Geschichte und Kultur des Nahen Ostens - Muhammad

Geschichte und Kultur des Nahen Ostens - Muhammad

Mezquita-Catedral von Córdoba (Spanien),
umayyadischer Bau, begonnen 784

Heute möchte ich den Anfang einer unregelmäßigen Artikelserie starten, die einen wissenschaftlichen Überblick über die Geschichte des Islams und des Nahen Ostens gibt. Dazu gibt es auf zahlreichen Universitätsservern Vorlesungen oder Materialien, die hier zusammengefasst werden sollen. Diese sind mitunter auch seriöser, als so mancher Wikipedia Artikel, die manchmal in diesen Bereichen eine Schieflage haben, oder gänzlich für islamwissenschaftliche Antworten ungeeignet sind. (Dennoch verlinke ich öfters dahin, zwecks erster Orientierung oder weiterführender Links)
Dabei gehe ich deskriptiv vor, beschreibe also zum Beispiel, was es zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Regionen geheißen hat, ein Muslim zu sein, wie der Islam so wurde, wie wir ihn heute kennen, auf welcher Basis an Texten, Interpretationen, wir zu welchen Schlussfolgerungen kommen. Mitunter kommen auch durchaus abweichende Meinungen in der Gelehrtenwelt zu Wort, wenn sie gewisse Relevanz haben, oder es werden die unterschiedlichen Thesen zu bestimmten Zeiten vorgestellt, um zu demonstrieren, wie die Kenntnisse entstanden waren. Es wird dabei versucht islamwissenschaftlich zusammenzufassen, also nicht bekenntnisorientiert oder islamtheologisch. Dies ermöglicht mitunter eine Entwicklung von mehreren Seiten zu betrachten, also zum Beispiel nicht nur eine sunnitische Sicht der Dinge, sondern auch mal die schiitische Blickrichtung zu betrachten.
Etliches mag vor allem Muslimen schon bekannt sein, anderes wird völlig unbekannt sein, zumindest die Wechselwirkungen diverser Entwicklungen oder Ereignisse, ich gehe jedenfalls von kaum Vorkenntnissen bei meinen Beschreibungen aus.
Ich verwende dabei die übliche Zeitrechnung nach Christus, ohne damit irgendeine Aussage zu verknüpfen. Die Koranübersetzungen folgen der Übersetzung von Rudi Paret.
Es werden zum Beispiel folgende Vorlesungen dafür verwendet:
Einführung in die Geschichte der islamischen Länder von Prof. Dr. Jürgen Paul
Geschichte und Geographie der islamischen Welt (Vorlesung WS 2004/2005) von Prof. Dr. Ulrich Rebstock
und vor allem:
Podcast-Tipp: Einführung in die Geschichte und Kulturen des Nahen Ostens von Prof. Dr. Thomas Eich
Muhammad
Muhammad wurde wahrscheinlich um 570 in Mekka geboren. Diese Region ist vor allem durch Oasenwirtschaft geprägt, wobei ungewöhnlicherweise Mekka dagegen durch Handel und einer vorislamischen Pilgerstätte und der Wallfahrt dorthin prosperierte. Es handelt sich dabei um die Kaaba (siehe Blogpost), die damals im Zentrum eines polytheistischen Kultes stand. Über die damalige Zeit sind wir relativ schlecht informiert, denn außer dem Koran gibt es kaum Quellen, und bis heute konnten kaum durch archäologische Ausgrabungen die Kenntnisse erweitert werden.
Muhammad wuchs relativ früh als Vollwaise auf, denn sein Vater Abdullah starb schon vor der Geburt und seine Mutter Āmina als er sechs Jahre alt war. Er wurde dann von Familienmitgliedern des Clans der Banu Haschim großgezogen, besonders von seinem Onkel Abu Talib (dem Vater des späteren vierten Kalifen Ali ibn Abi Talib). Sein Onkel war wahrscheinlich auch der Führer der Sippe. Selbst wenn er nie Muslim wurde, beschützte er doch Muhammad, selbst es negative Folgen für die Sippe ergab, aber hier wirkte das arabische Prinzip des Tribalismus. Die Banu Haschim waren zu dieser Zeit noch kein führender Clan Mekkas. Er erlernte den Beruf des Händlers, und begleitete Karawanen bis hin nach Syrien, wo er wahrscheinlich mit Christen in Kontakt kam. Dabei erwarb er sich wohl den Beinahmen al-Amin, also "der Zuverlässige". Es ist allerdings umstritten und nicht endgültig geklärt, ob nicht dieser Name sein eigentlicher Name war, und Muhammad, also "der Gepriesene" eher sein Beiname war.
Etwa 595 heiratete er eine 15 Jahre ältere reiche Kaufmannswitwe, Chadidscha, mit der er bis zu ihrem Tod ca. 25 Jahre lang monogam zusammenlebte. Erst nach ihrem Tod begann Muhammad damit mehrere Frauen zu ehelichen. Bis zu seinem ersten Offenbarungserlebnis ist kaum etwas bekannt, und das was überliefert wurde, ist eher als legendenhaft anzusehen. Das was als ziemlich sicher gilt ist eine Angewohnheit Muhammads sich einmal im Jahr ungefähr einen Monat lang zur Mediation in eine Höhle auf dem Berg Hira bei Mekka zurückzuziehen. Dieses Zurückziehen machten etliche seiner Zeitgenossen ebenfalls, wenn sie spirituell Suchende waren. Diejenigen, die diese Askese- und Mediationsübungen vollzogen, wurden Hanifen genannt. In dem Berg Hira erlebte er dann auch seine erste Offenbarung gegen 610, in muslimischer Vorstellung durch den Erzengel Gabriel. Diese Offenbarungen setzten sich bis zu seinem Tode 632 fort. Dabei kamen allerdings diese Offenbarungen an allen Orten vor, nicht nur in der Höhle des Berges Hira. Aus diesen Offenbarungen entwickelte sich später dann das gebundene Buch des Korans.
