Facie prima

Heute: Der Verurteilte, Dominique Strauss-Kahn

Er steht im Verdacht, eine Frau zum Sex gezwungen zu haben. Er wird verdächtigt, seine Stellung schamlos ausgenutzt zu haben. Ihm wird aufgrund des Verdachts der Vergewaltigung, sexueller Belästigung und der Freiheitsberaubung der Prozess gemacht. Doch der VerdachtsmFacie primaoment ist dahin - so wie Strauss-Kahn in den Zeitungen abgelichtet wird, wird der Verdacht für den Leser zur reinen Makulatur, zu etwas, was man bereits überspringen kann, weil es bereits erledigt scheint. Der Abgeführte ist nicht über jeden Verdacht erhaben, er ist über jeden Verdacht hinaus - er ist post-verdächtig, bereits im Stand der Schuld angelangt. Ein in Handschellen abgeführter Mann sieht nicht nach Verdacht aus, er verbreitet die Aura der Schuld - wird optisch schuldig gesprochen. Natürlich könnte sich der Verdacht erhärten und später auch bestätigen. Aber die Verurteilung hat vor Gericht zu geschehen, unabhängig, überparteilich und nicht a priori durch die geschickte Setzung von Fotos manipuliert. Können Richter, die ja auch nur Menschen sind, daher irren und sich manipulieren lassen können, noch objektiv (ver-)urteilen, wenn der Angeklagte schon vorher medienwirksam als Schuldiger abgelichtet wurde?

Was spräche eigentlich dagegen, in Facie primaeinem so heiklen Verfahren ein neutrales Foto Strauss-Kahns zu verwenden? Eines aus seiner Vita, seinem Pressebüro, eines, das von seiner Partei oder seiner Behörde für Medienzwecke zur Verfügung gestellt wurde? Sicherlich sind solche Fotos Idealbilder, sollen den Abgelichteten ins rechte Licht schönen. Aber ist ein so problematischer Fall nicht eine Ausnahme? Kann man da nicht ausnahmsweise auf ein neutrales Pressefoto zurückgreifen? Aus rechtsstaatlichen Bedenken heraus? Bei anderen Schlagzeilen, bei denen Politiker oder Wirtschaftskapitäne schlecht abschneiden, greift man doch auch auf neutrale Lichtbilder zurück - mit zuvorkommender Rücksichtnahme, um die Würde der Person zu gewährleisten. Sah man Peter Hartz bei seiner Abführung? Von Strauss-Kahn ist persönlich und politisch zu halten was man will, aber noch ist er unschuldig, bis seine Schuld vor Gericht bewiesen werden kann. Daran halten sich diejenigen, die die grafische Aufbereitung von Artikeln betreuen, jedoch kaum.

"Sperma von Strauss-Kahn!" lautete die Schlagzeile, die dieses Bild zierte. Es wirkt so, als würde dieser Mann flehen. Als würde er als Überführter um Gnade winseln - oder Einsicht zFacie primaeigen - oder beten. Das Bild ist ein optisches Schuldeingeständnis. Möglicherweise ist das Sperma von ihm - das kann es allerdings auch dann sein, wenn beide einvernehmlich miteinander kopulierten. Genau dies hat ein Gericht festzustellen. Obwohl die Texte neben solchen Bildern durchaus kritisch und objektiv sein können (nicht alle sind es!), unterstreicht eine solche Fotoauswahl die Schuldigkeit. Noch bevor der Artikel gelesen wurde, nährt man das Unterbewusstsein des Lesers. Der weiß schon vorher, oder besser gesagt, er meint zu wissen, dass Strauss-Kahn ein Vergewaltiger ist. Möglicherweise liest er den Artikel deshalb auch gar nicht mehr. Solche Fotos sind ein Affront gegen die Unschuldsvermutung und untergraben den fairen Verlauf des Rechtsstaates. Selbst wenn eine mögliche Unschuld am Ende herauskäme, die Bilder brennen sich ein. Irgendwas bleibt zwar immer hängen - aber solche Fotos machen dieses Immer noch immerwährender.


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