Das Licht geht an, ein Mann legt eine Patience, seine Frau kommt dazu und fragt aus heiterem Himmel nach einer Zahl: nach der Anzahl seiner außerehelichen Affären. Mit freundlicher Selbstverständlichkeit, lächelnd und erbarmungslos. Der überrumpelte Ehemann windet sich, gesteht einiges, stellt die Gegenfrage, erfährt etwas, will aber mehr wissen, forscht weiter. Da wird verglichen, verhandelt und (im wahrsten Sinne des Wortes) abgerechnet, und die ehemoralische Erörterung zwischen Jeanne und Maxime, ob es nun schlimmer sei, viele oberflächliche oder nur eine ernsthafte Affäre gehabt zu haben, läuft innerhalb kürzester Zeit auf vergnüglichsten Hochtouren. Noch haben wir kaum erfahren, wer die beiden eigentlich sind; auch das freundliche Bühnenbild mit Polstersitzwürfeln und großzügig geschwungenen weißen Wänden bleibt genüsslich unkonkret. In der ersten Umbaupause ist das Publikum nicht minder überrumpelt als der Ehemann zu Beginn – und vor Gelächter schon schwer erschöpft.
Die Eingangsszene von Eric Assous‘ Komödie „Illusionen einer Ehe“ ist ein geniales Dramolett, dessen Kunstgriff darin besteht, sich so konsequent auf eine einzige aus der Luft gegriffene Frage zu beschränken, dass die Figuren am ständigen Kreisen um das eine Thema irre zu werden scheinen. Leider schließen sich etliche Szenen an, die wenig Neues bringen und die freche Grundsituation in ein fades Licht rücken. Als mit dem Freund Claude ein potentieller Kandidat für Jeannes mysteriöse „ernsthafte“ Affäre zu Besuch kommt, verliert Maximes ständiges Nachforschen schnell an Reiz. Und Oliver Zimmers Inszenierung am Teamtheater bemüht sich zu wenig um Abwechslung in der äußeren Situation, als dass Maximes starrsinniges Verhör zum running gag, zur unbeirrbar wiederkehrenden Pointe werden könnte. Stattdessen nutzt sich das gleichförmige Verhalten ab, zumal Maximes Verdacht in Zimmers Darstellung reichlich unbegründet erscheint: Der Stücktext böte mehr Möglichkeiten, das Publikum durch Andeutungen selbst zum kriminalistischen Rätseln zu bringen, ob zwischen Claude und Jeanne nun etwas lief oder nicht.
Irene Rovan (Jeanne), Uwe Kosubek (Claude), Philipp Weiche (Maxime)
Zum Nachdenken zwingt dafür das Thema als solches, denn Assous‘ Stück macht weder eindeutige Werbung für die titelgebende „Illusion“ ehelicher Treue noch für gegenseitige Offenheit, die auf der Bühne zu nachhaltiger (wenn auch im Boulevardstil abgemilderter) Gefühlverwirrung führt. Welche Position die Taktiererin Jeanne zu dieser Frage einnimmt, das bleibt das eigentliche Rätsel: Mit welchem Ziel eröffnet sie das Spiel der Geständnisse? Und warum sieht sie so zweideutig zu, wenn Maxime Claude aufs Eis zu führen versucht? Bei Irene Rovan liegt diese geheimnisvolle Rolle in besten Händen. Sie zeichnet eine mal dominante, mal zurückhaltende Gestalt, in deren Launen man sich verlieben kann. Kontrastierend spielt Philipp Weiche einen prolligen, allzu durchschaubaren Maxime, der als hilfloser Choleriker gleich zu Beginn hoch einsteigt und sich wenige Steigerungsmöglichkeiten offen lässt. Obwohl ihm dabei manche Zwischentöne verloren gehen, trägt aber seine geschäftig gestikulierende Bühnenpräsenz den Abend in bester Boulevard-Manier. Uwe Kosubek übt sich als unbeteiligtes Verhöropfer Claude lange in vornehmer schauspielerischer Zurückhaltung, bis es ihm am Ende in einer (dramaturgisch etwas erzwungenen) Enthüllung wundervoll gelingt, in den sonst auf schnelle Pointen ausgelegten Abend einen Moment angespannter Ruhe einzubringen.
So lohnt sich der Besuch im Teamtheater eher wegen des routinierten Temperaments der Schauspieler, die nur in manchen entschieden zu langwierigen Szenen die Gunst des köstlich amüsierten Publikums verlieren. Ein Vergleich der schauspielerischen Ansätze bietet sich im November an, wenn am gleichen Ort, ebenfalls in Monika Staykovas Bühnenbild, die französischsprachige Truppe Cie Antéros ihre Inszenierung von „L’Illusion conjugale“ präsentiert: ein kluges Experiment der Teamtheater-Intendanz, zwei Perspektiven im kubistischen Nebeneinander zu zeigen, denn Eric Assous‘ Figuren lassen gerade dort Interpretationsfreiraum, wo der pure Text sie etwas simpel gestrickt erscheinen lässt. Und vielleicht haben die Franzosen auch einen anderen Blick auf die Bedeutung von Treue und Ehrlichkeit?