Die Koranverse wurden im Sadsch'-Stil offenbart. Das ist ein Reim- oder Metrum-Stil, indem die Texte durch gemeinsame Endkonsonanten zusammengehalten werden. Dadurch zeigt sich, dass die Offenbarungen dazu da waren, memoriert, also auswendig gelernt zu werden, um dann vorgetragen zu werden. Das ist auch die Bedeutung des Wortes Koran: Lesung, Rezitierung, Vortrag. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man über den Koran spricht, dass eben die Rezitation, die orale, also mündliche Weitergabe, ein wichtiges Element des Korans darstellt. Gleichwohl wurden schon damals wohl Teile des Korans zur Erleichterung des Auswendiglernens auf diversen Materialien wie Stein, Leder, Holzstücke, etc. zumindest stenographieähnlich festgehalten.
Mit diesen Offenbarungen machte sich nun Muhammad daran, zuerst sein unmittelbares Umfeld, also seine Familie, seine Sippe davon in Kenntnis zu setzen. Er wandte sich mit den frühen Offenbarungen vor allem gegen die Polytheisten in seiner Umgebung, erst in einer zweiten Phase öffentlich an diejenigen in Mekka. Er begriff sich dabei zuerst als vorrangig als Warner, dann ab seiner Zeit in Medina als Religionserneuerer, als Reformer der bestehenden monotheistischen Religionen Judentum und Christentum. Doch es gab auch schon Elemente in seinen Predigten, die einen sozialen Wandel einleiten sollten. So forderte er beispielsweise in dieser frühen Phase bereits ein Almosen für die Armen ein. Aus diesen Forderungen des Korans entwickelte sich später dann im islamischen Staatsrecht das Konzept der Pflichtabgabe Zakat. Das ist aber nicht das gleiche, denn bei der Zakat hat letztlich der Herrscher zu entscheiden, wofür es Verwendung finden soll. Er soll damit zwar etwas wohltätiges tun, doch heißt dieses nicht zwangsläufig, dass er damit auch die Armen unterstützt, abgesehen davon, dass es z.B. dem Kalifen obliegt zu definieren, was "wohltätig" heißt, und wer die Begünstigten sind. (Beispielsweise wäre die Errichtung einer Bibliothek etwas wohltätiges, betrifft aber kaum die analphabetischen Armen einer Stadt.)
Im Umfeld Muhammads waren Christentum und Judentum bekannt. Im Koran wird dieses deutlich, und der Koran greift auch einige Konzepte dieser monotheistischer Religionen auf. Die zentrale Botschaft Muhammad war, es gibt einen einzigen übersinnlichen, transzendentalen Gott, der allmächtig, allbarmherzig, allwissend ist, und der von den Menschen verlangt, dass diese sich recht verhalten mögen, damit sie dann am Jüngsten Tag gerichtet werden können. Dabei wird dann entschieden, ob man ins Paradies gelangt, oder in die Hölle kommt. Dieses Thema prägte die Botschaft in den frühen Offenbarungen sehr stark, zum Beispiel in Sure 82:1 ff:
Wenn (dereinst) der Himmel sich spaltet, die Sterne (ihren Standort aufgeben und) sich (nach allen Richtungen) zerstreuen, die Meere über die Ufer treten und die Gräber ausgeräumt werden, bekommt einer zu wissen, was er früher (an guten Werken) getan, und was er versäumt hat.
Diese Botschaft Muhammads wurde von den meisten Mekkanern zurückgewiesen, denn das Thema Leben nach dem Tod war der große Unterschied zu den Polytheisten. Dies zeigt sich auch im Koran (45:24):
Und sie [die Polytheisten] sagen: "Es gibt nur unser diesseitiges Leben. Wir sterben und leben (in diesem Rahmen), und nur die Zeit (die allem, was existiert, den Stempel der Vergänglichkeit aufdrückt) (dahr) läßt uns zugrunde gehen." Sie haben aber kein Wissen darüber und stellen nur Mutmaßungen an.
Zu Beginn seiner Offenbarungen glaubten ihm also nur sehr wenige seines Umfeldes, als eine der ersten, die ihm glaubten und dann auch unterstützten gilt seine Frau Chadidscha.
Es gab vor allem zwei Argumente mit denen seine Gegner gegen ihn argumentierten:
  1. Die Sprache der Offenbarungen im oben erwähntem Sadsch'-Stil erinnerten seine Gegner an die ähnlichen Verse von zeitgenössischen Wahrsagern (kahin) und Stammesdichtern. Wieso sollte es also bei Muhammad um etwas anderes handeln, so dachten die Polytheisten. Hinzu kommt, dass die Vorstellung vorherrschte, dass diese Wahrsager und Stammesdichter als von Geistern besessen angesehen wurden. Das war also die Schublade, in die das Umfeld Muhammad ihn steckte. Dazu schreibt auch der Koran (38:4):
    Sie wundern sich darüber, daß ein Warner aus ihren eigenen Reihen zu ihnen gekommen ist. Und sie sagen in ihrem Unglauben: "Dies ist ein verlogener Zauberer. Will er denn aus den (verschiedenen) Göttern einen einzigen Gott machen? Das ist doch merkwürdig." 
