Ich wollte so schnell wie möglich abnehmen

Ich war schon als Kind ein wenig moppelig, ein bisschen proper, ein kleiner Wonneproppen – so hieß es jedenfalls immer. “Das bisschen Babyspeck wird sich schon noch verwachsen”, hat meine Mutter immer gesagt. Aber ich wurde leider nie 1,90 Meter groß.

So schlimm war es auch nie, fand ich, ich hab mich immer wohl gefühlt. Na ja, zumindest wollte ich, dass ich mich wohl fühle. Während der Schulzeit fand ich es dann schwer, mich mit Jungs einzulassen. Während der Zeit, als wir alle in einer Tanzschule waren, hab ich dann schon überlegt, dass ich so schnell wie möglich abnehmen muss, damit ich auf den Fotos später eine gute Figur machen kann: Hunger-Kur hoch drei. Aber mit dem schnell abnehmen war das so eine Sache. Meine Mutter hat extra ein Kleid für mich gekauft für die Abschlussveranstaltung, das ziemlich eng geschnitten war. “Als Motivation, damit du dein Gewicht auch hältst”, hat sie gesagt. Aber es hat nicht lange gedauert und ich war wieder bei meinem “Wohlfühlgewicht”, so viel zu “schnell abnehmen”.

Dabei hab ich schon als Kind gar nicht so viel gegessen, aber gern mal was genascht. Mit Schweinsbraten oder Klößen konnte man mich jagen, aber den Erdbeerkuchen hab ich geliebt. Schön mit Schlagsahne, da wurden es auch gern mal mehrere Stücke – was kann ich dafür, dass meine Mutter so eine tolle Köchin ist? Die Zeit in der Tanzschule ging vorbei, das Kleid hat mir an einem Abend ganz gut gepasst (mit viel Luft anhalten und einziehen). Dann hab ich es hinten im Schrank versteckt, neben dem hässlichen Pullover, der so kratzt. Da hing es dann über den Moonboots, die ich als kleines Kind mal angezogen haben.

Richtig angefangen hat es bei mir dann im Büro. Da hatte auf einmal jeder Geburtstag und immer gab es Kuchen. Eine Kollegin hatte so eine kleine Naschbox, mit Schokoriegeln und Pralinen, und immer, wenn ich kurz nicht aufpasste, hatte ich auf einmal meine Pfoten da drin.

Ich hatte aber keine Probleme mit den Männern so richtig, ich war nie so eine Frau, die dann schnell abnehmen wollte, nur um irgendeinem Mann zu gefallen. Und mit dem Jojo-Effekt nach so einer “so schnell wie möglich abnehmen”-Diät hatte ich ja auch schon meine Erfahrungen gemacht, nur mein Selbstbewusstsein war wohl ein bisschen angekratzt. Im Job hab ich das auch gemerkt, wenn da mal was war, hab ich mich eher versteckt. Ich dachte, es liegt an meinem Typ, dass ich nicht so die bin, die “Hier, Hier” schreit.

Ich war ohnehin nie so die Party-Nudel. Und dazu kam dann noch, dass es in meiner Größe kaum Klamotten gab, die auch meinem Alter entsprochen hätten. Nur so Oma-Fummel gleich oder Business-Kostüme – Typ: graueste Maus von Mexico.

Wenn wir mit den Mädels im Büro mal zusammen standen und sie angefangen haben, über ihre Freunde zu erzählen, hab ich mich bedeckt gehalten und ein bisschen gelächelt. So getan, als wäre das für mich einfach kein Problem. Klar, wird man dann auch öfter mal angesprochen, ob man nicht wo mit gehen möchte, aber das war für mich zu der Zeit gar kein Thema. Ich hab mich ja wohl gefühlt, und wenn ich mich mal wieder selbst mit der Hand in der Keksdose erwischt habe, hab ich mir gedacht: gegen den Stress.

Ich hab dann aber doch einige Diäten angefangen und ausprobiert. Gesund abnehmen durch eine Friss-die-Hälfte-Diät, “Jetzt so schnell wie möglich abnehmen mit der neuen Wunder-Diät”, aber das hat alles nichts gebracht, ich bin dann ein bisschen laufen gegangen – vor allem nachts, damit mich keiner in dem verbeulten Jogging-Anzug erkannt hat – aber kaum war ich zu Hause, kam ich kaum noch von der Couch hoch – und dann hatte ich die nächtlichen Fress-Attacken … Eiscreme und der Erdbeerkuchen wieder, mittlerweile war ich selbst zu einer ganz guten Köchin geworden.

Richtig eingeschlagen hat es dann erst, als ich von den Mädels zu einer Silvesterparty eingeladen war, ganz chic in der Lobby eines Hotels. Ich stand dann vor meinem Kleiderschrank und hab das alte Kostüm gesehen von den Tanzstunden damals, hab die Zähne zusammengebissen und es mir zur Probe vorgehalten … da wusste ich, dass ich was ändern musste.

Zum neuen Jahr hab ich mir dann vorgenommen, dass ich gesund abnehmen werde. Ich hab meine Ernährung umgestellt, keinen Erdbeerkuchen mehr, sondern frisches Obst. Immer wenn ich an die Süßigkeitendose im Büro gedacht habe, hab ich lieber tief durchgeatmet und an das Kleid in meinem Schrank gedacht – die ersten Wochen war es die Hölle. Da lag ich auf meiner Couch und der Kühlschrank hat nach mir gerufen, aber – der da war das Süßigkeitenfach ja zum Glück leer und nur das Obstfach noch voll besetzt.

Was soll ich sagen? Irgendwann bin ich morgens aufgestanden und der Schalter in meinem Kopf war einfach umgelegt. Ich fühl mich gesund, abnehmen war doch nicht so schwer.

Das Kleid von früher hängt aber immer noch ganz hinten in meinem Kleiderschrank: Es ist einfach potthässlich. Was hat sich meine Mutter damals nur gedacht?


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