Frankfurt „Hauptstadt des Migrations- hintergrundes“

Migrationshintergrund soll zum Unwort des Jahres 2012 gekürt werden, so das Ergebnis der heutigen FAZ-Umfrage. Die Wortneuschöpfung des Statistischen Bundesamtes ist umstritten. Viele halten den Begriff für diskriminierend. Unsere Behörden und so gut wie alle öffentlichen Medien nutzen ihn – weil er diskriminiert: Zwischen autochthonen „Normaldeutschen“ und Menschen, ob mit oder ohne deutschen Pass, die nach 1949 zugewandert sind.

Leute wie ich, hier aufgewachsen, deutsche Staatsangehörige, gehören seit der Einführung des Begriffs im Jahre 2005 zur Kategorie derer mit Migrationshintergrund, zusammen mit Menschen, die vielleicht erst gestern eingereist sind. Kann eine solch breit angelegte Kategorie einen Nutzen für das Verwaltungshandeln in einem demokratischen Rechtsstaat haben? Wohl kaum. Erschwerend kommt hinzu: Mit deren Einführung wurde uns Deutschen mit Migrationshintergrund und sogar unseren Kindern, auch wenn eines der Eltern autochthon sein sollte, die gleichwertige Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Deutschen entzogen: Wie schon einmal Deutsche mit dem staatlich verordneten Namenszusatz Israel oder Sara ausgegrenzt worden waren. Und die Kennzeichnung Migrationshintergrund macht es nun möglich, ausländisch-stämmige, aber rechtliche Deutsche quasi offiziell der Gruppe zuzuschlagen, zu der sie für den Stammtisch gehören: den Ausländern, den anders Aussehenden, den „anderen“. Sie sprechen aber gut Deutsch, wo kommen Sie denn her!?

Zwar würde vor deutschen Gerichten kein Deutscher mit Migrationshintergrund offen benachteiligt. Aber Sarrazin (immer noch SPD-Mitglied) konnte mit seinem populistischen Pamphlet über muslimische Migranten Buchmarktrekorde brechen. Die jüngste Heitmann-Studie belegt den starken Anstieg der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Und bei dem vor einem Jahr aufgeflogenen NSU-Skandal war die erschreckendste Erkenntnis nicht die, dass (wahrscheinlich) eine Gruppe Rechtsradikaler 11 Jahre lang mitten in Deutschland Menschen ausländischer Herkunft systematisch ermordete, sondern deren enge Verflechtung mit den deutschen Sicherheitsbehörden.

Wie zur Bekräftigung der ideologischen Weltsicht der rechtsradikalen Täter werden die 10 Mordopfer in den deutschen Medien zumeist als 9 Migranten und 1 Polizistin vorgestellt. Damit wird gesagt, dass die Polizistin eine autochthone Deutsche war, und dass keiner der 9 Migranten Polizist hätte sein können, oder Deutscher, was mindestens einer der neun Mordopfer rechtlich gesehen war. Aber eben nicht für den Stammtisch. Zudem werden die 9 Mordopfer mit Migrationshintergrund mit der passenden gemachten Steuerkategorie als Kleinunternehmer abgetan. Die Berichterstattung über „unsere Toten“ hätte bestimmt anders ausgesehen.

Aber die Kategorie Migrationshintergrund ist erstmal da, und stiftet Verwirrung: Oliver Reese, derzeitiger Intendant des Schauspiels Frankfurt, äußerte in der Frankfurter Rundschau vom vergangenen Wochenende anlässlich eines krausen Textes über unseren OB Peter Feldmann die Ansicht, mit 25% Ausländeranteil sei Frankfurt die „Hauptstadt des Migrationshintergrundes“. Zwar kommt das mit den 25% Ausländern hin, aber die sind nur eine Untergruppe der Frankfurter mit Migrationshintergrund. Laut dem 1. Frankfurter Integrationsmonitoring aus dem Jahre 2012 (leider nicht mehr im Netz), haben derzeit 43% der Frankfurter einen Migrationshintergrund, Kindergartenkinder ca. 70%. Zugleich bittet Reese um Nachsicht für seine „Flapsigkeit“ mit dem Begriff Migrationshintergrund und fordert seine LeserInnen auf, sich mit einem Gegenvorschlag um die deutsche Sprache verdient zu machen. Tja: Würde ein anderes Wort die Sache besser machen?

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom nächsten Tag ein schöner Bericht von Jan Rübel über ein Frankfurter Café, in dem sich alte Menschen jüdischen Glaubens treffen, Überlebende einer schlimmen Zeit in Deutschland. Der Autor berichtet, er sei aufgefordert worden, in seiner Zeitung zu schreiben, jüdische Menschen interessierten nicht mehr, die neuen Juden seien die Türken. Die heutigen „anderen“, viele von ihnen Deutsche mit Migrationshintergrund. Sollten wir diesen schändlichen Begriff nicht einfach ersatzlos streichen – bevor es zu spät ist?


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