  2. Der zweite Vorwurf war der, dass Muhammads Offenbarungs-Verse nicht eigenständig seien, er habe dieses alles nur von den Juden und Christen abgeschaut, kopiert. Der Koran berichtet auch hier davon, in Sure 25:4 ff.:
    Und sie sagen: "Das ist nichts als ein Schwindel (ifk), den er ausgeheckt hat, und bei dem ihm andere Leute geholfen haben." Sie begehen aber (mit einer solchen Aussage) Frevel und (machen sich der) Lügenhaftigkeit (schuldig). Und sie sagen: "(Es sind) die Schriften der früheren (Generationen), die er sich aufgeschrieben hat. Sie werden ihm morgens und abends diktiert." Sag: (Nein!) Der hat ihn herabgesandt, der (alles) weiß, was im Himmel und auf Erden geheimgehalten wird. Er ist barmherzig und bereit zu vergeben.
Die Gegnerschaft der Mekkaner gegenüber Muhammad ist aus zwei Gründen nicht verwunderlich: 1. Bedrohte Muhammad mit seiner Botschaft die ökonomische Haupteinnahmequelle der Stadt, die Wallfahrt zur Kaaba. 2. Hätte die Befolgung der Offenbarungen immense Folgen für die soziale Ordnung in Mekka gehabt. Da Muhammad sich als Gesandter Gottes sah, hätte er eine völlig neue hierarchische Position im Mekka erhalten, hätten seine Missionsbemühungen breiten Erfolg gehabt. Zudem war es unter den Polytheisten bisher so, dass die Legitimation für Handlungen dadurch gegeben waren, dass es die Bräuche und Traditionen der Vorfahren waren, die man einfach tradiert und danach handelt, wäre durch Muhammads Lehren nun anstelle der Vorfahren ein Gott getreten, der Legitimation für Handlungen verleihen würde. Das heißt, alle bisherigen tradierten Regeln würden durch Muhammads Anweisungen - nur ein transzendentaler Gott könne darüber entscheiden, was rechtes Handeln bedeutet - obsolet werden. Der zweite Punkt erinnert an die Folgen des Christentums im antiken Römischen Reich.
Dadurch kam es immer wieder zu konkreten Streitereien zwischen den polytheistischen Mekkanern und Muhammads ersten Anhängern, den Muslimen. Diese konnte jedoch meistens immer beigelegt werden. Diese Konflikte waren auch deshalb nicht verwunderlich, weil Muhammad nicht nur die anderen Stämme oder Clans Mekkas kritisierte, sondern auch vor seinem eigenen Stamm nicht Halt machte, was ganz entgegen den Gepflogenheiten des tribalen Verhaltensmusters erfolgte. Muhammads Gegner versuchten auf zwei Wegen seinen Einfluss in Mekka zu beschneiden: Einerseits gingen sie massiv auf sozial schwächer gestellte Anhänger Muhammads vor, bei dieser Gruppe hatte die Botschaft Muhammads die größten Erfolge gehabt. Durchaus auch mit physischer Gewalt, nicht nur durch Diskriminierung und Drangsalierung. Dieses Vorgehen hatte einigen Erfolg. Anderseits versuchten sie den Schutz des Stammes Banu Haschim für Muhammad aufzuweichen, dieses gelang allerdings nicht.
Nach 619 wurde die Situation in Mekka für Muhammad allerdings prekärer, als sein Onkel Abu Talib und seine Frau Chadidscha starben, und deren Schutz Muhammad in der Sozialstruktur Mekkas stand. Denn der neue Scheich von Muhammads Stamm Banu Haschim, sein anderer Onkel Abu Lahab, verweigerte ihm den Schutz, so dass Muhammad nun als "vogelfrei" galt. Als sich die Situation zunehmend verschlechterte, bereitete Muhammad seine Auswanderung vor. Er führte mit vielen Städten in der Nähe und auch in einiger Entfernung Verhandlungen über seine Aufnahme und auch seinen Schutz, doch niemand wollte sich ihn in die Stadt holen, denn er wollte nicht einfach als Schutzbefohlener kommen, dafür gab es klare tribale Regeln, sondern eben als Gesandter Gottes. Und mit seiner Botschaft, dass alle Menschen vor Gott gleich sind, mit seiner Forderung der Änderung der sozialen Struktur, mit seinem Anspruch als Prophet als Führer, wollten viele Städte oder Stämme es nicht auf Konflikte mit dem (übergeordneten) Stamm der Quraisch von Mekka ankommen lassen. Dann fand er jedoch eine Stadt, und wanderte 622 mit seiner kleinen muslimischen Gemeinde ins nördliche Yathrib (später Medina genannt) aus. Diese Auswanderung (arab. Hidschra) markierte später nach dem Tode Muhammads zugleich den Beginn der islamischen Zeitrechnung. Genauer gesagt, wurde im Jahr 638 der 16. Juli 622 als der Beginn einer neuen Zeitrechnung festgelegt, der erste Tag im Jahr Eins der Hidschra, das Datum der Ankunft Muhammads in der Oase von Yathrib. Muhammad konnte deshalb erfolgreich seine  Auswanderung nach Medina vorbereiten und durchführen, da in sich dort seit längerer Zeit vor allem zwei Stämme (Banu Aus und Banu Chazradsch) stritten, und man daher einen externen Schlichter rufen wollte um diesen existenzbedrohenden Streit beilegen zu können. Die soziale Ordnung in dieser weitläufigen Oase war also schon zerbrochen, es herrschte ein Waffenstillstand aus Erschöpfung. Dieses Schlichtungsprinzip war im Vorislam nicht unüblich, wenn Stammesfehden unauflöslich schienen. Durch diese Auswanderung änderte sich die Funktion und Position Muhammads radikal. In Mekka hatte Muhammad keinerlei politische Macht oder politische Einflussnahme, war eingebunden in das Sozialgefüge Mekkas, während in Medina er der Leiter einer kleinen Gemeinde seiner Anhänger wurde, die eigenständig Bündnisse mit anderen Gruppen Medinas schloss, er mit einer politischen Aufgabe aufgewertet wurde. Er wurde aber nicht als übergeordnete Gruppe in Medina aufgenommen, sondern als nebengeordnete Gruppe, Muhammad war also erstmal nur Führer seiner eigenen Gruppe. Diese politische Schutz- und Solidargemeinschaft in Medina wurde Umma genannt. Zu diesem Zeitpunkt noch eine politische Schutzgemeinschaft, mit Muhammad als Schiedsrichter und Oberhaupt, später änderte sich das Konzept. Übrigens umfasste die Umma in Medina durchaus nicht nur Muslime, sondern zeitweise auch die Juden Medinas. Diese entweder als gleichberechtigte Gruppe, oder als Klienten nichtjüdischer Sippen. Kennzeichen dieser frühen Umma war ihre Offenheit für Beitritte, vorwiegend nicht durch einzelne Personen, sondern durch Stämme oder Clans, und dass weder tribale Elemente allein, noch religiöse Elemente allein kennzeichnend waren. Wichtig bleibt also festzuhalten, dass diese frühe Umma nicht nur die spätere "Gemeinschaft aller Muslime" umfasste, sondern weiter gefasst war.
