Imbolo Mbue. Das geträumte Land

Imbolo Mbue. Das geträumte LandEinige Tage lang habe ich vier außergewöhnliche Menschen durch New York begleiten können. Es wurde geliebt und gelacht, getrunken und gestritten. Ich habe viel erfahren über Familie und Zusammenhalt in schweren Zeiten. Wo es manchmal einfacher gewesen wäre, wegzulaufen oder sich für immer zu trennen. Es wurden Entscheidungen mit enormem Weitblick getroffen, die ich gar nicht erwartet hatte und die dann doch einleuchtend waren. Das geträumte Land hat mich am Ende sehr überrascht. Irgendwie hatte ich ganz eigene Vorstellungen und Wünsche für die Story. Und ganz besonders für Neni Jonga … 

Neni und ihr Mann Jende Jonga kommen aus Kamerun nach New York. Gemeinsam mit dem Sohn Liomi richten sie sich in ihrem kleinen Leben in Harlem ein. Der Asylantrag läuft. Jende verdient als Chauffeur bei Clark Edwards, Manager bei der Investmentbak Lehman Brothers, gutes Geld. Jedenfalls so viel, wie die kleine Familie zum Leben braucht. Hohe Ansprüche haben sie nicht. Ganz im Gegensatz dazu kann es für Cindy Edwards nie genug an Kleidung, Luxus und Schmuck geben. Sie ist eine typische Frau der Upper East Side New York, während es für Jende schon Glück bedeutet, morgens zur Arbeit zu fahren. Mit dem Aktenkoffer – seinem persönlichen Symbol, es geschafft zu haben:

Wenn er mit Anzug und Ansteckkrawatte in der U-Bahn Richtung Downtown saß und den Aktenkoffer fest in der Hand hielt, unterschied er sich durch nichts von den Wirtschaftsprüfern, Ingenieuren und Finanzberatern um ihn herum (S. 280).

Auch für Neni lag das Glück in den kleinen Dingen. Schon bei einer ganz normalen Nachricht konnte es passieren, dass sie begeistert aufschrie Mamami eh! Wahnsinn!, und in ihrer Freude gewaltiger schäumte als die Victoriafälle (S. 23). So sehr ich diese glückliche Neni liebe, so schätze ich auch die weise Neni, die oft die richtigen Entscheidungen trifft. Selbst, wenn sie unsicher ist, bleibt sie doch immer beherrscht und überrascht mit dezenter Coolness. Nicht nur Fremden sondern auch ihrem Mann gegenüber. Jende und Neni reden einfach über alles, über Gutes und Schönes, aber auch über schwierige Dinge. Ich mag auch Nenis geduldige Art, Jendes verbale Wut über sich ergehen zu lassen. Wenn er sie mit giftigen Schimpfwörtern bespritzt, dann sagt Neni sich, dass das nicht ihr Jende sei, sondern das armselige Wesen, das durch das zermürbende Leben als Migrant in Amerika aus ihm geworden war (S. 268). Nicht immer allerdings gehe ich konform damit, wie Probleme gelöst werden (insbesondere, wenn Jende seine Frau schlägt). Doch ein gutes Essen, eine Umarmung – es gibt viele einfache Dinge, die das Familienglück immer wieder ins richtige Lot bringen.

Ganz anders Clark und Cindy Edwards – beide haben längst aufgehört, miteinander zu kommunizieren. Während er sich in seiner Arbeit vergräbt, vereinsamt seine Frau daheim mit dem Personal und den Kindern. Ihr Unglück betäubt sie mit Tabletten und Alkohol. So unterscheiden sich beide Paare nicht nur in Herkunft, Status und Hautfarbe voneinander. Sondern ganz besonders im Umgang, den sie miteinander pflegen. Was für die Edwards schließlich zum Riesen-Problem wird: Sohn Vince will, statt Jura zu studieren, nach Indien gehen. Das Leben der Eltern ödet ihn an. Noch ahnen diese nicht, dass das wirklich größte Problem ihres Lebens noch auf sie wartet: Der große Crash, ausgelöst von  der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, 2007.

Imbolo Mbue. Das geträumte Land

Und so springt die Autorin von Harlem in die Hamptons und wieder zurück, lässt diese zwei Welten aufeinanderprallen, die durch die Finanzkrise enorme Risse bekommen. Nichts ist mehr, wie es war. Träume verflüchtigen sich. Atemlos ist man direkt dabei, wie Jende, Neni, Cindy und Clark mit diesen krassen Veränderungen umgehen müssen. Was das mit ihnen macht. Der Autorin gelingt dies voller Respekt und Achtung mit allen Figuren. Nicht immer fällt es mir leicht, zu akzeptieren, wie der eine oder andere reagiert. Doch Imbolo Mbue zeigt: so ist das Leben. Und es gibt immer Hoffnung. Neue Wege auch!

Es war grandios spannend, traurig und schön, diese manchmal sehr steinigen Wege mit Cindy, Clark, Jende, Neni und ihren Kindern zu gehen. Mbue beschreibt außerdem ganz wunderbare Szenen aus dem Amerika vor Donald Trumps Präsidentschaft. So beispielsweise, als auf dem Times Square die New Yorker tanzen. Und Neni und Jende Freudentränen in den Augen haben. Grund ist die Nachricht, dass Barack Obama – Sohn eines Afrikaners – jetzt die Welt regierte (216). Ja, an diesen wundervollen Tag erinnere ich mich auch immer wieder gern. Und ich habe Hoffnung für dieses Land – so lange es Autoren wie T.C. Boyle, Jonathan Safran Foer, Paul Auster, Siri Hustvedt, Imbolo Mbue und ihre Romane gibt.

Imbolo Mbue. Das geträumte Land. Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Hummitzsch. Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2017. 422 Seiten. 22,- €



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