© Ines Schiermann by Hannover 96
Eigentlich gibt es für Hannoveraner nur eine “verbotene Stadt”: es ist die Unaussprechliche, eben der “Messeparkplatz Ost”, die Stadt der Gelb-Blauen (oder Blau-Gelben, wer weiss es schon und will es wissen?).
Doch seit dieser wundersamen Spielzeit der Roten Riesen in der Europa League gibt es für die Messestädter (also diejenigen, die mit grosser Freude Besuch aus aller Welt empfangen und diesem Besuch nicht nur ihre privaten Betten zur Verfügung stellen, sondern in Streikzeiten sogar die Plätze in ihren eigenen PKWs) eine weitere “verbotene Stadt”: Lüttich, zum zweiten Mal Austragungsort unserer diesjährigen “Vierschanzentournee” und hoffentlich ein Meilenstein der 96er auf dem Weg zur “belgischen Meisterschaft”.
Gestern Abend war es also wieder soweit: Busse rollten an die belgische Grenze und wurden von der Polizei nach Lüttich eskortiert, die Innenstadt hatte der offensichtlich paranoide Bürgermeister dieser gastfeindlichen Häuseransammlung zwar dieses Mal für die Fans aus Hannover kurzfristig geöffnet, aber nutzen konnte und vermutlich wollte es niemand mehr: wer Gäste so einlädt wie dieser Betonkopf aus dem Pommesland, der muss damit rechnen, dass die Gäste lieber nur ganz kurz bleiben.
Aber kräftigen Alarm machten die etwa 800 mitgereisten Fans der Roten Riesen trotzdem, sie waren während des Spiels ein lautstarker Rückhalt ihrer Mannschaft – die auf einem Platz, den man höchstens als Austragungsort für Wettbewerbe im Schlammcatchen nutzen sollte, zunächst ein bisschen reserviert auftrat.
Doch nach 20 Minuten der Paukenschlag: Koka Rausch wird im Strafraum gefoult, und es gibt einen völlig berechtigten Elfmeter – auch wenn der Fussballlegastheniker des hamburger Haussenders NDR (die mit dem täglichen Stau im Elbtunnel und der stündlichen Heldenverehrung für den klitzekleinen HHSV…) etwas Anderes gesehen haben will. Den Strafstoss verwandelt Lars Stindl, der durchgängig beste Mann auf dem Platz, cool und wesentlich nervenschonender als anno dunnemals Schlaudraff zum 0:1. Auswärtstor! …und es sollte nicht das einzige bleiben.
Doch apropos nervenschonend: die nächste Viertelstunde war genau das Gegenteil, denn der hannoversche Sportskamerad Chahed nahm sich gleich 2x einen kompletten Blackout und schon war das Spiel gedreht: Pommes 2 – 1 Hannover ! Mist!
Die fällige Traineransprache in der Kabine dürfte heftig ausgefallen sein, erfolgreich war sie in jedem Fall, denn auf Vorlage des glücklichen Neupapas “Dieter” Ya Konen schoss der zu diesem Zeitpunkt schon schwer verletzte Mame Diouf das verdiente 2:2. “Nur die Harten kommen in den Garten” heisst es ja in Hannover, aber mit einem Bänderriss noch die hochwichtige 2. Bude zu machen – Mame bekommt in jedem hannoverschen Garten von nun an einen Ehrenplatz.
In diesem Zusammenhang: der sehr sachliche und kenntnisreiche Reporter von Kabel 1 (der sich wohl glücklich schätzen kann, nicht beim NDR sein Dasein fristen zu müssen) kam auf die interessante Idee, man solle doch Steve “USA” Cherundolo ob seiner langanhaltenden Liebe zu den Roten nach dem Ende seiner Karriere ein Denkmal errichten. Allerdings müsste das dann “überlebensgross” sein, sonst wird man es schwer finden können…
Doch zurück zum 2. Durchgang der gestrigen “Vierschanzentournee”: Nach dem Ausgleich brachte 96 den Rest des Spiels mehr oder weniger souverän nach Hause – wohl auch aus dem Wunsch heraus, in dieser unfreundlichen und mit einem grausigen Rasen ausgestatteten Stadt im Niemandsland so bald nicht mehr antreten zu müssen.
Der erste Teil der aktuellen “Crazy für Europe”-Mission der hannoverschen “Eurofighter” ist also gestern durchaus erfolgreich abgeschlossen worden, das Ergebnis gibt 96 alle Möglichkeiten zum Weiterkommen im schönsten Stadion der Welt vor ausverkauften Rängen auf einem gepflegten Rasen (eigentlich müssten sich die Dreckspatzen aus Lüttich vor unserem Platz die Schuhe ausziehen und barfuss spielen…). Und dann würde unser kleines Märchen noch ein bisschen weitergehen, eben “Vorwärts nach Weit” * …
Also dann, nicht nur in Bremen am Wochenende, sondern besonders am nächsten Donnerstag:
Auf Ihr Roten, Kämpfen und Siegen!
Photo: Hannover 96
Das Photo ist das Siegerbild des Wettbewerbs “Crazy for Europe” bei Hannover 96 – und es verdient den Sieg!
* Hannover
Die Hannoveraner sind die Bewohner einer Stadt, einer Großstadt. Hundekrankheiten bekommt der Hannoveraner nie. Hannovers Rathaus gehört den Hannoveranern, und das ist doch wohl eine berechtigte Forderung. Der Unterschied zwischen Hannover und Anna Blume ist der, daß man Anna von hinten und von vorne lesen kann, Hannover dagegen am besten nur von vorne. Liest man aber Hannover von hinten, so ergibt sich die Zusammenstellung dreier Worte: „re von nah“. Das Wort „re“ kann man verschieden übersetzen: „Rückwärts“ oder „zurück“. Ich schlage die Übersetzung „rückwärts“ vor. Dann ergibt sich also die Übersetzung des Wortes Hannover von hinten: „Rückwärts von nah“. Und das stimmt insofern, als dann die Übersetzung des Wortes Hannover von vorn lauten würde: „Vorwärts nach weit“. Das heißt also: Hannover strebt vorwärts, und zwar ins Unermeßliche. Anna Blume dagegen ist von hinten wie von vorne: A-N-N-A. (Hunde bitte an der Leine zu führen.)
Quelle: Kurt Schwitters. 1920.
Zitiert nach Friedhelm Lach (Hg.): Kurt Schwitters. Das literarische Werk. Bde 1–5. DuMont Buchverlag Köln 1974–1988. Bd. 2. Köln 1974. S. 28