Dabei behielt Muhammad immer sein Ziel vor Augen, seinen Auftrag gerecht zu werden, nämlich die Polytheisten seiner Heimatstadt Mekka zur Abkehr zu bewegen, hin zu einem einzigen Gott (arab. Allah). In Medina lebte er ja in unmittelbarer Nachbarschaft zu Juden, im Gegensatz zu Mekka. In einer ersten Phase in Medina, erhoffte und erwartete Muhammad offenbar, dass wenigstens diese jüdische Nachbarn den Islam als Glauben annahmen, was sie allerdings nicht taten. Als diese den Islam verweigerten, begannen sich sowohl die Muslime als auch Muhammad zunehmend mit einigen Maßnahmen von diesen abzugrenzen. Die ursprüngliche Nähe zum Judentum lässt sich noch im Koran finden, wo von der Änderung der Gebetsrichtung (qibla) von ursprünglich nach Norden, wahrscheinlich nach Jerusalem, in Richtung Mekka die Rede ist: (2:142 ff.):
Die Toren unter den Leuten werden sagen: "Was hat sie von der Gebetsrichtung (qibla), die sie (bisher) eingehalten hatten, abgebracht?" Sag: Gott gehört der Osten und der Westen. Er führt, wen er will, auf einen geraden Weg. Und so haben wir euch (Muslime) zu einer in der Mitte stehenden Gemeinschaft gemacht, damit ihr Zeugen über die (anderen) Menschen seiet und der Gesandte über euch Zeuge sei. Und wir haben die Gebetsrichtung, die du (bisher) eingehalten hast, nur eingesetzt, um (die Leute auf die Probe zu stellen und) zu unterscheiden, wer dem Gesandten folgt, und wer eine Kehrtwendung vollzieht (und abtrünnig wird). Es ist zwar schwer (was man von den Leuten verlangt), aber nicht für diejenigen, die Gott rechtgeleitet hat. Gott kann unmöglich zulassen, daß ihr umsonst geglaubt habt. Er ist gegen die Menschen mitleidig und barmherzig. Wir sehen, daß du unschlüssig bist, wohin am Himmel du dich (beim Gebet) mit dem Gesicht wenden sollst. Darum wollen wir dich (jetzt) in eine Gebetsrichtung weisen, mit der du gern einverstanden sein wirst: Wende dich mit dem Gesicht in Richtung der heiligen Kultstätte (in Mekka)! Und wo immer ihr (Gläubigen) seid, da wendet euch mit dem Gesicht in dieser Richtung! Diejenigen, die die Schrift erhalten haben, wissen, daß es die Wahrheit ist (und) von ihrem Herrn (kommt). Und Gott achtet sehr wohl auf das, was sie tun. Du magst denen, die die Schrift erhalten haben jedes (nur denkbare) Zeichen (als Beweis für deine Wahrhaftigkeit vor) bringen. Sie schließen sich (trotzdem) nicht deiner Gebetsrichtung an. Und du schließt dich deinerseits (auch) nicht der ihren an. Sie schließen sich (ja) nicht (einmal) untereinander der gleichen Gebetsrichtung an. Aber wenn du nach (all) dem Wissen, das dir (von Gott her) zugekommen ist, ihrer (persönlichen) Neigung folgst, gehörst du zu den Frevlern. Diejenigen, denen wir die Schrift gegeben haben, kennen sie (so gut), wie sie ihre Söhne kennen. Aber zum Teil verheimlichen sie die Wahrheit, während sie (doch um sie) wissen. (Es ist) die Wahrheit (die) von deinem Herrn (kommt). Du darfst ja nicht daran zweifeln. Jeder hat eine Richtung, auf die er eingestellt ist (je nachdem er Jude, Christ oder Muslim ist). Wetteifert nun nach den guten Dingen! Wo immer ihr sein werdet (wenn das Ende über euch kommt), Gott wird euch (am jüngsten Tag) allesamt beibringen. Er hat zu allem die Macht. Und von wo (immer) du herkommst, da wende dich (beim Gebet) mit dem Gesicht in Richtung der heiligen Kultstätte (in Mekka)! Es ist wirklich die Wahrheit (die) von deinem Herrn (kommt). Gott achtet sehr wohl auf das, was ihr tut. Und wo (immer) du herkommst, da wende dich (beim Gebet) mit dem Gesicht in Richtung der heiligen Kultstätte (in Mekka)! Und wo immer ihr (Gläubigen) seid, da wendet euch mit dem Gesicht in dieser Richtung! (Dies schreibe ich euch vor) damit die Leute keinen Beweisgrund gegen euch haben - mit Ausnahme derer von ihnen, die Frevler sind. Nicht sie sollt ihr fürchten sondern mich. Und (ich schreibe euch dies vor) damit ich meine Gnade an euch vollende, und (damit) ihr euch vielleicht würdet rechtleiten lassen. Wir haben ja auch einen Gesandten aus euren eigenen Reihen unter euch auftreten lassen, der euch unsere Verse verliest, euch von der Unreinheit des Heidentums) läutert, euch die Schrift und die Weisheit lehrt und euch (überhaupt) lehrt, was ihr (bisher) nicht wußtet. So gedenkt meiner, damit (auch) ich euer gedenke, und seid mir dankbar und nicht undankbar!
