuierliche Essenszufuhr achten, um Unterzuckerungen zu vermeiden. Hinzu kommt, dass ich jedes Mal, wenn ich mir Insulin spritze, auch die Belastung des Trainings in die zu spritzende Insulindosis einberechnen muss. Das ist nicht ganz einfach, da eine zu viel gespritzte Einheit gleich eine Unterzuckerung bedeuten kann. Im Sport beeinträchtigt mich der Diabetes insoweit, als dass ich nicht einfach meine Laufschuhe anziehen und losrennen kann. Sondern vor  dem Training Kohlenhydrate (z. B. Gummibärchen, Riegel, Banane) zu mir nehmen muss. Im Wettkampf muss ich auf einen möglichst kontinuierlichen Zuckerspiegel achten, der nicht zu hoch oder zu niedrig ist.

Beim Citylauf in Dresden musstest Du im März nach 5Km wegen einer Unterzuckerung aussteigen. Wie kam es dazu? Passiert das öfter bei Wettkämpfen oder im Training?

VH: In Dresden habe am Start nicht gemerkt, dass ich zu niedrig bin. Erst als ich drei Kilometer gelaufen war, haben meine Beine leicht angefangen zu zittern (bei mir ein häufiges Zeichen für eine Unterzuckerung). Zu meinem Pech hatte ich kein „Notfallgel“ einstecken, die gefragten Mitläufer auch nicht. So war nach fünf Kilometern für mich Schluss. Bei Wettkämpfen habe ich häufiger Probleme als im Training, gerade wenn die Strecken länger als 10km sind. Hierbei ist die körperliche Beanspruchung natürlich größer.

Leider bin ich bei Wettkämpfen häufig sehr aufgeregt, sodass meine Wahrnehmung bezüglich des Zuckerspielgels verzerrt ist und ich dadurch ab und an Läufe wegen Unterzuckerungen abbrechen muss. Zudem wirken sich Anspannung und Aufgeregtheit nicht immer auf dieselbe Art und Weise auf den Blutzuckerspiegel aus, sodass dies auch immer wieder eine kleine Gradwanderung im Wettkampf bedeutet. Ich hoffe noch, dass es bald technische Möglichkeiten gibt, damit ich auch während eines Laufes meinen Zuckerspiegel sehen kann.

Bist Du in sportmedizinischer Betreuung?

VH: Leider nein. Es gibt in Deutschland keinen Arzt, der Diabetiker und Sportler gleichzeitig betreut.  Bei meiner Diabetologin bekomme ich immer den gut gemeinten Rat, dass drei Sporteinheiten in der Woche zur Behandlung des Diabetes gut sind. Ich war auch beim IAT Leipzig (Institut für angewandte Sportwissenschaften), wo ich zwar sportlich untersucht worden bin, mir bei Fragen rund um den Diabetes aber nicht weitergeholfen werden konnte.

Momentan gibt es gefühlt 2 Lager: Die Vertreter der klassischen High-Carb-Kost und jüngst vielzitierte Low-Carb-Ernährung  – Wie siehst Du das und verfolgst Du eine bestimmte Ernährungsphilosophie?

VH: Tja, so richtige Low-Carb-Erfahrungen kann ich natürlich wegen des Diabetes nicht berichten. Ich laufe zwar ab und an nüchtern, dennoch muss ich mir vor solch einem Lauf eine Handvoll Gummibärchen gönnen, um nicht in eine Unterzuckerung zu geraten. Ansonsten gehe ich von den Ernährungsformen einen Mittelweg, da ich mich weder besonders kohlenhydratreich bzw. kohlenhydratarm ernähre. Ich kann mir jedoch sehr gut vorstellen, dass beide Formen gewisse Vor- und Nachteile besitzen. Wenn es um Ernährungsformen geht, dann kann ich über mich sagen, dass ich mich seit mehreren Jahren rein vegan ernähre und damit gute Erfahrungen gemacht habe.

Was ist Dein Lieblingsgericht?

VH: Brezenknödel mit einer leckeren Rahmsauce!

Vincent Hoyer in Siegerpose

So sehen Sieger aus!

Mit persönlichen Bestzeiten von 2:27h auf dem Marathon und 30:19 Minuten über die 10km gehörst Du auf jeden Fall zu den Topläufern in Deutschland. Vincent, wie machst Du das? Wie strukturierst Du Dein Training und was fällt Dir zum Stichwort „effizientes Training“ ein?

VH: Mein Motto ist: Viel hilft nicht immer viel. Wichtiger sind die Qualität der Einheiten und der Verzicht auf „sinnloses Training“. Die Vorbereitung auf einen schnellen 10km-Lauf ist in meinem Leistungsbereich bereits mit 70 Wochenkilometern realisierbar. Für einen Halbmarathon oder Marathon müssen dann aber doch die Umfänge etwas nach oben geschraubt werden. Neben dem Training darf die Erholung und Regeneration nicht vergessen werden, denn das ist ebenso wichtig, wie das Training an sich. Unter „sinnlosem Training“ verstehe ich solche Einheiten, die keinen wirklichen Nutzen haben, außer um die Kilometerumfänge zu erreichen. Hier ist nach meinen Erfahrungen eher eine Regenerations- (z. B. Stabieinheit) oder ein Alternativtraining besser für den Körper.

Verrätst Du mir und meinen Lesern Deine Top 2 an Trainingseinheiten „zum Nachbauen“?

