Glaubensfreiheit und die vielfältige Kultur der Stämme
23.09.2011Hintergrund erstellt von Dr. Mostafa Azmayesh
Rede des Islamwissenschaftlers und Irankenners Dr. M. Azmayesh bei der UN in Genf, Tagung des Menschenrechtsrats
Die Kultur Irans ist wie ein Teppich. Ein Teppich mit zahlreichen und vielfältigen Farben und Mustern, die miteinander verwoben und verknüpft sind.
Wir können das vergleichen mit den verschiedene Nationen, die in einem Land namens Iran leben, wo sich alle Nationen als Teil Irans verstehen. So haben zum Beispiel iranische Belutschen, Araber, Turkmenen und Luren immer noch ihre eigenständigen Sprachen, ethnische Zugehörigkeit und Kultur.
Innerhalb jeder Ethnie gibt es zusätzlich auch noch unterschiedliche Glaubenszugehörigkeiten. Es finden sich somit nicht nur vielfältige Ethnien im Iran, sondern auch eine große Vielzahl an Weltanschauungen und Glaubensvorstellungen.
Ein Blick auf Iran sollte die gesamte Bevölkerung und ihre große Vielfalt berücksichtigen. Im allgemeinen denkt man, es gäbe im Iran einen Musikstil. Doch jeder Stamm hat seine eigenen folkloristischen Tänze, Musik, Kleidungsstil und Glaubensvorstellungen. All diese Aspekte zusammengenommen bilden einen Teppich mit Namen Iran, wo alle zusammen leben und patriotische Gefühle hegen.
Wer ist Muslim und wer nicht?
Zu behaupten die meisten Iraner seien Muslime und lediglich eine kleine Minderheit sei nicht muslimisch, ist schlichtweg falsch.
Die Ethnien des Gesellschaft Irans bestehen aus unterschiedlichen Nationen und unterschiedlichen Stämmen. Wenn wir Luren, Kurden oder Belutschen sagen, sprechen wir über unterschiedliche Nationen und Stämme mit eigenen Gebietszugehörigkeiten.
Der größte Stamm der Provinz Khochan zum Beispiel sind die Qaschqai, die eine eigene Kultur haben und eigenen Traditionen folgen. Leute verschiedener Ethnien sprechen nicht nur eigene Sprachen, sondern haben auch eigene Bräuche, Trachten, Freude- und Trauerfeste und spielen sogar auf Musikinstrumenten, die ein ganz eigenes Tonspektrum abbilden.
Eine turkmenische Dotar eignet sich nicht dafür türkische Weisen zu spielen und ebenso eignet sich das kurdische Tamburin nicht zum Spielen turkmenischer Musik. Die turkmenische Dotar gibt nur turkmenische Musik wider. Die Ghichak der Belutschen wurde gebaut um genau diese besondere Musik wiederzugeben.
In den Städten wird man hauptsächlich eine urbane und moderne Lebensweise finden. Doch ist der größte Teil der Gesellschaft Irans nicht städtisch sondern ländlich und in Stämmen organisiert. Die Kultur Irans und die Menschen in diesem unermesslichen Land der "Weltanschauungen" hängen mit den Stämmen zusammen.
Ihre Glaubensvorstellungen oder eigene regionalen Rituale stimmen mit ihrer "asiatischen" Lebensweise überein. Jeder Stamm, Klan und Großfamilie in den vielen Regionen Irans hat einen Anführer oder eine "ältere Person mit weißem Haar", die eine herausgehobene Stellung innerhalb des Stammesverbundes innehat. Die Leute dieser Region oder dieses Stammes respektieren diese Person als ihre eigene Autorität, die wegweisende Hinweise geben kann und folgen keinen Autoritäten, die außerhalb der Gemeinschaft stehen.
Viele dieser besonderen regionalen Ausformungen von Glaubensvorstellungen und Bräuchen weisen auf eine reiche und farbige Spiritualität oder Volksfrömmigkeit hin, gründen auf alte Mythen und Rituale und haben nichts mit der Scharia zu tun.
Diese Ansammlung von "nicht-legalistischen Glaubenssystemen" zeigen, dass in einem Land wie Iran spirituelle und gnostische Wege (durch den Einfluss der Mystik) eine große Verbreitung haben.
Vielfalt der spirituellen Spektren bei der Bevölkerung im Iran
Spirituelle Ansätze reichen allgemein gesagt zurück zu Konzepten der Mystik. Die Mehrheit der Belutschen sind entweder Sufis oder Zekra. Das bedeutet normalerweise, dass sie in ihrer Kultur spirituelle Tänze und Musik ausüben.