Es gab auch eine Zeit in Medina, wo das muslimische Fasten am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur angekoppelt war, das Aschura-Fasten, was es bis heute als Konzeption noch gibt, welches jedoch keine religiöse Pflicht darstellt. Oder die Angleichung der islamischen Gebete an denen der Juden. Bekanntlich nützten all diese Annäherungen oder Annäherungsversuche an das Judentum nichts, denn die Juden wollten mehrheitlich nicht den Islam annehmen, Muhammad fand in Medina vor allem unten den Polytheisten neue Anhänger.
Die von Muhammad gepredigte islamische Religion sieht sich als Erneuerung bestehender Religionen, des Judentums und des Christentum. Im Islam werden Judentum und Christentum zwar als Teilhaber göttlicher Wahrheit angesehen, allerdings auch als Abweichler oder Verfremder der reinen Lehre Gottes. Deshalb ist laut islamischer Vorstellung die erneute Offenbarung als Korrektur des Bestehendem notwendig geworden, diesmal eben durch eine erneute Prophetie des Muhammad. Damit stellt er sich eine Reihe von Propheten seit Abraham, oder gar Adam, und somit ist auch die Änderung der Gebetsrichtung in Richtung des polytheistischen Heiligtums Kaaba zu erklären. Denn im Islam gilt dieses Gebäude als von Adam errichtet, und von Abraham wieder entdeckt und neu aufgebaut. Und Abraham sei auch der Ur-Monotheist, der die reine Lehre lehrte, und die nun durch Muhammad wieder erneuert wird.
Auf die Vorgängerreligionen des Islams wird im Koran an zahlreichen Stellen hingewiesen, so z.B. in 2:75:
Wie könnt ihr (Muslime) verlangen, daß sie [die Juden] euch glauben, wo doch ein Teil von ihnen das Wort Gottes gehört und es daraufhin, nachdem er es verstanden hatte, wissentlich entstellt hat!
Hier sehen wir in Medina eine welthistorisch wichtige Verschiebung der Ausrichtung Muhammads, denn zuvor, in der früheren mekkanischen Zeit war der Auftrag an Muhammad regional begrenzt gewesen, denn er wollte und sollte eigentlich vor allem nur die polytheistischen Mekkaner dazu bringen, ihm zu folgen. Dieses wurde nun nachdem die Juden den Islam verweigerten universell gesehen oder gedeutet, insofern, dass nun alle monotheistischen Religionen als verfälscht angesehen wurden, und von daher dessen Gläubige auch zum Islam hingeführt werden sollten. Damit bezog sich der Islam nicht mehr nur auf die Bewohner Mekkas, sondern quasi auf die ganze Welt., bekam also eine universelle, statt regionale Ausrichtung. Wobei sich der Islam im Eigenverständnis eben direkt auf den monotheistischen Stammvater Abraham zurückführte, und nicht wie das Judentum vorrangig auf Moses oder wie beim Christentum auf Jesus. Durch die laut Islam verfälschten Religionen Judentum und Christentum, wurde erst die Prophetie Muhammads notwendig.
