Fragen in die polizeistaatliche Zukunft

Die Medien haben aus ihrer hektischen Eile gelernt. Nachdem letzte Woche ein unschuldiger Jugendlicher zu einem Täter wurde, man ihn zum Kindermörder machte, berichten sie jetzt von einem geständigen jungen Mann. Und da mit dem Mord ein älteres Vergehen offenbar wurde, fragen sie nun betroffen: Hätte man den Kerl nicht eigentlich schon vorher haben müssen? Eine DNS-Analyse ergab, dass der junge Mann möglicherweise vorher schon Sexualstraftaten begangen hat. Konnte man seiner denn nicht vor dem Mord habhaft werden, ist die fragende Reaktion der Medien darauf. So fragen auch die ZDF-Nachrichten. Warum hatte man ihn nicht vorher schon des Mordes überführt, bevor er den Mord begangen hat? Man hatte doch seine DNS schon. Was sie jedoch nicht sagen: Es gab keinen Vergleichswert. Da ist natürlich die DNS-Kartei wieder im Gespräch. Und warum, man nebenher festgestellt, die Medien dauernd von DNA sprechen, von -A für acid, kein -S für Säure verwenden, kann wohl auch nicht geklärt werden.
Natürlich wussten die ZDF-Nachrichten, dass das Versehen, einen falschen Tatverdächtigen zu einem Täter gemacht zu haben, zu einen Täter, mit dem man böse wurde, weil er einfach nicht gestehen wollte - natürlich wusste das ZDF, dass man dieses Versehen dem Internet, Facebook und dem sich dort formierenden Mob zu verdanken habe. Die eigene Rolle - reden wir mal nicht von Springer - in diesem Spiel bleibt verdeckt. Hat denn das ZDF nicht letzte Woche bewegte Bilder eines Mannes gezeigt, der abgeführt wird und waren dabei nicht deutlich Rufe wilder Mütter und Väter zu hören, die schimpften, die Monster! riefen und denen man das zornesrote Gesicht ansah, obwohl man sie nicht sah, nur hörte? Ist das etwa kein tendenziöses Ausstrahlen gewesen? Hat man da nicht Bild- und Tonmaterial verwendet, das die Tendenz aufwies, es hier mit dem Mörder zu tun zu haben? Aber nein, der Internet-Mob ist daran schuld - dass der, bevor er sich in Facebook zum Lynchen verabredete, womöglich ein Springer-Blatt gelesen und beim ZDF die windige Springer-Information vermeintlich seriös abgesegnet, berichtet man nicht.
Einen geständigen Tatverdächtigen hat man nun. Erwischt, nachdem er vermeintlich schon vormals seine DNS verstreut hatte. Hätte der Mord nicht verhindert werden können?, fragen sie nun. Hat die Polizei versagt? Ja, was hätte sie denn machen sollen? Eine DNS zu haben bedeutet überhaupt nichts - sie braucht den Vergleich. DNS scheint auch für Medien, die sich als seriös empfinden, ein Mittel omnipräsenter Überwachung und Prävention zu sein. DNS ist ein Zauberwort, der Traum von der Habhaftwerdung des Verbrechers, bevor er überhaupt ein Verbrechen begangen hat. DNS gibt es dort ja gar nicht - nur DNA. Genauso doof könnte das ZDF fragen, ob die Polizei nicht hat ahnen können, dass da bald ein Mord begangen würde. Precrime kann man sich doch mal wünschen!
Die rhetorische Frage, ob denn die Polizei diesen Mann nicht schon hätte vorher haben müssen, macht schon erkennbar, wie die jahrelange Schleifung des Verstandes, wenn es um Fragen der inneren Sicherheit geht, im Alltag Einzug gefunden hat. Die Frage zielt nämlich darauf ab, dass zurückgelassene Daten einer Person am Tatort immer gleich zielführend sein müssen - anders gesagt: es sollte also eine DNS-Datei geben, in der alle Bürger erfasst sind, in der man gefundene DNS einspeist und abgleicht - eine Datei, die postnatale Proben enthält und jederzeit dem behördlichen Zugriff obliegen. Eine Datei, die nur der erste Schritt zu einer Gesellschaft sein kann, in der potenzielle Verbrechen geahndet werden, nicht faktisch begangene, faktisch versuchte. Anders ist diese Frage gar nicht zu deuten, wenn sie noch einen Sinn haben soll. Der Polizeistaat ist in den Köpfen, auch wenn diese Köpfe das niemals bejahen würden - und das in einem landesweiten Klima, in dem der polizeistaatlichen Entwürfe der deutschen Vergangenheit gedacht wird, in dem man sie aufarbeitet und als nie wiederholbar erhofft.
An diesem Sexualmord in Emden wird deutlich, woran die Medien leiden - nicht nur die Zeitung, deren Namen hier mal ungenannt bleibt, die aber weitläufig als rachsüchtiges Lynchblatt bekannt ist. Auch die ganz ernsthaften unter ihnen. Sie berichten unkritisch, unsachlich, ohne Substanz und Ahnung von der Materie. Und zeitigt die Windigkeit, mit der man das Geschäft bestreitet so unfassbare Folgen, wie im Fall Emden, dann schiebt man es einfach auf die neuen Medien und stellt Fragen, die in einen komplett überwachten Polizeistaat passten, nicht aber in ein Land, in dem Freiheit gepredigt wird und in dem dessen oberster Dienstherr die Freiheit im Mund führt, wie andere Leute Zigaretten...
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