In Kurdistan zeigt sich dieser Einschlag der Mystik auf andere Weise. Zahlreiche Kurden sind Mitglieder des Qaderi Sufi Ordens, andere wiederum sind Teil des Naqshbandi Sufi Ordens. Doch sehr viele weitere kurdischen Stämme und Familien gehören zu den Ahl-e-hagh.
Ahl-e-hagh ist eine zahlenstarke Richtung, die auch "Maktabe Yari" und "Yarssan" heisst. Die Anhänger sind dafür bekannt ein "Kalam" (Wort) zu haben, wo jemand (der Kalam Khani) bestimmte Worte liest. "Worte" ist eine Sammlung großer Reden angesehener Persönlichkeiten. Sie gilt gewissermaßen als heilig. Natürlich sind die Worte (Kalam) für jeden Klan anders, weil jeder Kalamkhan (Vorleser) die Geschichte eines anderen Stammes erzählt.
Ihre Musik ist nicht nach dem persischen Tonsystem aufgebaut, sondern folgt einem eigenen System, das Maghami heißt. Obwohl sie offiziell einen ähnlichen Namen haben unterscheiden sie sich musikalisch. Ihre Musik wird auf der Daf und dem Tamburin gespielt. Sie haben jedenfalls einen eigenen Glauben, der weder der Schia noch der Sunna zugeordnet werden kann.
Chekideh und Chasbideh
Diese Yarssan und Ahl-e-hagh Anhänger in Kurdistan, Lorestan, anderen Regionen im Westen und in Teilen der Provinz Aserbaidschan bis nach Khuzestan haben ihre eigenen Heiligen, die Sultan Isaak oder Sultan Sahak genannt werden. Die Pilger, die den Schrein eines solchen Sultans besuchen werden Hadschi genannt. Dies ist ein sehr alter Brauch und beruht auf Mythen, die nicht verändert wurden.
Die Kinder, die eine Ahl-e-hagh Familie hineingeboren werden heißen Chekideh. Sie werden in einem bestimmten Alter gefragt, ob sie den Ahl-e-hagh Glauben annehmen wollen und heißen danach Chasbideh.
Eine weitere Richtung der Weltanschauungen im Iran bilden die Sufis ab, sowohl in schiitischen als auch in sunnitischen Ausprägungen. Beide Richtungen haben eine sehr besondere Kultur und auch Literatur.
Baba Taher
Baba Taher, ein großer Mystiker, war ein Lure. Er schrieb seine Dichtungen in Lurischer Sprache, sie sind Teil der Iranischen Literatur. Seine Poesie hat einen spirituellen, mystischen und esoterischen Charakter.
Regime negiert Vielfalt der Weltanschauungen im Land
Das aktuelle Regime im Iran samt seiner legalistischen Mullahs versucht geflissentlich diese Vielfalt zu ignorieren und unternimmt immer wieder Säuberungen, um nur noch eine staatlich bestimmte Religion und eine offizielle Sprache gelten zu lassen.
Die Mullahs haben ein Buch schreiben lassen mt dem Titel "Reise in der Dunkelheit", das gegen jede Weltanschauung, die nicht der Staatsreligion entspricht, in Stellung geht. In diesem Buch werden die Anhäger der "Aeein Yari" aufgefordert zu bereuen und ihre Glaubensvorstellungen aufzugeben, da sie nicht konform mit der eigenen islamischen Ideologie seien.
Mullahs betrachten die Anhänger von Ahl-e-hagh sowohl im Iran als auch außerhalb als Ketzer und versuchen sie zu zwingen ihren Glauben aufzugeben.Dies sind deutliche Zeichen von ideologischen Säuberungen. Zeichen für einen religiösen Faschismus. Doch jene, die diese Ziele verfolgen gehören einer anderen Ethnie an und wollen die Anhänger von Ahl-e-hagh unterdrücken.
Die Schergen des Regimes halten Sufis davon ab, ihre Schreine in Jeyhun Abad und in Bidakhat zu renovieren und stiften Unruhe und zerstören Schreine wie denjenigen von Derwisch Nasser Ali auf dem Foulad Friedhof von Isfahan.
Abschließend sehen wir, dass die Unterdrückung von religiösen und ethnischen Gruppierungen Hand in Hand gehen, was wir als faschistische Säuberung betrachten. All dies geschieht unter dem Banner des Kampfes gegen "neue Mystik". Das jüngste Beispiel dieser brutalen Unterdrückungen sind die Ereignisse in Lorestan, Provinz Fars, wo Anfang September die Unterdrückungskampagne zahlreiche Verletzte hinterließ und sogar den Tod eines Derwisch namens Vahid Banâni zur Folge hatte.
Übersetzung: Helmut N. Gabel
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