Nach 622 gab es eine Phase einer Reihe militärischer Auseinandersetzungen mit Gruppen in Medina, vor allem Juden, und mit den quraischitischen Mekkanern. Dabei gab es sowohl Erfolge als auch Niederlagen, wovon auch der Koran berichtet. Nach und nach wurden dabei die jüdischen Stämme Medinas vertrieben, einer wurde gar durch ein Massaker vernichtet. Da es den Muslimen in Medina materiell schlecht ging, und sie auch nicht dauernd auf die Hilfsbereitschaft der Medinenser angewiesen sein wollten, begannen sie sich auf die damals üblichen Raubzüge auf Karawanen als Einnahmequelle zu erinnern. Vorwiegend gegen die mekkanischen Karawanen, um Druck auszuüben, denn Mekka war wie erwähnt vom Handel abhängig, und Muhammad hatte ja wie gesagt seinen Auftrag seiner ersten Offenbarungen die Mekkaner seines eigenen Stammes Quraisch zu bekehren nicht vergessen. Dabei ging er sogar in einem heiligen Monat auf Beutejagd, was einen schweren Rechtsbruch der damaligen Stammesregeln bedeutete. Der Koran berichtet davon. Dieser Rechtsbruch war sehr eklatant, so dass er als Zeichen gedeutet wird, dass Muhammad mit den Regeln der Vorväter wirklich endgültig brechen wollte. Medina entwickelte sich durch einige militärische Erfolge immer mehr zum Zentrum für Stammesbündnisse auf der arabischen Halbinsel und lief Mekka den Rang ab. Dabei wurden dann auch nördlich von Medina liegende Oasen eingenommen, in die sich inzwischen die vertriebenen Juden geflüchtet haben. Diesmal durften sie dort bleiben, wurden aber mit schweren Abgaben belegt. Vergleichbare Auseinandersetzungen mit Christen sind nicht bekannt, erst unter dem zweiten Kalifen Umar wurden in Nadschran südlich von Mekka die dortigen Christen vertrieben. Bei den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Mekka und Medina kam es letztlich zu einem Patt, beziehungsweise Mekka fehlte einfach die Kraft, Medina immer wieder zu belagern, ohne dass für dessen Bündnispartner Beute abfiel. So fehlten Mekka schlussendlich die Bereitschaft der Stämme, weiterhin Bündnisse einzugehen, so dass Mekka sich ergab. Abgesehen davon, war der Fernhandel Mekkas immer mehr von Muhammad abhängig geworden. 630 zog man dann nach einigem diplomatischem Hin und Her in Mekka fast gewaltfrei ein, deren wichtigste Clans daraufhin zum Islam übertraten. Diese "Muslime der letzten Stunde" sollten später in der islamischen Geschichte noch teilweise eine wichtige Rolle spielen. Muhammad blieb allerdings in Medina wohnen. Dort empfing er Delegationen von Stämmen aus der gesamten arabischen Halbinsel, die teilweise eine neue Erfahrung machten, nämlich die Aufforderung Abgaben zu entrichten, was in der tribalen Struktur bislang selbst bei mächtigen Stammesfürsten mehr als ungewöhnlich war. 631 machte Muhammad die Pilgerfahrt zur Kaaba, die nun ein islamisches Heiligtum geworden war, nachdem man die Götzenbilder entfernte, beziehungsweise zerstörte. Am 8. Juni 632 starb dann Muhammad in Medina recht plötzlich.
Charakteristisch für Muhammad war nicht nur seine Prophetie, sondern auch seine Funktion als politischer Führer. Nicht nur über Mekka und Medina, sondern sein Einflussbereich ging weit darüber in die arabische Halbinsel hinaus. Teilweise indirekt in Form von vertraglich gebundenen Stämmen, teilweise in direkter Weise. Solange Muhammad lebte, gab es für seine arabischen Bündnispartner keine absolute Notwendigkeit zum Islam überzutreten, denn Muhammad war ja gleichzeitig Prophet und untrennbar damit verbunden politischer Führer, und als politischer Führer wurde er anerkannt, selbst wenn die Bündnispartner nicht zum Islam übertraten. Jedoch erhielt Muhammad seine Legitimität als Führer eben durch die Prophetie. Als er nun starb, starb mit ihm die Prophetie, und damit gab es für einige Stämme keinen Grund mehr, das Bündnis aufrecht zu erhalten.
Als Muhammad starb, waren vielleicht die Mehrzahl der Araber der Halbinsel zum Islam übergetreten. Zumindest formal, denn mit Brechen eines Stammesbündnisses, welches sie an die Person Muhammad direkt verknüpften, entfernten sich wiederum einige vom Islam als Glauben. Es gab bis zum Tode Muhammads bereits auch schon erste Raubzüge auf byzantinisches Grenzgebiet, jedoch mit mäßigem Erfolg. Muhammad hinterließ keinen kompletten oder komplexen Staat, er war selber auch mehr ein politischer und sozialer Führer, neben seiner Rolle als Prophet und Überbringer von Gottes Wort, denn ein "König" oder Staatsmann, auch nicht in einem zeitgenössischen Verständnis. Es gab zwar oft zu Fragen, die an ihm herangetragen wurden, zum Beispiel durch fremde Stämme der arabischen Halbinsel, Offenbarungen Gottes, oft hat er allerdings auch selber ohne Offenbarungen eine Sache oder eine Frage geregelt. Doch all diese Regelungen, Antworten, waren noch viel zu lückenhaft, oder zu wenig ausdifferenziert, zu rudimentär, Einzelheiten oder Details betreffend. Ein Recht, eine Rechtsprechung, eine Verwaltung, allgemeine Organisation gab es noch nicht in einer Weise, wie zum Beispiel bei den Nachbarreichen. Auch noch keine systematische "Scharia". Gab es eine Frage, wurde durch Muhammad, später durch seine Gefährten, ad hoc Recht gesprochen. Die Schaffung eines ersten erkennbar islamischen komplexen Staates war eher das fortlaufende und sukzessive Ergebnis der ersten drei Generationen nach Muhammad, also ein länger andauernder Prozess
Das Gemeinwesen brauchte nun nach dem Tode Muhammads einen politischen Nachfolger. Allerdings hatte Muhammad keinen überlebenden Sohn, was wohl in der patriarchalischen und patrilinearen Gesellschaft Arabiens im 7. Jahrhundert der wahrscheinliche Nachfolger gewesen wäre. Auch hatte Muhammad keine Nachfolgeregelung getroffen. Auch der Koran gibt keine Antworten auf die Nachfolgefrage. Diese Frage eines legitimen Führers (Kalif) bestimmte fortan die Frühphase der islamischen Geschichte. Dieser Führer war vor allem als Nachfolger der politischen Funktion Muhammads gedacht, weniger als religiöser Führer, denn die Prophetie ist wie gesagt ja mit Muhammad geendet.
