“Mama- Mama, können wir weiter lesen?” Ich bin von der Arbeit zurück- müde. Wir hatten gestern 189 Seiten der unendlichen Geschichte gelesen. Einen Tag lang haben wir gelesen, gelesen, gelesen. Es ist Lesen auf Zeit. Der Vorlesewettbewerb ist Mitte Februar. Mir war entgangen, dass Karla sich mit einer Geschichte angemeldet hatte, die sie nur dem Film nach kannte. Trotz der Anstrengung sind sie voller Enthusiasmus. Abends -eine Hunderunde mit Ubu und Karla im Dunkeln mit brummenden Kopf. Der schmelzende Schnee rutschte schnarrend von den Dachziegeln. Aus den meisten Häusern drang bläulich flimmerndes Licht.” Vielleicht ist Phantasien ja direkt über uns?” Karla hatte andächtig in den dunklen Nachthimmel gesehen. Das war gestern gewesen.
Auf Erwachsenenart bin ich heute aus der magischen Stimmung gefallen. ” Karla-lass es uns mit Maulina versuchen oder mit dem Sams.” Nein.” Sie ist ein Sturkopf. Sie ist ein gottverdammter Sturkopf.
Karla,bitte-wie willst du dieses Buch zusammenfassen?
“Du hast gesagt, es geht nicht ums gewinnen.” Sie ist ein Sturkopf. Ich bin genervt. ” Ich bin nicht sonderlich geduldig nach der Arbeit. Alle Geduld scheint aufgebraucht. “Lass sie doch”, sagt Anna-es ist ihre Lieblingsgeschichte, ich üb auch mit ihr ok?”
Karla und Anna verschwinden im Zimmer, Julius verkrümelt sich mit Roald Dahls Buch vom Riesenkürbis an den Ofen. Ich trinke einen Cappucino, lese Zeitung. Etwa eine Stunde später präsentiert mir Karla den geübten Text. Anna hat ganze Arbeit geleistet. “Beim Ausdruck sind wir noch nicht”, sagt Anna. Ich gebe mich geschlagen. Wir finden uns alle am großen Wohnzimmertisch zusammen, trinken heiße Schokolade, lauschen und lesen. Die Kinder malen, während sie mit Atreju in die Spukstadt geraten, eine philosophische Auseinandersetzung mit einem angeketteten Werwolf haben und dem “Nichts” nur mit Hilfe des Glücksdrachen knapp entkommen. Immer wieder unterbricht eine leise Frage das Vorlesen. Woher kommt das Nichts? Gibt es Phantasien wirklich?Warum stirbt die Phantasie?