VH: Sehr gern arbeite ich mit Tempowechselläufen, also beispielsweise 1km langsam, 1km schnell, 1km langsam usw.  Dabei laufe ich die schnellen Kilometer etwas über der Wettkampfgeschwindigkeit, die langsamen Kilometer im normalen Dauerlauftempo. Die Abschnitte können dabei auch kürzer oder länger (je nach Leistungsvermögen) gestaltet werden. Eine weitere Lieblingseinheit besteht aus einem kürzeren DL2-Lauf von etwa 6-8km (etwas über Wettkampfgeschwindigkeit) und danach noch schnelleren Tempoläufen, z. B. 10 x 200m. Die Einheit ist abwechslungsreich und sehr effizient, da mehrere Fähigkeiten und Fertigkeiten trainiert werden.

Wie sieht für Dich der perfekte Trainingstag aus?

VH: Gerade aus einem tollen Trainingslager zurückgekehrt, würde ich momentan wohl sagen: eine schnelle Einheit am Morgen, danach Ausruhen und Sonne tanken bei einem leckeren portugiesischen Espresso und danach noch eine lockere Einheit mit anschließendem Fußbad im Atlantik. Zurück in Deutschland ist das leider nicht mehr möglich.

Bei einem 40-Stunden Job nur allzu verständlich. Wie baust Du Dein Training in Deinen Alltag zu Hause ein?

VH: Normalerweise laufe ich zwischen 80 bis 120km in der Woche. Das ist mit einer Trainingseinheit am Tag (zumeist am Nachmittag/Abend) möglich. Seit diesem Jahr habe ich in der Vorbereitung auf längere Strecken damit begonnen, teilweise zwei Einheiten am Tag zu absolvieren. Dabei bin ich gezwungen, sehr früh (gegen 6:30 Uhr) die erste Einheit und am Abend dann die zweite Einheit zu starten. Mit etwas Disziplin lässt sich ein solches Training ganz gut durchziehen, zumal ich gemerkt habe, dass der Frühsport sich auch positiv auf meine Arbeitsleistung auswirkt. Auch wenn zwei Einheiten am Tag hart klingt, so muss ich dazu sagen, dass ich einfach die eine harte und lange Einheit auf zwei kürzere Einheiten verteile, sodass am Ende die körperliche Belastung mit dem neuen Trainingsplan geringer ist. Und nebenbei bleibt mir noch viel Zeit für Freizeit, weil das Lauftraining ja eine sehr effektive Art des Sporttreibens ist.

Das klingt nach einem strukturierten Plan! Was sind Deine Topziele für 2016?

VH: Meine Ziele für dieses Jahr sind über die 10km eine Zeit unter 30 Minuten und beim Halbmarathon im Bereich von 1:05h. Zudem würde ich gern wieder bei den Deutschen Meisterschaften über 10km im Herbst starten. Bis dahin muss ich aber noch Mitglied in einem Verein werden.

Unter 30min auf 10km ist mal eine Ansage. Respekt! Verfolgst Du darüber hinaus eine längerfristige Vision?

VH: Ja, meine Vision ist in jedem Jahr einen verrückten Laufwettkampf, z. B. bei einem Kurzstreckenlauf, einem Extremhindernislauf oder bei einem Orientierungslauf, zu starten und weiterhin die Freude am Laufen zu behalten. Anknüpfend hieran setze ich mir das Ziel, den Spaß und die Freude an der Bewegung anderen Leuten zu vermitteln. Aktuell habe ich es geschafft, dass sich mein Arbeitgeber dazu entschlossen hat in ein paar Monaten beim Firmenlauf Leipzig ein Team zu stellen. In der Vorbereitung stelle ich die Trainingspläne für die Teilnehmer auf. Ab und an trainieren wir auch gemeinsam. Dabei ist es sehr schön zu sehen, wie von Woche zu Woche die Motivation und die Fortschritte steigen. Wenn auch nur einer aus der Gruppe nach dem Firmenlauf beim Laufen bleibt, habe ich mein Ziel erreicht.

Vincent Hoyer nach einem erfolgreichen Lauf

Immer mit Spaß dabei!

Das hört sich echt klasse an! Was möchtest Du anderen Läufer und Läuferinnen abschließend noch sagen, die eventuell dasselbe Schicksal wie Du teilen?

VH: Sammelt eure eigenen Erfahrungen und lernt daraus. Die besten Bücher helfen manchmal nicht weiter, ebenso wie standardisierte Trainingspläne, weil jeder Körper anders ist und auf Belastungsreize anders reagiert. Findet Euren eigenen Weg.

Zum Schluss noch das obligatorische Cooldown…

10 Stichworte – 10 spontane Antworten

Leidenschaft …  schafft Emotionen

Gesundheit … ist ein teures Gut

Begabung … bedarf Förderung

Entscheidungen … treffen fällt mir nicht schwer

Respekt … erzeugt Gegenrespekt

Umfang oder Tempo … Tempo, weil mir langsames Rennen keinen Spaß macht.

Rivalität … Der Körper ist der stärkste Gegner.

Glück … ist ein sehr vielschichtiger Begriff, der individuell definiert wird

Sonntagmorgens … ist Zeit für Familienkuscheln

Soziale Verantwortung … könnte besser in sportlichen Veranstaltungen integriert werden

Hey Vincent, besten Dank, dass Du Dir die Zeit  für das Interview genommen hast. Ich wünsche Dir für Deine Ziele viel Erfolg (und schnelle Beine). Wir werden Dich verfolgen!

Die hier gezeigten Bilder wurden von Christian Gertel erstellt. Die Rechte an diesen Bildern liegen bei ihm.


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