Bezüglich der Nachfolge sind die ersten vier Kalifen besonders wichtig:
632–634 Abdallah Abu Bakr
634–644 Umar ibn al-Chattab
644–656 Uthman ibn Affan
656–661 Ali ibn Abi Talib
Ich hatte hier im Blog diese folgende Problematik, und wie die Muslime sie lösten schon einmal thematisiert:
Geschichte und Kultur des Nahen Ostens - MuhammadMuhammad vor der Kaaba in Mekka, osmanische Miniatur
von Lütfi Abdullah, 1595 aus dem Siyer-i Nebi, "Das Leben des Propheten"
Nun wird historisch dargestellt, was nach dem recht unerwartetem Tode Muhammads passierte, wie und mit welcher Legitimation die Kalifen, also seine Nachfolger bestimmt wurden, was den Grund ausmachen könnte, warum jemand Kalif wurde:
Die Probleme nach dem Tode Muhammads:
1. Muhammad hatte keine überlebenden Söhne, denn in der patriarchalischen und tribalen Gesellschaft Arabiens im 7. Jh. wäre es nahe liegend gewesen, einen Sohn zum politischen Nachfolger zu bestimmen und eine dynastische Regelung zu wählen.
2. Er ist überraschend gestorben, so dass er keine Nachfolgeregelung mehr treffen konnte.
3. Der Koran sagt nichts zu einer Nachfolgeregelung aus.
Klar war, dass das politische Gemeinwesen einen Führer brauchte:
Nachfolger des Gesandten Gottes mit dessen Eigenschaft als Führer einer politischen Gruppe = Kalif
Einige legitimatorische Konzepte, warum einer Kalif werden solle - was für Aspekte spielten eine Rolle in den Diskussionen wer denn nun Nachfolger werden sollte. Also, je mehr jemand etwas von folgenden Punkten erfüllt, desto eher kam er als Kalif infrage:
1. sabiqa: religiöse Verdienste und dadurch Vorrang
2. nasab: Abstammung, Genealogie
(war auf der arabischen Halbinsel vor dem Islam weit verbreitet, also Abstammung vom Vater. Diese Aussage, muss biologisch nicht richtig gewesen sein, sondern war oft auch eine politische Aussage, man fühlte sich zu einer gewissen Zeit und an einem gewissen Ort zu diesem oder jenem Stamm zugehörig; selbst wenn man biologisch von einer ganz anderen Linie abstammte. Es wurde auch durchaus die "Abstammung" mehrfach im Leben gewechselt. Es war also sehr oft einfach ein politisches Statement, wie wir heute wissen. Oft trat man einer Gruppe/Stamm/Clan/usw. im Konfliktfall bei oder trat aus. Man hat dazu auch durchaus fiktive Stammbäume erstellt. Damit grenzte man sich ab, und schaffte Identitäten.)
Die Einführung des Islams steht dem Tribalismus nun entgegen, da jeder Muslim vor Gott gleich ist, also ein egalitäres Konzept besitzt, welches sich eher an Punkt 1 orientiert.
3. sahabi: Gefährte des Propheten
4. muhadschirun: Auswanderer von Mekka nach Medina
Einige Gemeinsamkeiten der ersten vier sog. "rechtgeleiteten" Kalifen (Abu Bakr, Umar, Uthman, Ali ibn Abi Talib)
1. Es stammten alle aus dem Stamm Quraisch (dem Stamm Muhammads) und aus Mekka. (Muhammad hatte auch Anhänger aus Medina, und die waren oft noch vor vielen Mekkanern zum Islam übergetreten.) Dieses Festhalten an Stammeslinien zeigt noch das starke tribale vorislamische Konzept in den Köpfen der Zeitgenossen, welches sich auch später noch in den islamischen Dynastien der Umayyaden und Abbasiden zeigte. Das ein Kalif aus einer komplett anderen Gruppe vielleicht auch möglich wäre, kam ihnen nicht in den Sinn, sprengte ihre Weltsichten.
2. Alle vier Kalifen waren mit Muhammad durch Ehebindungen verknüpft gewesen. Abu Bakr und Umar waren Schwiegerväter Muhammads, Uthman und Ali waren Schwiegersöhne Muhammads.
Einige Unterschiede der ersten vier sog. "rechtgeleiteten" Kalifen (Abu Bakr, Umar, Uthman, Ali ibn Abi Talib):
1. Abu Bakr und Umar stammten beide aus Familien/Sippen, die vor dem Islam nicht sehr bedeutend waren. Also hat bei ihnen das legitimatorische Konzept 1. (sabiqa, siehe oben) überwogen. Daneben noch das Konzept der Seniorität, also eine eher vorrangige Wahl auf ältere Führer, da beide schon ältere Herren waren.
2. Uthman stammte aus altem mekkanischen Stadtadel, den Umayya. (-> Daraus ging dann später die erste islamische Dynastie der Umayyaden hervor)
3. Ali war Cousin Muhammads. Zudem war er auch einer der ersten Muslime, erhielt also Legitimation von Punkt 1 und 2 (siehe oben) gleichermaßen.
Unterschiede in den Mechanismen, wie die Kalifen ihr Amt erhielten:
1. Abu Bakr wurde per Konsens Kalif (Akklamation), also von einem Kreis an Personen gewählt, der ad hoc zusammengesetzt wurde, als Muhammad gestorben war. Dieses waren führende Männer, allerdings auch nur diejenigen, die gerade zum Zeitpunkt des Todes da waren.
2. Umar wurde von Abu Bakr als Nachfolger ernannt. (Umar war ja nicht der Sohn Abu Bakr, es war also kein dynastisches Prinzip).
3. Auf dem Sterbebett rief Umar 6 Männern aus dem Stamm Quraisch zusammen, die aus ihrer Mitte einen wählen sollten. Es wurde Uthman (Es gibt einige Differenzen in der Historiographie, wie diese Wahl nun abgelaufen sein soll.)
