Frankfurter Buchmesse 2013 – Ein “Bericht”

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Buchmesse 2013 in Frankfurt. Die Aussicht auf hochprofitable Geschäftsabschlüsse, optimiertes Marketing und die Lust am Untergehen in der Masse spült auch in diesem Jahr Hunderttausende in die Glaspaläste des Frankfurter Messegeländes…

Am Eingang lassen mich bewaffnete Bundespolizisten aufgrund meiner unverdächtigen Whiteness unkontrolliert passieren. Aggressive, in grellgrünen Regenjacken gekleidete Promotion-Jobber zwingen mich zur Lektüre der FAZ-Sonderausgabe, die Buchmessen-Gossip und boulevardesker Sexismus titelt:

“Jetzt geht die Party erst richtig los: Rowohlt und Co”

“Brasiliens schönste Autorin: Andréa del Fuego”

Auf der Vorwärts-Bühne artikuliert Ilja Trojanow (Autor von „Der überflüssige Mensch“) unpopuläre Wahrheiten zum Thema überflüssige Menschen und kritisiert die „moralische Behaglichkeit“ der westlichen Gesellschaften in Bezug auf die mediale Berichterstattungsschere zwischen europäischen und afrikanischen Todesopfern. Während ein toter Europäer sofort in eine große emphatische „personality story“ verwandelt würde, seien Hunderte von afrikanischen Opfern wie zuletzt in Lampedusa in den Medien oft nur „anonyme Zahlen“. Im Publikum dominiert selbstbestätigendes Nicken zur Versicherung der eigenen moralischen Überlegenheit bei gleichzeitiger Zurückweisung jeglicher Mitschuld. Der solarstudiogebräunte Tontechniker am Rand der Bühne versucht, sich seine Langeweile nicht anmerken zu lassen und beobachtet das Geschehen mit stirnrunzelnder Skepsis.

Die xenophoben Aussagen von Innenminister Friedrich zum Flüchtlingsskandal in Lampedusa erinnern Trojanow an eine „Hasspredigt“. Seltsam, dass selbst die demonstrativ mit roten Schals bekleideten Gutmensch-SPDler nicht klatschen.

Die auswendig gelernten Fragen des Moderators mit dem Nivea-Face eines lebenslaufoptimierenden Politikwissenschaftsstudenten halten trotz ihrer berechnenden Spitzbübigkeit, welche in den Journalistenschulen dieser Nation vermutlich als investigative Qualität zurecht euphemisiert wird, die Diskussion stets auf Hochtouren.

Vorwärts

Vorwärts-Diskussion mit Ilja Trojanow (rechts), vorwärts-Redakteur Carl-Friedrich Höck (Mitte) und SPD-Politiker Siegmund Ehrmann. Foto: Phire

Nachdem Trojanow auf die 1,5 Millionen Menschen verweist, die allein im Wohlstandsstaat Deutschland täglich von den Lebensmitteltafeln abhängig sind, bittet er den SPD-Bundestagsabgeordneten, den er als Vertreter der Agenda 2010 für diese Missstände verantwortlich macht, um eine Stellungnahme. Dieser erweist sich als geübte Floskelschleuder und erzählt vom Erfolg eines jährlich in seinem Wahlkreis Moers stattfindenden Events, bei dem sich die fast 2000 Tafelabhängigen der Stadt mit Normalverdien-Bürgern treffen. Ob es sich dabei um einen politisch subventionierten Realitäts-Fake oder um eine gelungene Integration des Prekariats handelt, lässt sich leider nicht überprüfen.

Prekär ist auch dann die schnell abfallende Aufmerksamkeitsspanne auf der Lesung des Suhrkamp-Autors Andreas Maier, dessen aus seinem aktuellen Roman “Die Straße” stammenden Reflexionen eines auf irgendeinem Maisfeld liegenden präpubertären Jungen über das Ding, „das man in ein Mädchen hineinsteckt“ unmittelbare Fluchtreflexe weckt. Unvermittelt erinnere ich mich an eine Passage des Romans „Schimmernder Dunst über Coby County“ von Leif Randt, der u.a. vom Leben des jungen Lektors Wim handelt, welcher die Gegenwartsliteratur der fiktiven Welt wie folgt beschreibt: „Unter den Jungautoren, die wir vertreten, gibt es einen Trend zur Erinnerungsprosa, zu sinnlicher Nostalgie. Besonders in Mode ist es, sich mit simplen Texten in seine Kindheit hineinzuforschen.“ Was jedoch ein David Foster Wallace in den aus der Sicht eines 13-jährigen verfassten Passagen in „Unendlicher Spaß“ auf fast beängstigend authentische Weise perfektioniert hat, wirkt bei Maier synthetisch und dadurch subtil fremdbeschämend

In Halle 3.1 werde ich von einem PR-tauglich berlinernden Vertreter der Jungen Welt zu einem Cuba Libre-Abend eingeladen. Ich spüre einen blitzartigen Stich auf der linken Seite meiner zwei-seeligen Brust. Es ist eine Mischung aus Verwunderung und Mitleid mit der hoffnungslos realitätsverzerrenden Nostalgie, welche die notwendigen Ansätze einer linken Politik, etwa zur Regulierung des Finanzsystems oder die Frage nach dem Wert der Arbeit, seit jeher vorschlaghammergleich zerschlägt. Dennoch bedanke ich mich, verpacke meine Skepsis in ein dem Eindrucksmanagement eines westlichen Weltbewohners angemessenen Schmunzeln und schreite entschlossenen Schrittes zum Messe-Stand der taz, an dem der angebotene Kaffee fair und ökologisch abbaubar ist. Ganz im Gegensatz zum millionenschweren Baumaterial der teilweise barocken Verlags-Messestände, hinter denen sich bis ins Grimmassen-hafte grinsende Studentinnen zwischen 20 und 25 für 7 Euro die Stunde an der Illusion einer sich stetig ausdehnenden Fröhlichkeitsblase abarbeiten.

Der Regenschauer dort draußen, die naturgewordene Erinnerung an eine Gesellschaft im Abgrund…

Text und rechte Gehirnhälfte: Phire


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