4. Ali wurde mithilfe medinensischer Muslime gewählt.
Uthman wurde ermordet, vereinfachend gesagt, weil er damit anfing entlang der Familienlinien Pfründe und Ämter zu vergeben. Dies entsprach nicht dem egalitärem Konzept des Islams.
Der Clan der Banu Umayya warf Ali vor, er habe eigentlich hinter der Ermordung von Uthman gesteckt. Zudem entwickelte sich schon zu Lebzeiten Alis ein Gegenkalifat durch den Schwager Muhammads, dem Umayyaden Mu'awiya. Daraus entwickelte sich der erste Bürgerkrieg der islamischen Geschichte. Beendet durch Ermordung Alis.
Anhänger Alis nannten sich Schi'at Ali, Partei Alis.
Sie meinten, er hätte eigentlich schon der erste Kalif sein müssen, durch Legitimation von Punkt 1 und 2, vor allem aber, weil bei einer Reise am Teich Khumm folgende Begebenheit stattfand, die von der Schi'at Ali und den anderen Muslimen (den späteren Sunniten) gleichermaßen anerkannt wird; nur unterschiedlich interpretiert wurde.
Muhammad sagte, dass wenn er gestorben sei, solle sich die Gemeinde als erstes an den Koran halten. Zusätzlich habe er dann noch Ali besonders gelobt. Die Anhänger Ali interpretierten dieses Lob nun so, dass es eine Designation gewesen sei, also Ali Nachfolger werden solle. Die Gegner interpretieren es hingegen nicht als Nachfolgeregelung.
Ali hatte mit Fatima, Muhammads Tochter, zwei Söhne, Hasan und Husain, die beiden einzigen männlichen Nachkommen Muhammads in der Enkelgeneration. Die Umayyaden erreichten nun, dass der erste Sohn Hasan auf jegliche politischen Ambitionen verzichtete; Husain allerdings nicht. Als Mu'awiya starb, dachte Husain, dass nun seine Chance für das Kalifat gekommen war.
Mu'awiya hat jedoch seinen Sohn vor seinem Tode zum Nachfolger gekürt, das erste mal hatte es also eine dynastische Nachfolgeregelung des Kalifats gegeben.
Nun waren mehrere Gruppen dagegen, einmal eine Gruppe, die nicht wieder von den Quraisch oder überhaupt einem Clan beherrscht werden wollten, sondern die sozial-egalitäre Botschaft des Korans verwirklicht sehen wollten, indem die frömmsten und fähigsten Muslime führen sollten, und nicht per Geburtsrecht. Diese versuchten Husain zu unterstützen, wo es zur Schlacht bei Kerbela kam, wo Husain gegen den Nachfolger Mu'awiyas fiel.
Dieses Ereignis war nun endgültig die Geburtsstunde der Schi'iten / Schiiten -> Aschura-Fest.
Husain hatte einen Sohn: Ali. Mit ihm setzte die dynastische Nachfolge der Schi'iten ein, die Imame, die einzig rechtmäßigen Führer der Schi'iten, mit der Abstammung von Fatima, Tochter Muhammads, und Ali, dem Schwiegersohn Muhammads. Dabei gibt es Unterschiede, bis zu welchem Nachfolger, bis zu welcher Generation jemand noch als rechtmäßig durch die Schi'iten angesehen wurde, so dass man heute von 5er, 7er, 12er Schi'iten spricht, je nachdem, an welchem Nachfolger Streit entbrannte, wo die Linie endete.
Obige Aspekte zeigen, dass es nicht ausschließlich um die politischen Streitigkeiten um die Nachfolge ging, sondern dass auch ideologische Konzepte miteinander im Wettstreit waren. Letztlich hat sich die Dynastie der Umayyaden durchgesetzt und eroberte ein Weltreich innerhalb weniger Jahrzehnte. Diese waren "Realpoltiker". Letztlich haben auch die Anhänger Alis das Konzept der Dynastie für sich übernommen. Aber mit dem Unterschied, dass sie den fähigsten und verdienstvollsten Muslim zum Führer haben wollten, dieses Konzept dann aber später als erblich ansahen.
Letztlich war es also wieder so mit der Führung der Gemeinde bzw. des Reiches gekommen, wie schon vor dem Islam.
Die Umayyaden meinten ihre Kalifats-Legitimation auch dadurch erhalten zu haben, weil sie sich durchgesetzt haben. Da Gott als allmächtig angesehen wurde, wurde durch die Muslime auch vieles oder alles als vorherbestimmt betrachtet, ein prädestinarisches Konzept, und wenn die Umayyaden sich durchsetzen konnten, dann deshalb, weil Gott es vorherbestimmt habe, er wollte also, dass die Umayyaden das Kalifat stellten. So die Logik, bzw. die Legitimationserklärungen der Umayyaden. Die Sunniten waren Anhänger der Prädestinationslehre.
Demgegenüber steht die andere Meinung, wie soll denn Gott im jüngsten Gericht jemanden verurteilen, wenn seine Handlungen nicht frei seien, und seine Handlungen alle vorherbestimmt seien.
Letztlich war aber die Umayyadendynastie poltische Realität, so dass die Schi'iten lange warten mussten, bis ihre Legitimationsform in einem Reich Ausdruck fand, zum Beispiel im Reich der Fatimiden.
Die eigentliche heute sichtbare Theologie des Schi'ismus entwickelte und systematisierte sich jedoch erst 800 Jahre später unter den turkophonen Safawiden im Iran.
PS: Wann es eine Fortsetzung dieser doch recht umfangreichen Artikelserie gibt, kann ich nicht sagen, aber sie wird noch fortgeführt werden.
(Bildquellen: Wikimedia Commons: 1 - Goldmund100, 2)

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